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Jahresgutachten 1991/92 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

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Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode Drucksache 12/1618<br />

I<br />

Die hohe Neuverschuldung stellt eine schwere Hypothek<br />

für die Zukunft dar. Zins- und Tilgungsverpflichtungen<br />

auf die Schulden begrenzen den zukünftigen<br />

Ausgabenspielraum. Dabei ist mitins Bild zu nehmen,<br />

daß der Bund schon jetzt für Ausfubrbürgschaften,<br />

Garantien und sonstige Gewährleistungen mit 250<br />

Mrd DM haftet, darin sind Ausfubrbürgschaften mit<br />

rund 141 Mrd DM enthalten, wovon rund 15 vH auf<br />

Ausfuhrgeschäften mit ehemaligen Staatshandelsländem<br />

beruhen. Hinzu kommen Bürgschaften der Treuhandanstalt<br />

für liquiditätskredite in Höhe von<br />

17 Mrd DM. In der mittelfristigen Finilnzplanung des<br />

Bundes sind für eine Inanspruchnahme der übernommenen<br />

Bürgschaften. Garantien und Gewährleistungen<br />

Ausgaben von jährlich rund 3,8 Mrd DM vorgesehen.<br />

Inwieweit sich dieser Ausgabenrahmen angesichts<br />

zunehmender Unsicherheiten im Außenhandelsverkehr<br />

mit Mittel- und Osteuropil einhalten läßt,<br />

bleiht fraglich.<br />

Zur konjunkturellen Würdigung des öffentlichen<br />

Defizits<br />

199. Als Bezugsrahmen <strong>zur</strong> Analyse des öffentlichen<br />

Finanzgebarens im Hinblick auf dessen kurzfristige<br />

konjunkturelle Anstoßwirkung und <strong>zur</strong> Ermittlung<br />

des mittelfristigen Konsolidierungsbedarls verwendet<br />

der Sachverständigenrat seitJahren den "konjunkturneutralen<br />

Haushalt" beziehungsweise den "konjunkturneutralen<br />

Finanzierungssaldo" (erstroals JG 68 Zilfer<br />

115) sowie das "strukturelle Defizit" (erstmals<br />

SG 82 Zilfern 57 fl.).<br />

Diesen Konzeptionen liegt als zentrale Prämisse die Vorstellung<br />

zugrunde, daß sich die Privaten hinsichtlich Umfang und Art der<br />

Finanzierung an eine bestimmte staatliche Aktivität gewöhnt<br />

haben. So wird unterstellt, daß die Privaten auch in konjunkturellen<br />

Normaljahren akzeptieren, daß der Staat einen Teil seiner<br />

Ausgaben über Kredite finanziert (<strong>zur</strong> sogenannten Normalverschuldung<br />

sieheJG 79 Ziffer 229). Gewöhnungsprozesse setzen<br />

stabile Rahmenbedingungen voraus, die es ermöglichen, daß<br />

Erlahrungen die Grundlage für die Einschätzung der Gegenwart<br />

und die Erwartungsbildung sind. Hinsichtlich des Verschuldungsverhaltens<br />

der Gebietskörperschaften erfordert die<br />

Gewöhnungshypothese eine bezogen auf das Produktionspotential<br />

stetige Entwicklung der staatlichen Einnahmen und Ausgaben;<br />

dies schließt eine Anpassung der PrNaten an ein verändertes<br />

Verschuldungsverhalten des Staates nicht aus. Um solchen<br />

Verhaltensänderungen Rechnung zu tragen, hat der Rat<br />

das Basisjahr <strong>zur</strong> Bestimmung der Normalverschuldung verschiedentlich<br />

geändert (JG 19 Ziffer 229, JG 86 Zittern 141 f.).<br />

Strukturbrüche allerdings, wie sie durch die deutsche Vereinigung<br />

ausgelöst wurden, sprengen das Konzept der Normalverschuldung<br />

und des konjunleturneutralen Haushalts; Gewöhnungsprozesse<br />

verlieren ihre Bedeutung, Erfahrung und Erwartung<br />

klaJ/en auseinander. Schlagartig hat sich nicht nur der<br />

Ausgabenbedarl des Staates erhöht, auch die Produktions- und<br />

Investitionsmöglichkeiten der Privaten haben sich abrupt erweitert.<br />

Ein Strukturbruch beschreibt die Schnittstelle zweier Gewöhnungsprozesse,<br />

der eine hat an Bedeutung verloren, der andere<br />

wird sich erst entwickeln. Dies trifft augenblicklich für den<br />

Osten als auch für den Westen der Bundesrepublik zu: Sowohl<br />

die Transformation der Zentralverwaltungswirtschaft in den<br />

neuen Bundesländern als auch die Auswirkungen der staatlichen<br />

Vereinigung aut Westdeutschland verhindern das Fortwirken<br />

zuvor bedeutsamer Gewöhnungsprozesse. Aus diesem<br />

Grund haben wir uns entschlossen, für dieses Jahr weder den<br />

konjunkturneutralen Haushalt zu berechnen noch eine Normalverschuldung<br />

auszuweisen. Damit stehen <strong>zur</strong> Bewertung der<br />

konjunkturellen Wirkungen als auch des mittelfristigen Konsolidierungsbedarfs<br />

die bisherigen Konzeptionen - konjunktureller<br />

Impuls und strukturelles Defizit - nicht <strong>zur</strong> Verfügung. Was<br />

möglich erscheint, ist unter Berücksichtigung der vergangenen<br />

und einer Einschätzung der künftigen Entwicklung die von den<br />

Privaten als tragbar eingestufte Verschuldung der öffentlichen<br />

Haushalte in diesem Jahr tendenziell zu ermitteln. Auch die<br />

gesamtwirtschattlichen Auswirkungen des tatsächlichen Defizits<br />

lassen sich nur qualitatN abschätzen.<br />

200. Die historische Erfahrung belegt, daß im Zusammenhang<br />

mit Strukturbrüchen die Ausgabenquote<br />

des Staates sprunghaft ansteigt und nach Überwindung<br />

der Krise nicht mehr auf ihr urspriingliches<br />

Niveau <strong>zur</strong>iickgeführt werden kann. Von daber liegt<br />

die Vermutung nabe, daß - ausgelöst durch die deutsche<br />

Vereinigung - die Privaten dem Staatlangfristig<br />

eine höhere Verschuldung als bisher zugestehen werden,<br />

mittelfristig mag ihnen sogar eine deutlich höhere<br />

Verschuldung akzeptabel erscheinen. Die bisher<br />

von den Privaten tolerierte Verschuldung des Staates<br />

stellt eine Untergrenze der im Jahre <strong>1991</strong> als tragbar<br />

angesehenen Staatsverschuldung dar, die Obergrenze<br />

dafür ist nicht abzuschätzen. Die bislang zu<br />

beobachtenden Wirkungen der Staatsverschuldung<br />

weisen allerdings darauf hin, daß das derzeitige Finanzierungsdefizit<br />

über das hinausgeht, was der Staat<br />

ohne negative Rückwirkungen auf Stabilität und<br />

Wachstum kreditärfinanzieren kann. So führte bereits<br />

die Erwarlung einer hohen Staatsverschuldung Anfang<br />

1990 zu einer Vertrauenseinbuße bei den internationalen<br />

Kapitalgebern (Ziffer 177). Dies wurde unterstützt<br />

durch die zu Jahresbeginn offenbar gewordene<br />

Unsicherheit der Finanzpolitik und die dadurch<br />

mitbegründete Vermutung, daß der Vereinigungsprozeß<br />

die Bundesrepublik überfordern könnte. Der im<br />

weiteren Jahresverlauf infolge der höheren Steuereinnahmen<br />

und der im Vergleich zu den Planungen<br />

moderateren Ausgabenentwicklung geringere Kreditfinanzierungsbedarl<br />

dürfte dieser Entwicklung jedoch<br />

entgegengewirkt haben.<br />

Das hohe Staatsdefizit war verantwortlich dafür, daß<br />

sich die Bundesrepublik am internationalen Kapitalmarkt<br />

nunmehr per saldo auf der Nachfrageseite befindet.<br />

Die überwiegend konsumtive Verwendung der<br />

kreditfinanzierten öffentlichen Ausgaben dürfte das<br />

Vertrauen der internationalen Kapitalanleger mit beeinträchtigt<br />

haben, zum Ausgleich gestiegener Risiken<br />

forderten diese einen speziellen Zinsaufschlag.<br />

Zusätzlich führte die durch den Staat zu verantwortende<br />

stärkere Beanspruchung des heimischen Kapitalmarkts<br />

direkt zu einem Zinsanstieg. So war die Finanzpolitik<br />

mitverantwortlich für die hohen inländischen<br />

Zinsen, die die für den wirtschaftlichen Neuaufbau<br />

in den neuen Bundesländern so dringend erforderlichen<br />

Investitionsanstrengungen behindern.<br />

201. Die hohen Ausgaben des Staates infolge der<br />

Vereinigung haben dazu geführt, daß im Jabre <strong>1991</strong><br />

die staatliche Ersparnis - als Düferenz der laufenden<br />

Einnahmen und Ausgaben - erstmals seit 1975 wieder<br />

negativ wurde. Neben der leicht rückläufigen Ersparnis<br />

der Unternehmen hat vor allem der Staat dazu<br />

beigetragen, daß die Vermögensbildung des Infandes<br />

die inländischen Nettoinvestitionen nur noch geringfügig<br />

überstieg (Tabelle 38). Für das kommende Jabr<br />

ist davon auszugehen, daß die negative Ersparnis des,<br />

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