Jahresgutachten 1991/92 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode Drucksache 12/1618<br />
den neuen Bundesländern fürs erste vornehmlich die<br />
zerstörende Wirkung der Marktkräfte sehen und verkennen,<br />
daß das Entstehen neuer rentabler Arbeitsplätze<br />
in der Breite der Wirtschaft nicht möglich ist,<br />
wenn alte unrentable Arbeitsplätze dauerbaft erhalten<br />
bleiben und damit Boden, Kapital und Arbeitskräfte<br />
binden, ohne einzubringen, was sie kosten. So<br />
sehr deshalb auf der einen Seite flankierende sozialpolitische<br />
Maßnahmen geboten sind, so sehr ist auf<br />
der anderen Seite vor falschen wirtschaftspolitiscben<br />
Weichenstellungen zu warnen.<br />
293. Falsch wäre es, wenn sich der Staat in eine Politik<br />
drängen ließe, die Vorgaben machte, welche Wirtscbaftszweige<br />
wo und wie stark in der neuen Wirtschaftsstruktur<br />
vertreten sein sollten, und wenn er<br />
ehemalige Staatsbetriebe, die keine Aussicht haben,<br />
wettbewerbsfähig zu werden, mit Dauersubventionen<br />
am Leben erhielte. Falsch wäre es auch, wenn es dabeibliebe,<br />
daß sich die Lohnpolitik mehr an den höheren<br />
Verdiensten in der westdeutschen Wirtscbaft als<br />
arn Leistungsvermögen der ostdeutschen Wirtschaft<br />
orientiert und es den Steuerzahlern oder der Versichertengemeinschaft<br />
überläßt, für die damit verbundenen<br />
negativen Beschäftigungsfolgen aufzukommen.<br />
Falsch wäre es ferner, wenn die Arbeitsmarktpolitik<br />
mit undifferenzierten Einkommensersatzleistungen<br />
und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen den Eindruck<br />
erweckte, es sei - wie im alten Wirtscbaftssystem<br />
- Sacbe des Staates, jedem Arbeit zu geben,<br />
und eigene Initiative sei nicht dringlich.<br />
Richtig und wichtig ist es hingegen, alles daran zu<br />
setzen, daß sich möglichst rasch viel private Initiative<br />
entfaltet. Dazu zählt, die Investitionstätigkeit nicht<br />
nur durch Steuervergünstigungen und Zulagen zu<br />
fördern, sondern ihr auch durch einen beschleunigten<br />
Ausbau der Infrastrukturund den Abbauinstitutioneller<br />
und administrativerEngpässe Hemmnisse aus dem<br />
Weg zu räumen. Ebenso gilt es, die Privatisierung der<br />
im Besitz der Treuhandanstalt befindlichen Altbetriebe<br />
tatkräftig voranzutreiben, die Standortattraktivität.<br />
insbesondere von Problemregionen, zügig zu<br />
verbessern und in der Arbeitsmarktpolitik die Förderung<br />
von Umschulung und beruflicher Weiterbildung<br />
an die erste Stelle zu setzen.<br />
294. Der Umstellungsprozeß kann um so rascher<br />
verlaufen und die mit ihm verbundenen Reibungsverluste<br />
können um so geringer ausfallen, je mehr neue<br />
Unternehmen gegriindet werden. Neue Unternehmen<br />
schaffen neue Arbeitsplätze als Ersatz für alte,<br />
die an anderer Stelle aufgegeben werden müssenj<br />
unbelastet von Hypotheken der Vergangenheit können<br />
sie ihre Marktnischen finden, in diese hineinwachsen<br />
und damit der Wirtschaft Auftrieb geben.<br />
Auch die Dynamik der westdeutschen Wirtschaft lebt<br />
seit eh und je zu einem guten Teil von der Innovationskraft<br />
und der Anpassungsfähigkeit kleiner und<br />
mittlerer Unternehmen. Es wäre deshalb verfehlt, bei<br />
der Umstrukturierung der ostdeutschen Wirtscbaft<br />
nur auf die großen Unternehmen zu setzen. Aus gutem<br />
Grund nimmt die Förderung von Existenzgründungen<br />
unter den Anpassungshilfen einen wichtigen<br />
Platz ein. Rechnung zu tragen ist der Tatsache, daß<br />
neue Unternehmen die Investitionsförderung nur teilweise<br />
in Anspruch nehmen könnenj Sonderabschreibungen<br />
nutzen ihnen wegen der zunächst meist fehlenden<br />
Gewinne wenig. Vieles von dem, was an Fördennitteln<br />
aufgewandt wird, wäre zudem unnütz ausgegeben,<br />
wenn der Wettbewerb am Markt durch eine<br />
fortwährende Subventionierung alter Unternehmen<br />
oder der in wachsender Zahl eingerichteten Beschäftigungsgesellschaften<br />
verzerrtwürde. Hier giltes, den<br />
Anfängen zu wehren.<br />
295. Mit Blick auf die westdeutsche Wirtschaft stellt<br />
sich die Aufgabe, die Wachstumsdynamik, die in der<br />
zweiten Hälfte der achtziger Jahre als Folge verbesserter<br />
Angebotsbedingungen erreicht wurde, aufrechtzuerhalten<br />
und nicht erlahmen zu lassen. Gesichert<br />
ist das nicht.<br />
Weil es dem Staat nicht gelungen ist, die Prioritäten<br />
neu zu setzen und seine Ausgaben entsprechend<br />
umzuschichten, mußte er Steuerzahler wie<br />
BeitragszahIer mit höheren Abgaben belasten und<br />
vor allem massiv Kredit aufnehmen; das mindert<br />
den Anreiz, mehr zu leisten, und senkt die Rentabilität<br />
der wachstumsnotwendigen Investitionen,<br />
indem es diese zinsbedingt verteuert.<br />
Weil die Tarifvertragsparteien Lohnsteigerungen<br />
vereinbart haben, die durch den Produktivitätszuwachs<br />
nicht gedeckt sind, ist das Kostenniveau<br />
verstärkt gestiegen; das geht zu Lasten der Unternehmenserträge<br />
oder zu Lasten des Geldwertes,<br />
was weitere Verteilungskämpfe schürt, mit der<br />
Folge, daß direkt oder indirekt auch von daher<br />
Beeinträchtigungen des Investitionsklimas drohen.<br />
Hier gilt es gegenzusteuern, bevor aus einer Gefährdung<br />
der Wachsturnskräfte eine nachhaltige Wachstumsabschwächung<br />
wird.<br />
296. Die Finanzpolitik hatbis zum letzten Jahr einen<br />
angebotsorientierten Kurs verfolgt. Wohin es führt,<br />
wenn sie diesen aus den Augen verliert und wenn sie<br />
sich gegen Gruppeninteressen nicbt durchsetzt,<br />
macht nichtnur die sprunghaft gestiegene Staatsverschuldung<br />
deutlich, sondern auch die Fülle ständig<br />
neuer Forderungen, denen sie sich ausgesetzt sieht.<br />
Ein Beispiel dafür ist die Forderung nach verstärkten<br />
Wohnungsbauhilfen, die nicht zuletzt mit dem Zinsanstieg<br />
begriindet wird, an dem die Finanzpolitik mit<br />
Schuld trägt. Statt dem nachzugeben, wäre einer Erweiterung<br />
des Wohnungsangebots mehr gedient,<br />
wenn der Staat privaten Kreditnehmern weniger Konkurrenz<br />
machte und wenn im übrigen die Vertragsfreiheit<br />
im Mietrecht weniger eingeschränkt, von den<br />
Kommunen mehr Bauland ausgewiesen und die subventionierten<br />
Mieten im Sozialwohnungsbestand<br />
durch höhere Fehlbelegungsabgaben auf die Marktmieten<br />
angehoben würden.<br />
Auch die Sozialpolitik muß sich vor Nachgiebigkeit<br />
gegenüber immer neuen Forderungen und der Eröffnung<br />
neuer kostenträchtiger Leistungsfelder hüten.<br />
Die Einführung einer Pflegeversicherung im Rahmen<br />
der Gesetzlichen Krankenversicherung, die hier als<br />
besonderes Beispiel zu nennenist, würde eine weitere<br />
Erhöhung der Abgabenlast für BeitragszahIer wie Unternehmen<br />
mit sich bringen und damit sowohl der Lei·<br />
stungsmotivation als auch den Investitionsbedingun·<br />
gen schaden.<br />
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