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Jahresgutachten 1991/92 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

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529. Das heute <strong>zur</strong> Verfügung stehende Instrumentarium<br />

der Arbeitsmarktpolitik ist für das alte Bundesgebiet<br />

entwickelt und dort erprobt worden. Zur Bewältigung<br />

der Probleme auf dem Arbeitsmarkt in den<br />

neuen Bundesländern kommt es in bisher ungekannten<br />

Dimensionen zum Einsatz und verändert damit<br />

seine Qualität. Während bislang im alten Bundesgebiet<br />

der gezielte Einsatz von Maßnahmen <strong>zur</strong> Überwindung<br />

konkreter Hindernisse bei der Integration<br />

von Problemgruppen in den Arbeitsmarkt im Vordergrund<br />

stand, geht es beiArbeitsbeschaffungsmaßnahmen<br />

in den neuen Bundesländern vorwiegend darum,<br />

große Gruppen von Arbeitnehmern, oft ganze Belegschaften,<br />

in einer vorläufigen Beschäftigung aufzufangen.<br />

Grundsätzlich ist das Ziel von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmenzwarimmer,<br />

Motivation und Qualifikation<br />

der Arbeitnehmer zu erhalten und ihnen darüber<br />

hinaus neue Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln.<br />

Primär geht es derzeit jedoch darum, den<br />

Übergang in die offene Arbeitslosigkeit zumindest für<br />

eine gewisse Zeit hinauszuschieben.<br />

Neu ist auch, daß als Träger von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen<br />

in großem Umfang eigene Beschäftigungs-<br />

und Qualilizierungsgesellscbalten ("Gesellschaften<br />

<strong>zur</strong> Arbeitsförderung, Beschäftigung und<br />

Strukturentwicklung U , kurz: "ABS-Gesellschaften")<br />

gegründet werden. Derzeit entsteht ein flächendekkendes<br />

System von ABS-Gesellschaften. So ist in<br />

Sachsen unter der Bezeichnung "Aufbauwerk im<br />

Freistaat Sachsen" mit Beteiligung der öffentlichen<br />

Hand (Freistaat Sacbsen und Treuhandanstalt), der<br />

Gewerkschaften, der Arbeitgeber und anderer Gesellschafter<br />

(darunter Industrie- und Handelskammern<br />

und die Dresdner Bank) eine Trägergesellschaft<br />

geschaffen worden, die ihrerseits in allen elf Arbeitsamtsbezirken<br />

des Landes regionale Trägergesellschaften<br />

einrichten soll, die dann wiederum die Aktivitäten<br />

der einzelnen ABS-Gesellschaften koordinieren.<br />

Hier entstehen organisatorische Strukturen von<br />

politischem Gewicht, bei denen nicht abzusehen ist,<br />

welche Wirkung sie in Zukunft noch entfalten werden.<br />

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen werden in den<br />

neuen Ländern nicht wie herkömmlich als flankierende<br />

Hilfe <strong>zur</strong> Erleichterung der Anpassung an die<br />

Erfordernisse des Arbeitsmarktes gesehen, sondern<br />

als Alternative <strong>zur</strong> finanziellen Unterstützung der Arbeitslosen<br />

durch Arbeitslosengeld. Allerdings kann<br />

nur eine Minderheit derer, die ihren Arbeitsplatz verlieren,<br />

durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aufgefangen<br />

werden.<br />

530. Die im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen<br />

beschäftigten Arbeitnehmerbilden heute bereits<br />

ein nicht mehr unbeachtliches Segment des Gesamtangebots<br />

auf dem Arbeitsmarkt. Charakteristisch<br />

für dieses Marktsegment ist, daß die Entlohnung der<br />

Arbeitnehmer hinter der in anderen Bereichen nicht<br />

<strong>zur</strong>ücksteht, die für den Träger der Maßnahme relevanten<br />

Arbeitskosten abernur einen kleinen Bruchteil<br />

der Löhne ausmachen oder sogar ganz entfallen. Die<br />

Problematik des zweiten Arbeitsmarktes liegt darin,<br />

daß die Träger von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen,<br />

vor allem die ABS-Gesellschaften, in Wettbewerb mit<br />

privaten Unternehmen treten, und zwar in zweierlei<br />

Hinsicht, auf dem Arbeitsmarkt und auf dem Markt<br />

Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode Drucksache 12/1618<br />

der angebotenen Güter und Leistungen. Sie haben<br />

einen zweifachen Wettbewerbsvorteil. In dem Maße,<br />

in dem sie von den Arbeitskosten entlastet sind, kommen<br />

sie mit entsprechend niedrigeren Preisen aus.<br />

Zugleich können sie den Arbeitnehmern Löhne bieten,<br />

die nicht niedriger, in manchen Fällen sogar höher<br />

sind als die der nicht in entsprechender Weise<br />

begünstigten Unternehmen.<br />

531. Wettbewerbsverzerrungen durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen<br />

sind unerwünscht. Deswegen<br />

macht das Arbeitsförderungsgesetz die Gewährung<br />

von Zuschüssen davon abhängig, daß ndie Arbeiten<br />

sonst nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt<br />

durchgeführt würden" (§ 91 Abs. 2 AFG); es muß sich<br />

also um zusätzliche Leistungen handeln, die ohne die<br />

Maßnahme im gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt<br />

nicht zustande kämen; außerdemverlangt das Gesetz,<br />

daß die Arbeiten im öffentlichen Interesse liegen. Daß<br />

es sich um zusätzliche Leistungen im angegebenen<br />

Sinne handelt, kann auf zweierlei Weise begründet<br />

werden. Zum einen kann es sich um Leistungen handeln,<br />

für die gar kein anderer Anbieter <strong>zur</strong> Verfügung<br />

steht; zum anderen kann es sein, daß die Leistungen<br />

ohne die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nicht finanziert<br />

werden könnten.<br />

Der erste Fall dürfte selten sein; für typische Leistungen<br />

von ABS-Gesellschaften wie Demontage von Betriebsanlagen,<br />

Gebäudesanierung, Beseitigung von<br />

Altlasten mögen zwar zunächst Anbieter fehlen. Doch<br />

würde die Aussicht auf Vergabe von Aufträgen ein<br />

Betätigungsfeld für bestehende Unternehmen eröffnen,<br />

die sich spezialisieren und in professioneller<br />

Weise den jeweiligen Aufgaben widmen könnten.<br />

Durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wird der<br />

Marktzugang von vornherein versperrt.<br />

Der zweite Fall liegt beispielsweise vor, wenn eine<br />

Kommune über Arbeitsbeschaffungsmaßnalunen<br />

Bauarbeiten durchführen läßt, für die sie sonst keine<br />

Mittel hätte. Auch dann handelt es sich um eine zusätzliche<br />

Leistung; es gibt zwar private Anbieter, aber<br />

ihnen entgeht kein Auftrag, weil die Bauarbeiten<br />

ohne die Maßnahme unterbleiben würden. Ob eine<br />

Leistung tatsächlich in diesem Sinne zusätzlich ist,<br />

läßt sich allerdings im Einzelfall schwer überprüfen.<br />

Zwischen der Zusätzlichkeit einer im Rahmen von<br />

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen erbrachten Leistung<br />

und dem öffentlichen Interesse daran besteht<br />

ein Spannungsverhältnis. Je dringender das öffentliche<br />

Interesse ist, desto eher ist zu vermuten, daß die<br />

Leistung auch ohne Arbeitsbeschaffungsmaßnahme<br />

zustande käme.<br />

Davon abgesehen wird deutlich, daß die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme<br />

in diesem Fall letztlich auf eine<br />

Subventionierung der Gemeinde durch die Bundesanstalt<br />

für Arbeit hinausläuft. Es wäre sinnvoller,<br />

wenn die dafür eingesetzten Mittel der Gemeinde<br />

unmittelbar <strong>zur</strong> Verfügung stünden. Sie könnte dann<br />

Aufträge vergeben, die die private Wirtschaftstätigkeit<br />

anregen; bei Vergabe der Arbeiten an private<br />

Unternehmen wäre zudem mit höherer Effizienz zu<br />

rechnen. Öffentliche Mittel werden bier fehlgeleitet:<br />

Bundesmittel, die über den Zuschuß an die Bundesanstalt<br />

für Arbeit fließen, würden auch unter arbeitsmarktpolitischen<br />

Gesichtspunkten besser direkt den<br />

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