Jahresgutachten 1991/92 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Drucksache 12/1618 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode<br />
208. In den neuen Bundesländern wurde gemäß Einigungsvertrag<br />
zum 1. Januar <strong>1991</strong> das bundesdeutsehe<br />
Krankenversicherungsrecht nach Sozialgesetzbuch<br />
V in Kralt gesetzt und ein gegliedertes System<br />
der Krankenkassen eingeführt, wobei die östlichen<br />
Kassen zu einer eigenständigen Haushaltsführung<br />
verpflichtet sind. Für alle Kassen war im Einigungsvertrag<br />
ein einheitlicher, am Durchschnitt der westdeutschen<br />
Sätze zu Anfang 1990 orientierter Beitragssatz<br />
von 12,8 vH festgelegt worden, so daß die Beitragsentwicklung<br />
nach Beseitigung der erhebungstechnischen<br />
Probleme von der Beschäftigungsentwicklung<br />
sowie dem Anstieg der Löhne und Gehälter<br />
determiniert wurde; zudemwurde die Beitragsbemessungsgrenze<br />
auf 2550 DM monatlich erhöht (in Westdeutschland:<br />
4 875 DM im Monat). Aus abrechnungstechnischen<br />
Gründen standen den Ost-Krankenkassen<br />
allerdings nur Beitragseinnahmen aus elf Monaten<br />
<strong>zur</strong> Verfügung, so daß eine entsprechende Uquiditätslücke<br />
zu überbrücken war; insgesamt ist von<br />
einem Beitragsaufkommen von 18V2 Mrd DNl auszugehen.<br />
Zur Deckung des Defizits in Höhe von<br />
1 Mnl DM konnten die Kassen Betriebsmitleldarlehen<br />
aufnehmen, deren Verzinsung und Tilgung bei der<br />
Beitragssatzberechnung für 19<strong>92</strong> zu berücksichtigen<br />
sind. Die zu erwartende defizitäre Entwicklung kann<br />
grundsätzlich nicht über einen Finanzausgleich zwischen<br />
westdeutschen und ostdeutschen Krankenkassen<br />
aufgefangen werden, da dies nur für bundesweit<br />
agierende Kassen möglich ist. Zwischen regional begrenzten<br />
Kassen wie den Ortskrankenkassen sind finanzielle<br />
Hilfen gemäß §§ 266 f. Sozialgesetzbuch V<br />
nur zulässig, wenn der Bedarfssatz einer Kasse den<br />
durchschnittlichen Bedarfssatz der Kassenart um<br />
12,5 vH übersteigt und ein Finanzausgleich auf Landesverbandsebene<br />
stattgefunden hat. Gemäß Einigungsvertrag<br />
kann die getrennte Haushaltsführung<br />
aufgegeben werden, wenn sich die wirtschaftlichen<br />
Verhältnisse in Ostdeutschland denen im Westen angeglichen<br />
haben; hier besteht für die Krankenkassen<br />
ein Ennessensspielraum.<br />
209. Die Ausgabenentwicklung war zu Beginn dieses<br />
Jahres wesentlich geprägt durch das Scheitern der<br />
im Einigungsvertrag anvisierten Kostendämpfung bei<br />
den Arzneimitteln mittels eines Preisabschlags in<br />
Höhe von 55 vH (sogenannter "Einstiegswinkel<br />
45 vH"). Hierdurch sollte die finanzielle Belastung der<br />
Krankenversicherungen durch ein Vordringen der<br />
wesentlich teuereren westdeutschen Produkte vermindert<br />
werden. Dieser Preisabschlag war lediglich<br />
bis zum 31. März <strong>1991</strong> wirksam, er wurde auf massiven<br />
Druck der Pharmaindustrie (Arzneimittelboykott<br />
im Januar) für den Zeitraum 1. April <strong>1991</strong> bis 31. Dezember<br />
1993 auf 22 vH bei Apotheken, 24 vH beim<br />
Großhandel und 25 vH bei den Herstellern gesenkt.<br />
Diese Abschlagsätze ergaben sich für <strong>1991</strong> schätzungsweise<br />
aufgrund des Finanzierungsbeitrags dieser<br />
tvlarktbeteiligten an einem Defizit der Krankenkassen<br />
bei den Arzneimittelausgaben. Ein solches Defizit<br />
liegt vor, wenn die Ausgaben für Arzneimittel<br />
15,6 vH der Beitragseinnahmen überschreiten. Die<br />
Apotheken, der Großhandel und die Pharmaindustrie<br />
übernehmen für den Zeitraum 1. April <strong>1991</strong> bis<br />
31. März 19<strong>92</strong> einen Fehlbetrag von bis zu 500 Mio<br />
DM, für den Zeitraum 1. April 19<strong>92</strong> bis 31. März 1993<br />
von bis zu 1 Mrd DM und für den Zeitraum I. April<br />
144<br />
1993 bis 31. Dezember 1993 von his zu 700 Mio DM,<br />
darüber hinausgehende Defizite der Krankenversicherungsträger<br />
werden von diesen Marktbeteiligten<br />
zu 50 vH übernommen. In diesem Jahr hat zusätzlich<br />
der Bund den Krankenkassen indirekt einen Zuschuß<br />
für die Deckung von Fehlbeträgen im Arzneimitlelbereich<br />
gezahlt,·indem er auf die Rückzahlung von<br />
0,6 Mrd DM aus der 1990 zugewiesenen und in Höhe<br />
von 1,3 Mrd DM nicht benötigten liquiditätshilfe verzichtete.<br />
Durch diesen Zuschuß wurde es möglich, daß<br />
die Pharmaindustrie aus der im Einigungsvertrag vorgesehenen<br />
Beteiligung an der Kostendämpfung im<br />
ostdeutschen Gesundheitswesen zumindest partiell<br />
entlassen werden konnte.<br />
Arbeitslosenversicherung:<br />
Hohe Transferzahlungen für Ostdeutschland<br />
210. Die Arbeitslosenversicherung war bereits im<br />
vierten Quartal 1990 für die beiden Teile Deutschlands<br />
zusammengeführt worden und besaß als einziger<br />
Sozialversicherungsträgerin diesem Jahr die<br />
Möglichkeit eines internen Finanzausgleichs. Versucht<br />
man, die Arbeitslosenversicherung in einen<br />
westdeutschen und einen ostdeutschen Teil zu trennen,<br />
so läßt sich ein Transfer von West nach Ost in<br />
Höhe von 23 Mrd DM ermitteln. In den westlichen<br />
Bundesländern führte die positive Entwicklung auf<br />
dem Arbeitsmarkt zu einer weiteren deutlichen Entlastung<br />
beim Arbeitslosengeld und beim Kurzarbeitergeid,<br />
der jedoch - wie schon 1990 - Mehraufwendungen<br />
für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen gegenüberstanden,<br />
so daß die Ausgaben insgesamt auf<br />
dem Niveau des Vorjahres verblieben. Dabei spielte<br />
auch eine Rolle, daß bedingt durch die kräftigere Zunahme<br />
der Löhne und Gehälter die monatlichen<br />
durchschnittlichen Leistungen an Arbeitslose weiter<br />
anstiegen. Die Ausgaben in Westdeutschland wären<br />
bei konstantem Beitragssatz ohne Defizit zu finanzieren<br />
gewesen, da die Beitragseinnahmen hier, wie bei<br />
den übrigen Sozialversicherungsträgem, ebenfalls<br />
von der guten Konjunktur und der Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze<br />
profitierten. Dabei entwikkelten<br />
die Beitragseinnahmen der Arbeitslosenversicherung<br />
eine solche Dynamik, daß der ursprünglich<br />
vorgesehene Bundeszuschuß in Höhe von 2,3 Mrd DM<br />
nicht benötigt wurde.<br />
Die Anhebung des Beitragssatzes ermöglichte die Finanzierung<br />
des im Beitrittsgebiet verursachten Defizits.<br />
Die Ausgaben für Ostdeutschland betrugen<br />
42 vH der Gesamtausgaben der Bundesanstalt für Arbeit<br />
(Schaubild 29), der größte Teil davon entfiel auf<br />
die Leistungen bei Arbeitslosigkeit und das Kurzarbeitergeid,<br />
wobei letzteres wegen der bis Jahresende<br />
verlängerten Sonderregelungen tür das Beitrittsgebiet<br />
bedeutsamer war als im Westen. Durch den Einigungsvertrag<br />
war für Arbeitnehmer jenseits des<br />
57. Lebensjahres, die aus einer sozialversicherungspflichtigen<br />
Beschäftigung ausscheiden, ein Altersübergangsgeld<br />
- befristet bis zum 31. Dezember<br />
<strong>1991</strong> - eingeführt worden, das den Haushalt der Bundesanstalt<br />
für Arbeit mit 1,5 Mrd DM belastete. Diese<br />
Sozialleistung ist mit dem Vorruhestandsgeld zu vergleichen,<br />
das in Westdeutschland zum 31. Dezember<br />
1988 auslief.