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Jahresgutachten 1991/92 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

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Drucksache 12/1618 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode<br />

Bundesländer tatkräftig zu unterstützen, aber nur wenige<br />

sind bereit, hierfür auch nur auf Teile des Einkommenszuwachses<br />

zu verzichten.<br />

288. Die Wirtschaftspolitik muß sich konsequent auf<br />

die grundlegend veränderten Gegebenheiten in<br />

Deutschland einstellen. Sie kann nicht länger so tun,<br />

als gehe es beim Aufbau einer nenen, wettbewerbsfähigen<br />

Wirtschaft in den neuen Bundesländern um<br />

eine Aufgabe, die zusätzlich zum bisherigen Pensum<br />

zu bewältigen sei, so daß alles andere beim alten bleiben<br />

könne. Da öffentliches Geld knapp ist - und mit<br />

Blick auf die gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit<br />

knapp sein muß -, sind nach der politischen Einigung<br />

die Prioritäten nach einem gesamtdeutschen<br />

Maßstab neu zu setzen. Was in den alten Bundesländern<br />

vordem als dringlich galt, mag es weiterhin sein,<br />

doch nun eben nicht immer dringlich genug, um nicht<br />

hinter dem <strong>zur</strong>ückstehen zu müssen, was in den<br />

nenen Bundesländern auf Verbesserung wartet:<br />

In der sektoralen Strukturpolitik stellt sich die<br />

Frage nach der Berechtigung überkommener Subventionen<br />

verschärft, wo diese nicht nur öffentliches<br />

Geld kosten, das an anderer Stelle dringend<br />

gebraucht wird, sondern zudem den Wettbewerb<br />

zu Lasten von Anbietem aus den nenen Bundesländern<br />

verzerren, die Subventionen für den westdeutschen<br />

Steinkohlebergbau sind hier das wichtigste,<br />

jedoch nicht das einzige Beispiel.<br />

In der regionalen Strukturpolitik muß die Erhöhung<br />

der Standortqualität strukturschwacher ostdeutscher<br />

Regionen Vorrang vor einer Förderung<br />

westdeutscher haben, die in gesamtdeutscher Betrachtung<br />

allemal besser dastehen, dazu gehört<br />

der beschleunigte Abbau der verbliebenen Zonenrandförderung<br />

ebenso wie eine Neuabgrenzung<br />

der Fördergebiete in den alten Bundesländern.<br />

In der Umweltschutzpolitik ist bei allen mit öffentlichem<br />

Geld geförderten Maßnahmen zu beachten,<br />

daß diese angesichts der immensen Altlasten,<br />

die der Sozialismus hinterließ, in den neuen Bundesländern<br />

vergleichsweise mehr bewirken als in<br />

den alten.<br />

Solange die Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen<br />

Wirtschaft noch nicht an die der westdeutschen heranreicht,<br />

müssen auch in der Lohnpolitik andere Maßstäbe<br />

als bisher gelten. Wie rasch die Löhne in den<br />

neuen Bundesländern zu denen in den alten Bundesländern<br />

aufschließen können, ist dabei nicht die einzige<br />

Frage. Fragen müssen sich die Tarifvertragsparteien<br />

auch, was eine vertretbare Lohnsteigerung im<br />

Westen ist, wenn diese zugleich das Ausmaß des im<br />

Osten geltend gemachten Nachholanspruchs bestimmt<br />

und so die dortigen Beschäftigungsprobleme<br />

wesentlich mitbeeinflußt.<br />

289. Bei all dem darf der rasche Wandel nicht aus<br />

dem Blick geraten, in dem sich das Umfeld Deutschlands<br />

befindet. Rundum schreitet der Abbau nationaler<br />

Grenzen fort und mit ihm die Internationalisierung<br />

der Produktion wie die Globalisierung der Märkte.<br />

Das erhöht auf der einen Seite den Wettbewerbsdruck,<br />

verbessert auf der anderen Seite aber auch die<br />

Absatzmöglichkeiten von Unternehmen und die Ent-<br />

wicklungschancen von Regionen, die sich als konkurrenzfähig<br />

erweisen.<br />

In ihrer ganzen Reichweite noch nicht annähernd abzuschätzen<br />

sind die Herausforderungen, die sich mit<br />

der Aufgahe stellen, die ehemals sozialistischen<br />

Volkswirtschaften in Osteuropa auf ihremReformkurs<br />

und beiihrem Bestreben zu unterstützen, wirtschaftli·<br />

chen Anschluß an den Westen zu finden. Nicht allein<br />

technische und finanzielle Hilfen sind gefragt, ebenso<br />

wichtig ist der Zugang zu den westlichen Absatzmärkten,<br />

ohne den die osteuropäischen Länder die<br />

notwendige Exportbasis nicht aufbauen und die Devisen<br />

nicht verdienen können, die sie <strong>zur</strong> Bezahlung<br />

von importen wie für den Schuldendienst auf die ihnen<br />

gewährten Kredite brauchen. Ein Fehlschlagen<br />

der Anstrengungen der Reformländer hätte fatale Folgen<br />

für die wirtschaftliche und politische Stabilität in<br />

ganz Europa, Folgen, die das benachbarte Deutschland<br />

mehr noch als andere Länder fürchten müßte.<br />

Eine massive Zuwanderungswelle wäre nicht das ein·<br />

zige Problem.<br />

290. Wohlgemerkt: Es gehtweder um Aufgaben, die<br />

nicht zu bewältigen sind, noch geht es um Strategien<br />

für magere Jahre. Es geht darum, die Chancen nicht<br />

zu verspielen, die ein fortschreitendes Zusammenwachsen<br />

der vorerst nncb ungleichen Teile Deutschlands<br />

und der Abbau von Grenzen in Europa einer<br />

leistungsstarken Volkswirtschaft auf mittlere Sicht<br />

bieten. Die Sicherung der Wachstumskräfte und die<br />

Rückgewinnung der Geldwertstabilität müssen deshalb<br />

die Grundlinie der Wirtschaftspolitikund die Rollenverteilung<br />

auf die Akteure bestimmen.<br />

Sicherung der Wachstumskräfte<br />

291. Die Angleichung der Lebensverhältnissein den<br />

neuen an die in den alten Bundesländern kann nicht<br />

auf Dauer durch Transferzahlungen erfolgen. In Ostdeutschland<br />

müßte dies den Willen, es aus eigener<br />

Kraft zu etwas zu bringen, über kurz oder lang erlahmen<br />

lassen, und in Westdeutschland wäre dafür nicht<br />

mit anhaltender politischer Zustimmung zu rechnen.<br />

Der Weg <strong>zur</strong> Angleichung der Lebensverhältnisse<br />

muß vielmehr über den Aufbau einer wettbewerbsfä·<br />

higen Wirtschaftsbasis in den neuen Bundesländern<br />

führen, die diesen Schritt für Schritt ein eigenständiges<br />

Vorwärtskommen und damit ein Aufholen ermöglicht.<br />

Auf Hilfe <strong>zur</strong> Selbsthille werden die neuen Bundesländer<br />

freilich - darüber sollte es keine falschen<br />

Erwartungen geben - so bald noch nicht verzichten<br />

können.<br />

2<strong>92</strong>. Die Marktkräfte wirken zugleich zerstörend<br />

und aufbauend. Beides geht bei einem Strukturwandei,<br />

wie ihn der technische Fortschritt, Veränderungen<br />

im Nachfrageverhalten oder die internationale<br />

Arbeitsteilung in einer Wettbewerbswirtschaft ständig<br />

mit sich bringen, Hand in Hand. Bei der Umwandlung<br />

einer sozialistischen Planwirtschaft in eine<br />

Marktwirtschaft handelt es sichjedoch nichtum einen<br />

normalen Strukturwandel, sondern um einen Strukturbruch.<br />

Der Zusammenbruch des Alten geht notwendigerweise<br />

sehrviel schnellervor sich als der Aufbau<br />

des Neuen. Es ist daherverständlich, daß viele in<br />

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