Jahresgutachten 1991/92 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode Drucksache 12/1618<br />
Wie in der geldpolitischen Diagnose ausführlich dargelegt<br />
wird, ist es 1990 und <strong>1991</strong> zu deutlichen Änderungen<br />
sowohl des Geldangebotsmultiplikators als<br />
auch der Umlaufsgeschwindigkeit gekommen. Ursächlich<br />
dafür sind vor allem die unterschiedlichen<br />
Kassenhaltungsgewohnheiten in Ostdeutschland und<br />
in Westdeutschland. Der Geldangebotsmultiplikator<br />
ist sprunghaft angestiegen und im weiteren Verlauf<br />
des Jahres <strong>1991</strong> abgesunken. Die Umlaufsgeschwindigkeit<br />
der Geldmenge M3 ist dagegen gesunken.<br />
Wie sich der Geldangebotsmultiplikator und die Umlaufsgeschwindigkeit<br />
im Jahre 19<strong>92</strong> entwickeln werden,<br />
ob und wann sich trendmäßige Änderungen wie<br />
vor der deutschen Vereinigung einstellen, kann heute<br />
noch nicht verläßlich vorausgesagt werden. Paßt sich<br />
die noch vergleichsweise niedrige Bargeldpräferenz<br />
in den neuen Bundesländern der in den alten Bundesländern<br />
dU, wird der Geldangebotsmultiplikatof <strong>zur</strong>ückgehen.<br />
Setzt sich die Portfolioumschichtung in<br />
den neuen Bundesländern zugunsten des Geldkapitals<br />
fort, wird die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes<br />
wieder ansteigen.<br />
Auch aus anderem Grund besteht Unsicherheit über<br />
die Entwicklung der Geldnachfrage im nächsten Jahr.<br />
Es deutet einiges darauf hin, daß die D-tvlark in einigen<br />
Staaten Osteuropas in zunehmendem tvlaße als<br />
PaTdlleLwährung Verwendung findet. Es ist allerdings<br />
nicht absehbar, ob sich dieser Prozeß im nächsten Jahr<br />
fortsetzen wird. Derartige Veränderungen der Geldnachfrage,<br />
die einer Ausweitung des Währungsgebietes<br />
entsprechen würden, sind von der Geldpolitik zu<br />
akkommodieren, will sie nicht zusätzlichen Restriktionsdruck<br />
erzeugen; sie können jedoch nicht apriori<br />
in der Zielformulierung berücksichtigt werden.<br />
311. Ein weiterer Vorbehalt muß hinsichtlich der unterstellten<br />
Zuwachsrate für das Produktionspotential<br />
von 3 t h vH gemacht werden. Die Potentialentwicklung<br />
in den neuen Bundesländern ist ungewiß, da<br />
nicht hekannt ist, welcher Teil des vorhandenen Kapitalstocks<br />
rentabel genutzt werden kann und mit welcher<br />
Kraft die Kapitalbildllng im nächsten Jahr vorankommen<br />
wird. Vorerst kann nur hilfsweise der Anstieg<br />
der gesamtwirtschaftlichen Produktion als Indikator<br />
für die Potentialausweitung verwendet werden.<br />
Unterstellt wurde eine Produktionsausweitung in der<br />
Größenordnung von 7 vH. Vorausschätzungen der<br />
Produktionsentwicklung sind für die neuen Bundesländer<br />
wesentlich ungewisser als für die alten Bundesländer.<br />
Sollte die aktuelle Wachstumsrate in den<br />
neuen Bundesländern deutlich hinter dem erwarteten<br />
Wert <strong>zur</strong>ückbleiben, müßte der Zielwert für die Expansion<br />
der bereinigten Zentralbankgeldmenge herabgesetzt<br />
werden.<br />
312. Wenn es durch den weitPren Abbau von Verbraucherpreissubventionen<br />
in den neuen Bundesländern<br />
zu einer größeren BerPinigung in der Preisstruktur<br />
kommen sollte und wenn die geplanten Anhebungen<br />
der indirekten Steuern, vor allem der Mehrwertsteuer,<br />
realisiert werden, muß die Zielvorgabe für die<br />
bereinigte Zentralbankgeldmenge überprüft und gegebenenfalls<br />
angepaßt werden.<br />
Soweit die Änderungen der Subventionen und indirekten<br />
Steuen} einen Preisniveauanstieg verursachen,<br />
würde bei gegebenen Transaktionsmengen das<br />
nominale Transaktionsvolumen in der Volkswirtschaft<br />
ansteigen. Derartigen Preisanpassungen - und<br />
nur solchen - müßte die Bundesbank mit einer entsprechenden<br />
Ausweitung der bereinigten Zentralbankgeldmenge<br />
Rechnung tragen. Andernfalls käme<br />
es zu einer unerwünschten Gewinnkompression, da<br />
man unterstellen muß, daß die kontraktbedingten und<br />
administrativ festgelegten Einkommen den Mehrbetrag<br />
aus Subventionsabbau oder Steueranhebung<br />
nicht auffangen würden. Es kann freilich nicht darum<br />
gehen, jedweden staatlich verursachten Preisimpuls<br />
zu alimentieren. Kleinere Preisänderungen sind ohnehin<br />
im Rahmen der im Geldmengenziel eingerechneten<br />
Preissteigerungsrate berücksichtigt. Eine monetäre<br />
Anpassung kommt nur in Frage, wenn es sich um<br />
nennenswerte Preisimpulse durch den Staat handelt<br />
(Anstieg des Preisindex um mehr als ein halbes Prozent).<br />
Die monetäre Alimentierung ist vertretbar, da es sich<br />
bei den angegebenen Preiseinflüssen um Einmaleffekte<br />
handelt, die als solche nicht als inflationäre Beschleunigung<br />
gewertet werden dürfen. Die Alimentierung<br />
ist jedoch nur zu rechtfertigen, wenn dieser<br />
einmalige Preisirnpuls nicht zum Anlaß genommen<br />
wird, in der Folge eine darauf bezogene Anhebung<br />
der kontraktbestimmten und administrativ festgelegten<br />
Einkommen durchzusetzen; denn sonst würde der<br />
einmalige Preisimpuls eine Kettenreaktion weiterer<br />
Preissteigerungen auslösen. Wenn also bei den kommenden<br />
Tarifverhandlungen die angekündigte Mehrwertsteuererhöhung<br />
den Anlaß für eine zusätzliche<br />
Nominallohnanhebung gäbe, käme eine monetäre<br />
Alimentierung dieser zusätzlichen Preisimpulse nicht<br />
in Betracht. Vertritt die Geldpolilik glaubwürdig, daß<br />
sie nur den primären Preisimpuls, nicht aber darauf<br />
folgende weitere Lohn- und Preissteigerungen alimentiert,<br />
wird das in die Erwartungen der Tarifvertragsparteien<br />
eingehen und diese davon abhalten, aus<br />
dem staatlichen Preisimpuls die falschen Konsequenzen<br />
für die Lohnpolitik zu ziehen. Täten sie es nicht,<br />
gingen sie ein erhebliches Beschäftigungsrisiko ein.<br />
Ein Mitglied des Sachverständigenrates, Horst Siebert,<br />
hat hierzu eine andere Meinung: Es ist bedenklich,<br />
eine von der Wirtschaftspolitik herbeigeführte<br />
strukturelle Anpassung der Preise - von der ein<br />
Niveaueffekt erwartet wird - durch eine Geldmengenexpansion<br />
zu alimentieren; ein Abgehen von der<br />
Orientierung der Geldmengenexpansion an der Zunahme<br />
des Produktionspotentials ist aus grundsätzlichen<br />
Erwägungen nicht an<strong>zur</strong>aten. Einmal ist die Anpassung<br />
der Nachfrage an die neuen Relativpreise<br />
erwünscht. Dabei findet in einer interdependenten<br />
Volkswirtschaft eine Vielzahl von einzelwirtschaftlichen<br />
Anpassungen statt. Zum anderen kann man bei<br />
einer Anpassung der Preisstruktur nicht darauf setzen,<br />
daß die Wirtschaftssubjekte den bei einer Alimentierung<br />
durch die Geldpolitik auftretenden Preisniveauanstieg<br />
nicht wahrnehmen und der Geldillusion<br />
unterliegen. Vielmehr werden sie bei rationalen<br />
Erwartungen die Preisniveauänderung antizipieren<br />
und ihr Verhalten entsprechend darauf einstellen.<br />
Dies gilt für alle ihre Entscheidungen, aber auch für<br />
das Verhalten der Tarifvertragsparteien. Wenn das<br />
Argument, bei wirtschaftspolitisch bedingten Änderungen<br />
der Relativpreise mit erwartetem Preisniveaueffekt<br />
sei eine monetäre Alimentation erforderlich,<br />
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