Jahresgutachten 1991/92 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode Drucksache 12/1618<br />
Grenzen - wirkten auf eine Ausweitung der Beschäftigung<br />
hin. Zudem kann die Beschäftigungsausweituog<br />
als Resultat einer seit der zweiten Hälfte der<br />
achtziger Jahre generell verstärkten wirtschaftlichen<br />
Dynamik gewertet werden. die nicht zuletzt deswegen<br />
möglich war, weil die Löhne in dieser Zeit im<br />
Ganzen dem produktivitätsorientierten Pfad folgten,<br />
der Lohnstückkostenanstieg niedrig blieb und sich die<br />
tür die Beschäftigung entscheidende Kosten-Erlös<br />
Relation der Unternehmen nachhaltig verbessern<br />
konnte. [n diesem Umfeld war es möglich, daß in diesem<br />
Jahr trotz überhöhter Lohnsteigerungen, gemessen<br />
an der Produktivitätsentwicklung, der Anteil der<br />
Lohneinkommen an den Erlösen der Unternehmen<br />
weiter zUlÜckgehen konnte und nunmehr den niedrigsten<br />
Wert seit dreißig Jahren aufweist (Ziffer 128).<br />
Die Lohnsteigerungen haben also aufgrund der genannten<br />
Einflüsse nicht zu dem Ertragsdruck geführt,<br />
der die Unternehmen zu weniger Neueinstellungen<br />
und zu mehr Entlassungen veranlaßt hätte.<br />
383. Die jüngsten Erfahrungen dürfen nicht zu dem<br />
Schluß verleiten, Veränderungen der lohnstückkosten<br />
und die Entwicklung der Beschäftigung hätten<br />
sich nun auf Dauer voneinander entkoppelt. Die Faktoren,<br />
die bisher den Lohnkosteneinfluß überlagerten,<br />
wirken so nicht fort. Von den neuen Bundesländern ist<br />
kein weiterer Nachfrageschub zu erwarten. Erhöhte<br />
Abgabenlasten bremsen die wirtschaftliche Dynamik.<br />
Von der Geldpolitik wird weiterhin alles getan werden,<br />
um die Preiserhöhungsspielräume zu begrenzen.<br />
Bliebe es bei einem hohen Anstieg der Lohnstückkosten,<br />
wären im kommenden Jahr erneut Fehlentwicklungen<br />
unvenneidbar. Die Rückgewinnung der Geldwertstabilität<br />
wäre erschwert, weil die Unternehmen<br />
weiterhin versuchen würden, die steigenden Lohnkosten<br />
auf die Preise weiterzuwälzen. Da konjunkturell<br />
und geldpolitisch bedingt die Preiserhöhungsspielräume<br />
eher abnehmen, wird die Überwälzung nur<br />
teilweise gelingen. Der daraufhin einsetzende Ertragsdruck<br />
gibt den Unternehmen das Signal, bei der<br />
Beschäftigung vorsichtiger zu disponieren.<br />
Es stimmt bedenklich, bestätigt aber den geschilderten<br />
Zusammenhang zwischen Lohnkostenauftrieb<br />
und Beschäftigung, daß Umfragen des Deutschen Industrie-<br />
und Handelstages vom Herbst des Jahres zufolge<br />
weniger Unternehmen als bisher für das nächste<br />
Jahr eine Beschäftigungsausweitung und mehr Unternehmen<br />
eine Verringerung der Beschäftigung planen.<br />
384. Die Schlußfolgerungen für die Tarifpolitik des<br />
Jahres 19<strong>92</strong> sind evident. Die Produktivitätsorientierung<br />
muß wieder <strong>zur</strong> Leitlinie der Tarifpolitik werden.<br />
Neben dem mittelfristigen Produktivitätsanstieg wird<br />
in den Lohnsteigerungen für den Preisanstieg ein Aufschlag<br />
zu berücksichtigen sein, der jedoch deutlich<br />
unter der prognostizierten Preissteigerungsrate liegen<br />
muß (JG 89 Ziffer 354). Man kann von der Tarifpolitik<br />
wohl kaum erwarten, daß sie keinerlei Preissteigerungen<br />
bei den Lohnanhebungen berücksichtigt, obwoW<br />
die gegenwärtig hohe Preissteigerungsrate nicht auf<br />
einen Schlag beseitigt werden kann und sie nur zum<br />
Teil Lohnanhebungen zuzuschreiben ist. Es ist deutlich<br />
hervorzuheben, daß die in unserer Prognose unterstellte<br />
Steigerungsrate für den Tariflohn (5,5 vH)<br />
über das hinaus geht, was wir mit Produktivitätsorientierung<br />
unter Berücksichtigung eines gewissen Preisaufschlags<br />
noch für vertretbar halten.<br />
Die geplante Anhebung der Mehrwertsteuer rechtfertigt<br />
keine Anhebung der Nominallöhne. Die Steuererhöhung<br />
hat das Ziel, Einkommen vom privaten Sektor<br />
auf den Staat zu übertragen. Eine Nominallohnanpassung<br />
würde bedeuten, daß sich die Bezieher von Arbeitseinkommen<br />
dem Realtransfer entziehen (JG 90<br />
Ziffer 429).<br />
Für den tarifpolitischen Kurs des nächsten Jahres trägt<br />
der öffentliche Dienst besondere Verantwortung. In<br />
diesem Jahr hat er die Tarifrunde mit vergleichsweise<br />
hohen LohnabscWüssen eröffnet. Im nächsten Jahr<br />
würde ein maßvoller Abschluß im öffentlichen Dienst<br />
die Rückkehr zu einer stabilitätsgerechten Lohnpolitik<br />
einleiten.<br />
Bei der Tarifpolitik des nächsten Jahres geht es um<br />
mehr als die quantitative Einschränkung des Lohnkostenauftriebs.<br />
Es geht um die Verbesserung des Klimas<br />
für Investitionen. Sollte sich eine Einschätzung<br />
verfestigen, daß Lohnsteigerungen ohne viel Rücksicht<br />
auf den Kostendruck durchgesetzt werden und<br />
die Grenzen des Verteilbaren, wie sie durch den Produktivitätsfortschritt<br />
gegeben sind, unbeachtet bleiben,<br />
muß das bei den Investoren Pessimismus erzeugen.<br />
Belegt die Tarifpolitik dagegen, daßsie das angemessene<br />
Reagieren auf die Verschlechterung der<br />
Rahmenbedingungen nicht verlernt hat und daß sie<br />
die Grenzen des Verteilbaren - nach zwei Jahren mit<br />
kräftigen Lohnanbebungen - nun zu beachten gewillt<br />
ist, wird das die Unternehmen zu Investitionen<br />
ennuntern. Welcher Weg eingeschlagen wird. entscheidet<br />
mit darüber, ob die deutsche Wirtschaft dynamisch<br />
bleiben wird.<br />
385. Wie sind die Chancen einzuschätzen, daß es zu<br />
dem gebotenen Kurswechsel in der Tarifpolitik<br />
kommt? Aus der Sicht vieler Arbeitnehmer stehen<br />
heute Verteilungsaspekte vornean. Nachdem die Gewinneinkommen<br />
nach dem Tief im Jahre 1982 bis<br />
heute deutlich schneller gestiegen sind als die Lohneinkommen,<br />
wird die Korrektur der Einkommensverteilung<br />
gefordert: Lohnsteigerungen über den Produktivitätsanstieg<br />
(zuzüglich des erwarteten Preisanstiegs)<br />
hinaus sollen das erreichen.<br />
Forcierte Lohnsteigerungen, die nur zu höheren Preissteigerungen<br />
führen, erreichen die Umverteilung<br />
nicht, verstärken aber den Geldwertschwund. Forcierte<br />
Lohnsteigerungen, die nicht in die Preise überwälzt<br />
werden können, bewirken zwar die Umverteilung,<br />
senken aber die Investitionen und das Beschäftigungswachstum.<br />
Die wahrscheinliche Entwicklung<br />
ist, daß zwar letztlich eine Einkommensumverteilung<br />
zu Lasten der Gewinne gelingt, daß dies aber von<br />
Preissteigerungen und rückläufigem Beschäftigungswachstum<br />
begleitet ist. Umverteilungsziele lassen<br />
sich mit den Mitteln der Tarifpolitik schwerlich ohne<br />
Nachteile für die Arbeitnehmer selbst erreichen.<br />
Tarifabschlüsse, die im Rahmen der vom Sachverständigenrat<br />
vertretenen produktivitätsorientierten Lohnpolitik<br />
bleiben, verhindern keineswegs die Beteiligung<br />
der Arbeitnehmer am Wachstum der Realein-<br />
201