Jahresgutachten 1991/92 - SachverstÃ¤ndigenrat zur Begutachtung ...

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Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode Drucksache 12/1618 IV. Marktwirtschaftlichen Kurs halten Zur Wirtschaftspolitik für die neuen Bundesländer Sondergutachten vom 13. April 1991 Inhalt Seite I. Anlaß des Sondergutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 252 II. Die wirtschaftliche Lage 252 III. Die mlttellrlstlge Perspektive: Chancen für ein starkes Wachstum 253 I IV. Wirtschaftspolitische Fehlsteuerung und der richtige Kurs 255 Anpassung über den Markt, nicht durch die Politik 255 Vorrang für die Privatisierung 256 Schwerpunkt Infrastruktur 258 Aufgaben am Arbeitsmarkt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 260 V. MarkIwIrtschaftlIch überzeugend führen 262 Tabellentell: I. Industrielle Warenproduktion 264 2. Zur Entwicklung in der Bauwirtschaft 265 3. Zur Entwicklung am Arbeitsmarkt 266 4. Zinsverbilligende Förderprogramme für die neuen Bundesländer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 267 251
Drucksache 12/1618 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode I. Anlaß des Sondergutachtens 1. Die Anpassungskrise der ostdeutschen Wirtschaft hat in den neuen Bundesländern den totalen Umschwung der Stimmungslage und der Erwartungen bewirkt. Die mit der Wirtschafts·, Währungs- und 80 zialunion entstandene Euphorie ist verflogen; ihre Stelle haben Unsicherheit und Furcht sowie Bitternis besetzt. Mehr und mehr Menschen in den neuen Bundesländern beurteilen die wirtschaftlichen Aussichten als schlecht. Von den verunsicherten Bürgern und in öffentlichen Unmutsäußerungen wird das rasante Tempo des Beschäftigungseinbruchs einer nicht hinreichenden Vorbereitung und Flankierung des Übergangs in die marktwirtschaftliche Ordnung zugeschrieben. Beklagt wird, daß die Menschen nicht darauf vorbereitet worden seien, in welchem Ausmaß die schlagartige überführung in die Marktwirtschaft die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes bedrohen werde. Viele haben schon aus ihren Köpfen verdrängt, daß viereinhalb Jahrzehnte sozialistischer Mißwirtschaft den Grund für die wirtschaftliche Misere gelegt haben. Die Tiefe des Einbruchs bei Produktion und Beschäftigung hat die meisten überrascht. Daß es zu einem bedeutenden Rückgang kommen werde, mußte freilich erwartet werden; denn es ist ganz und gar ausgeschlossen, eine sozialistische Wirtschaftinnerhalb weniger Monate in eine blühende Marktwirtschaft umzuwandeln. Was für den Aufbruch zur Marktwirtschaft notwendig ist - angefangen von den noch zu klärenden Eigentumsfragen über umfangreiche Investitionen bis zur Einstellung der Menschen auf die ungewohnte, neue Aufgabe -, braucht bis zu seiner Ausreifung viel Zeit (JG 90 Ziffern 300ff.). 2. Das Umfeld für eine Wirtschaftspolitik, die den Marktkräften die Schlüsselrolle bei der wirtschaftlichen Erneuerung zuweist, hat sich auch unter politischem Drängen im Westen der Bundesrepublik entscheidend verschlechtert. Im Osten wie im Westen wird dem Staat angesonnen, in den neuen Ländern selbst eine führende Rolle bei der notwendigen Unternehmenssanierung und der strukturellen Anpassung zu übernehmen. Nur wenn der Staat sich in die Sanierung ostdeutscher Unternehmen einschalte und nur wenn er dafür sorge, daß die überkommenen regionalen Strukturen nicht wegbrechen, könne der totale Kollaps der ostdeutschen Wirtschaft verhindert werden. Allein über Marktkräfte komme die wirtschaftliche Erneuerung jedenfalls nicht schnell genug voran. Das habe sich in den vergangenen Monaten gezeigt. 3. Anlaß für das Sondergutachten ist die Sorge, daß die sich ausbreitende Unruhe die Wirtschaftspolitik zu überhasteten Aktionen veranlaßt und so zu Fehlentwicklungen führt. Dieser Weg ist mit dem immer weiter vorangetriebenen Ausbau der staatlichen Fördermaßnahmen bereits eingeschlagen worden. Ungeduld darüber, daß der Beschäftigungserfolg nicht schnell kommt, könnte das Tempo des wirtschaftspolitischen Aktionismus noch beschleunigen. Das Sondergutachten wendet sich gegen eine Fortsetzung dieses wirtschaftspolitischen Kurses. Der Sachverständigenrat teilt nicht die Auffassung, daß der Einbruch der ostdeutschen Wirtschaft in eine dauerhafte Strukturkrise münden wird. Er beurteilt die mittelfristigen Wachstumsaussichten in den neuen Bundesländern als gut. Zu wirtschaftspolitischem Aktionismus gibt es keinen Anlaß. Die kritische Wirtschaftslage in den neuen Bun~ desländern erfordert nicht die Abkehr von einer auf die Marktkräfte setzenden Wirtschaftspolitik, sondern deren konsequente Anwendung. Dazu gehört vor allem, die dort noch immerbestehenden Hindernisse für wirtschaftliche Aktivitäten zu beseitigen; denn an ihnen liegt es, daß sich die Marktkräfte im Osten Deutschlands bisher nicht voll entfalten konnten. Die Wirtschaftspolitik darf sich nicht der Illusion hingeben - und diese bei anderen stützen -, daß sie das Tempo des Entstehens einer funktionieren~ den Marktwirtschaft im Osten Deutschlands durch finanzielle Fördermaßnahmen wesentlich beschleunigen könne. Ebenso muß sie der Vorstellung begegnen, daß es möglich sei, die nach marktwirtschaftlichen Kriterien nicht erhaltenswerten Teile der überkommenen Produktionsstruktur durchzuschleppen und die große Masse der alten Arbeitsplätze zu erhalten. Die staatlichen Hilfen aus dem Westen können den Aufschwung Ost lediglich anschieben. Getragen werden muß er von den Unternehmen und ihren Arbeitskräften, den Selbständigen und den Verwaltungen in den neuen Bundesländern. Schutzwürdig sind nicht die unrentablen Unternehmen und unrentable Arbeitsplätze, sondern die vom Strukturumbruch betroffenen Menschen. 4. Der Vertrauensschutz gebietet, daß die jetzt beschlossenen Fördermaßnahmen nicht vorzeitig aufge~ hoben werden. Es sollte jedoch unwiderruflich klar gemacht werden, daß die Wirtschaftspolitik den beschrittenen Weg des Förderns von allem und jedem nicht fortsetzen wird. Die Wirtschaftspolitik muß der Öffentlichkeit verständlich machen, daß es bei der schwierigen Erneuerungsaufgabe im Osten Deutschlands zu einer marktwirtschaftlichen Lösung keine Alternativen gibt. Wirtschaftspolitische Überzeugungsarbeit ist ebenso gefragt wie wirtschaftspolitische Führung auf marktwirtschaftlichem Kurs. 11. Die wirtschaftliche Lage 5. Die ostdeutsche Wirtschaft steht auch im Frühjahr 1991 unter massivem Anpassungsdruck. Kaum ein Unternehmen aus der früheren DDR ist dem Wettbewerb westlicher Konkurrenten gewachsen; allerorten brechen nun die überkommenen Strukturen zusammen, die in der marktwirtschaftlichen Ordnung keine 252
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