Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
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<strong>Vie</strong> int. beginnt die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> nationalsozialistischen Ideologie<br />
nicht mit einer sachlichen Einführung, wie es <strong>der</strong> Leser vielleicht erwarten könnte,<br />
son<strong>der</strong>n unvermittelt mit einer Bewertung. Der betreffende Autor, Antoine Hilckmann,<br />
setzt den Nationalsozialismus mit einer politischen Bewegung gleich, auch mit<br />
einer Religion und einer Philosophie, die er ganz richtig als Weltanschauung darstellt.<br />
1 Philosophische Züge würden ihm allerdings fehlen, weil er die geistigen<br />
Werte negiere. Der Nationalsozialismus sei demzufolge eine Irrlehre, <strong>der</strong>er es aber<br />
viele gebe, die zusammen den Nie<strong>der</strong>gang des Abendlandes bewirken würden. Das<br />
ist das erste, was <strong>der</strong> französische <strong>Vie</strong> int.-Leser über den Nationalsozialismus erfährt.<br />
Dessen schwerwiegende Bedeutung wird im Ansatz schon erkannt.<br />
Hilckmann löst dann den Nationalsozialismus von den spirituellen Werten und bettet<br />
ihn in den politischen Zusammenhang ein. Er vermutet:<br />
Le national-socialisme est peut-être la forme extrême, - ou une forme extrême,<br />
- du socialisme d’Etat, de l’étatisme. [...] On peut parler sans exagération d’une<br />
statolâtrie, d’un Credo, d’une religion d’Etat. 2<br />
Hilckmann beschreibt die Staatskonzeption <strong>der</strong> Nationalsozialisten: Sie lehnen die<br />
gegenwärtige demokratische Staatsform Deutschlands ab, sie wollen den Staat durch<br />
ihre Partei ersetzen 3 , sie stellen das Individuum hintenan und geben dem Staat eine<br />
gottähnliche Bedeutung. 4 <strong>Die</strong> Allmacht des Staates solle beson<strong>der</strong>s bei <strong>der</strong> Jugen<strong>der</strong>ziehung<br />
gelten, die den Familien und Kirchen aus den Händen genommen werden<br />
solle; ganz zu schweigen von den neuen nationalsozialistischen Lehrplänen, die sich<br />
im krassen Gegensatz zu den Prinzipien <strong>der</strong> Kirche befinden würden. 5 <strong>Die</strong>se Staatsauffassung<br />
lehnt Hilckmann als Tyrannei ab. 6<br />
Er versucht, den Ursprüngen <strong>der</strong> nationalsozialistischen Bewegung auf den Grund zu<br />
gehen. Er vermutet sie im alten Preußen und seinem „esprit de subordination absolue”<br />
7 sowie in <strong>der</strong> dort ansässigen und lutherisch geprägten liberalen Bourgeoisie, die<br />
von jeher staatshöriger sei als die Katholiken in an<strong>der</strong>en Teilen Deutschlands. 8<br />
Hilckmanns notwendige Akzeptanz des Katholischen und Ablehnung des Protestantischen<br />
- vom Nationalsozialismus ganz zu schweigen - ist deutlich erkennbar und<br />
stimmt mit <strong>der</strong> Grundauffassung <strong>der</strong> Zeitschrift überein. Er bringt aber dem deutschen<br />
Staat und <strong>der</strong> deutschen Gesellschaft, wie sie bis dahin bestanden haben, Achtung<br />
entgegen. Das kann man seinem Bedauern entnehmen, das er allenthalben über<br />
die Selbstzerstörung <strong>der</strong> Demokratie und ihrer Gesellschaft, die doch sehr starke<br />
1 <strong>Vie</strong> int., 25.11.1932, S. 125<br />
2 a.a.O., S. 126<br />
3 a.a.O.<br />
4 a.a.O., S. 126, 129<br />
5 In geradezu verherrlichen<strong>der</strong> Weise hatte schon kurz vorher Elisabeth Seck den neuen nationalsozialistischen<br />
Gymnasialunterricht in: <strong>Vie</strong> int., 10.12.1932 beschrieben. Erstaunlicherweise veröffentlichte<br />
die Zeitschrift völlig kritiklos dieses rein nat.soz. Gedankengut. Näheres dazu im Kapitel: „Erziehungspolitik”.<br />
6 a.a.O., 25.11.1932, S. 127<br />
7 a.a.O.<br />
8 a.a.O., S. 127-128<br />
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