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Jahresgutachten 1991/92 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

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ein vorübergehendes, jedenfalls behebbares Problem<br />

eingestuft wird, denn als ein Einschwenken auf einen<br />

langfristig höheren Inflationspfad.<br />

Ob es bei dieser Sicht bleibt, hängt von der weiteren<br />

Entwicklung der preisbestimmenden Faktoren ab.<br />

Nach unserer Prognose für das Jahr 19<strong>92</strong> wird sich die<br />

expansive Finanzpolitikin der bisherigen Stärke nicht<br />

fortsetzen, so daß der Nachfragesog kleiner wird. Weiter<br />

haben wir angenommen, daß die Tarifpolitik die<br />

Konsequenzen aus der Einengung des Verteilungsspielraumes<br />

zieht, so daß von der Lohnseite mit einer<br />

leichten Beruhigung des Kostenauftriebs zu rechnen<br />

ist. Realisieren sich diese Einschätzungen, so wird sich<br />

der Preisauftrieb wieder abschwächen. Jedenfalls gibt<br />

es dann keinen Grund für erhöhte Inflationserwartungen.<br />

Für die Geldpolitik ist das noch keine Entwarnung.<br />

Noch ist es nur Prognose, nicht schon Realität, daß die<br />

preistreibenden Faktoren im Jahre 19<strong>92</strong> schwächer<br />

werden. Daherist es vorerst nicht ratsam, daß die Bundesbank<br />

Zentralbankgeld zu niedrigeren Refinanzierungssätzen<br />

als den derzeitigen bereitstellt. Für die<br />

Senkung der Refinanzierungssätze gewinnt die Bundesbank<br />

erst dann und in dem Maße Spielraum, wenn<br />

und soweit sich Finanzpolitik und Tarifpolitik überzeugend<br />

auf Stabilitätskurs befinden.<br />

306. Für eine Verschärfung des geldpolitischen Kurses<br />

gibt es auch keine guten Argumente. Aus Sorge<br />

über anhaltenden Preisauftrieb die monetäre Restriktionsschraube<br />

weiter anzuziehen, hieße, eine geldpolitische<br />

übersteuerung zu riskieren. Soweit vorangegangener<br />

Kostendruck und Nachfragesog den gegenwärtigen<br />

Preisauftrieb verursachen, kann ihn auch<br />

eine weitere Verschärfung der monetären Restriktion<br />

nicht mehr aus der Welt schaffen. Da es derzeit keine<br />

Anzeichen für eine bedrohliche Zunahme der Inflationserwartungen<br />

gibt, sind zusätzliche geldpolitische<br />

Gegenmaßnahmen nicht erforderlich. Die Geldpolitik<br />

würde durch eine abrupte monetäre Verschärfung einen<br />

Rückgang bei Produktion und Beschäftigung bewirken,<br />

ohne den Preisauftrieb unmittelbar nennenswert<br />

eindämmen zu können.<br />

Eine vorsorgliche monetäre Restriktion ist schon deshalb<br />

nicht angebracht, weil auch bei unveränderter<br />

monetärer Expansion verstärkter Preisauftrieb die<br />

reale Geldversorgung verknappt, zu vermindertem<br />

Realeinkommensanstieg führt und damit disziplinierend<br />

auf die Verursacher des Preisauftriebs wirkt. Anders<br />

wäre das Urteil, wenn der Staat, die Tarifvertragsparteien,<br />

die Unternehmen und die privaten<br />

Haushalte ihre nominalen Anspruche an das Sozialprodukt<br />

weiter steigern würden und ohne jede Rücksicht<br />

auf den begrenzten realen Spielraum durchzusetzen<br />

versuchten. Das wäre eine Ausnahmesituation,<br />

die eine kräftige Verschärfung der monetären Restriktion<br />

erfordern könnte. Eine solche dramatische Situation<br />

liegt nicht vor.<br />

Die Wirkungsmöglichkeiten der Geldpolitik verschlechtern<br />

sich, wenn der Staat die Zinsreagibilität<br />

der Nachfrage durch Zinssubventionen verringert.<br />

Dies ist beispielsweise im Wohnungsbau geschehen.<br />

Weil damit zugleich die Nachfrage in der Bauwirtschaft<br />

weiter verstärkt wird, kommt es auch zu einem<br />

beschleunigten Preisauftrieb. Die Bundesbank wird<br />

Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode Drucksache 12/1618<br />

zu erhöhtem Restriktionsdruck genötigt, da die<br />

Bremswirkung monetärer Maßnahmen durch die<br />

Zinssubventionen herabgesetzt ist. Die Bremswirkungen<br />

müssen sich dann über die Wirlschaftsbereiche<br />

entfalten, in denen nicht Zinssubventionen die Anpassungslast<br />

vermindern. Die Bundesregierung muß bedenken,<br />

daß wohnungspolitisch motivierte Zinssubventionen<br />

es der Bundesbank erschweren, ihren stabilitätspolitischen<br />

Auftrag zu erfüllen.<br />

307. Vom Ausland wird die Bundesbank. immer wieder<br />

zu Zinssenkungen gedrängt. Aus der Sicht vieler<br />

europäischer Partnerstaaten läßt eine schwache Konjunkturbei<br />

sichtbaren Stabilitätsfortschritten eine monetäre<br />

Lockerung geraten erscheinen; hohe Zinsen in<br />

Deutschland sind dabei hinderlich.<br />

In der Tat stand die an binnenwirtschaftlichen Erfordernissen<br />

Deutschlands ausgerichtete Geldpolitik der<br />

Bundesbank in diesem Jahr nicht mehr so gut im Einklang<br />

mit den geldpolitischen Erfordernissen in ganz<br />

Europa, wie es früher der Fall gewesen war. Deutschland<br />

hatte bisher gegenüber den meisten Partnerstaaten<br />

einen Stabilitätsvorsprung erzielt. Die stabilitätsorientierte<br />

Geldpolitik der Bundesbank bei gleichzeitiger<br />

Stabilisierung der Wechselkurse im EWS durch<br />

die Partnernotenbanken führte unter diesen Bedingungen<br />

zu mehr Preisstabilität in ganz Europa. Nun<br />

hat Deutschland selbst mit größeren Preisproblemen<br />

zu kämpfen. Zugleich war die konjunkturelle Dynamik<br />

in Deutschland <strong>1991</strong> stärker als im Ausland. Die<br />

Zinsen in Deutschland sind höher, als sie es bei geringerem<br />

Preisauftrieb und bei schwächerer Konjunktur<br />

wären. Die hohen Zinsen in Deutschland greifen bei<br />

unveränderten Wechselkursen über den Kapitalverkehr<br />

auf Europa über.<br />

Auch eine Neufestsetzung der Wechselkurse im EWS<br />

~ Abwertung der D-Mark, Aufwertung andererWährungen<br />

- hätte an dem Zinsverbund kaum etwas<br />

geändert. Mit einemRealignmentwärendie Ursachen<br />

für die hohen deutschen Zinsen nicht entfallen. Im<br />

Gegenteil wäre es überhöhere Importkosten zu einem<br />

tendenziell verstärkten Preisauftrieb gekommen, der<br />

die Zinsen noch weiter nach oben getrieben hätte.<br />

Die Forderung nach "niedrigen" deutschen Zinsen<br />

grellt zu kurz, wenn sie nicht die Risiken forderter<br />

Anstrengungen zu Zinssenkungen bedenkt. Mit Blick<br />

auf das Wirtschaftswachstum wären für Europa sicherlich<br />

niedrigere langfristige deutsche Zinsen giinstiger.<br />

Die Geldpolitik kann dazu aber nur bedingt<br />

beitragen. Eine expansive Geldpolitik müßte in<br />

Deutschland unter den gegebenen Umständen das<br />

inflationäre Klima zusätzlich verschlechtern. Dielangfristigen<br />

Zinsen würden weiter nach oben getrieben.<br />

Die zu erwartende beschleunigte Inflation griffe - bei<br />

den festen EWS-Wechselkursen - früher oder später<br />

auf die europäischen Partnerstaaten über. Der in Jahren<br />

erzielte Stabilitätsfortschritt in Europa würde wieder<br />

gefährdet werden. Nur dann wären niedrigere<br />

Zinsen ein Gewinn für alle in Europa, wenn sie nicht<br />

mit Verlusten bei der Preisstabilität erkauft werden<br />

müßten.<br />

Die Ursachen für die hohen deutschen Zinsen liegen<br />

in der deutschen Vereinigung. 1m Urteil der Kapitalmärkte<br />

sind die mit der Vereinigung einhergehenden<br />

volkswirtschaftlichen Risiken so hoch, daß für Anla-<br />

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