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Jahresgutachten 1991/92 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

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Drucksache 12/1618 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode<br />

245. Bei der Durchrechnung der Prognose sind wir<br />

von der Annahme ausgegangen, daß den Tarifparleien<br />

ein erster Schritt in Richtung auf stabilisierungskonforme<br />

Löhne gelingen wird. Konkret heißt das: Die<br />

tariflichen Stundenlöhne werden in den alten Bundesländern<br />

im nächsten Jahr um durchschnittlich 51;' vH<br />

angehoben; in diesem Jahr waren es fast 7 vH. Die<br />

Lohnstückkosten - wir veranschlagen die Zunahme<br />

der Arheitsproduktivität auf knapp 2 vH ~ werden<br />

danach um 31;2 vH steigen; das ist immer noch recht<br />

kräftig, aher nicht mehr so kräftig wie zuletzt (fast<br />

5 vH).<br />

Für die Lohnentwicklung in den nenen Bundesländern<br />

sind die Ahschlüsse in den alten Bundesländern<br />

<strong>zur</strong> Zeit nicht Richtschnur, weil die Tarilpolitik dort<br />

andere Wege geht. Sie sind aber insofern von Bedeutung,<br />

als das Lohnniveau im Westen die Zielgröße ist,<br />

die die Tarilpolitik im Visier hat. Häufig giht es Stufenpläne,<br />

nach denen die schrittweise Angleichung<br />

der Löhne im Osten an die im Westen innerhalb einer<br />

Frist von wenigen Jahren vorgesehen ist. Danach<br />

dürften <strong>zur</strong> Jahresmitte 19<strong>92</strong> die meisten Arbeitnehmer<br />

in Ostdeutschland knapp 70 vH des westdeutschen<br />

Tarifniveaus erreicht haben, in einigen Bereichen<br />

aber auch schon 80 vH und mehr, wobei allerdings<br />

der Ahstand bei den Effektivlöhnen deutlich<br />

größer ist. überschlägig geschätzt werden sich im<br />

nächsten Jahr die effektiven Stundenlöhne um 20 vH<br />

bis 25 vH erhöhen - das ist weitaus mehr, als die<br />

meisten ostdeutschen Unternehmen werden verkraften<br />

können.<br />

246. Eilt die Lohnentwicklung der Produktivitätsentwicklung<br />

voraus, dann versuchen die Unternehmen,<br />

dem Druck auf die Gewinne durch Preisanhebungen<br />

auszuweichen. Falls ihnen dies nicht gelingt, werden<br />

sie sich bei der Einstellung von Personal <strong>zur</strong>ückhalten<br />

oder sogar Personal abbauen. Nach der Prognoserechnung<br />

wird der Druck auf die Gewinne nicht nachlassen.<br />

Wir erwarten deshalb,daß die kräftige Einstellungswelle<br />

in den alten Bundesländern im nächsten<br />

Jahr ausläuft. Das kommt auch in den Personalplanungen<br />

der Unternehmen zum Ausdruck, die für das<br />

nächste Jahr allenfalls einen geringen Beschäftigtenzuwachs<br />

vorsehen. Die Unternehmen reagieren damit<br />

offenbar auf die Abflachung der Nachfrageexpansion<br />

und die Zunahme des Kostendrucks. Nur in den<br />

Dienstleistungsbereichen, in denen teilweise Arbeitskräftemangel<br />

herrscht, dürfte das Personal weiter aufgestocktwerden.<br />

Im Verarbeitenden Gewerbe wird es<br />

dagegen kaum noch zu Einstellungen kommen, bei<br />

den Herstellern von Grundstoffen und Produktionsgütern<br />

sowie von Investitionsgütern zeichnet sich sogar<br />

ein leichter Personalabbau ab.<br />

In den neuen Bundesländern wird die Entwicklung<br />

auch im nächsten Jahr noch von einem starken Personalabbau<br />

in fast allen Bereichen von Wirtschaft und<br />

Verwaltung dominiert. Dieser Prozeß ist die unvermeidliche<br />

Begleiterscheinung der wirtschaftlichen Erneuerung;<br />

noch immer haben zu viele Unternehmen<br />

und staatliche Stellen zuviel Personal. In den nächsten<br />

Monaten, vor allem am Jahresende und im Frühjahr<br />

nächsten Jahres, wird abennals eine große Anzahl<br />

von Arbeitnehmern in Ostdeutschland den Arbeitsplatz<br />

verlieren; umfangreiche Entlassungen stehen<br />

nicht nur bei den industriellen Treuhandbetrieben,<br />

sondern auch in der Landwirtschaft und im Dienstleistungssektor<br />

an. Aber es gibt auch einen ersten Silberstreif<br />

arn Horizont. Im nächsten Jahr wird die Freisetzungswelle<br />

abebben. Gegen Ende 19<strong>92</strong>, so hoffen<br />

wir, könnte sich die Anzahl derFreisetzungen und der<br />

NeueinsteIlungen ausbalancieren.<br />

247. Alles in allem rechnen wir damit, daß im Verlauf<br />

des nächsten Jahres in den neuen Bundesländern<br />

per saldo weitere 310000 Arbeitskräfte freigesetzt<br />

werden. In den alten Bundesländern werden in dieser<br />

Zeit noch 150 000 Stellen zusätzlich besetzt werden.<br />

Da sich das Arbeitskräfteangebot vor allem durch den<br />

Zustrom von Aussiedlern und Asylbewerbern erhöhen<br />

wird - in beiden Teilen Deutschlands zusammen<br />

um schätzungsweise 250 000 Personen -, müßte rein<br />

rechnerisch die Anzahl der bei den Arbeitsämtern registrierten<br />

Arbeitslosen kräftig zunehmen. Die Zusammenhänge<br />

zwischen Arbeitskräfteangebot und<br />

-nachfrage auf der einen und Arbeitslosigkeit auf der<br />

anderen Seite sind indes sehr komplex. So ist bisher<br />

nach wie vor ein Teil der Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland<br />

verdeckt und wird in Fonn von Kurzarbeit,<br />

Qualilizierungsmaßnahmen oder Arbeitsbeschaffungsprogrammen<br />

aufgefangen. Es ist schwerzu<br />

prognostizieren, welche Verschiebungen zwischen<br />

offener und verdeckter Arbeitslosigkeit stattfinden<br />

werden. Das wird auch maßgeblich davon abhängen,<br />

ob die Bundesregierung Änderungen bei der bisherigen<br />

Arbeitsmarktpolitik. vornimmt, ob sie etwa die<br />

finanziellen Mittel dafür aufstocken oder reduzieren<br />

wird. Wenn es gut geht, also die Konjunktur im späteren<br />

Jahresverlauf wieder anzieht, könnte sich der<br />

Anstieg der Arbeitslosigkeitin Grenzen halten, jedenfalls<br />

in den alten Bundesländern. Manche Unternehmen<br />

würden dann vielleicht auf Entlassungen verzichten<br />

oder schon wieder Personal auf Vorrat einstellen.<br />

In den neuen Bundesländern wird die Anzahl der<br />

statistisch ausgewiesenen Arbeitslosen aber zunächst<br />

recht kräftig steigen, wenn wie vorgesehen, die bisherige<br />

Kurzarbeiterregelung Ende dieses Jahres auslaufen<br />

wird (Tabelle 45).<br />

Wenn die Unternehmen in den alten Bundesländern<br />

ihre Nachfrage nach Arbeitskräften einschränken,<br />

mindert das auch die Einstellungschancen für Arbeitsuchende<br />

aus den neuen Bundesländern. Der Zustrom<br />

der Menschen, die im Westen einen Arbeitsplatz fin·<br />

den, sei es als Pendler, sei es, daß sie ihren Wohnsitz<br />

nach dorthin verlegen, wird im nächsten Jahr schwächer<br />

werden. Von hier wird der ostdeutsche Arbeitsmarkt<br />

also nur in geringfügigem Ausmaß zusätzlich<br />

entlastet werden.<br />

248. Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarktist nicht<br />

nur Ergebnis des wirtschaftlichen Geschehens, sondern<br />

sie nimmt selbst darauf Einfluß. Wenn im näch~<br />

sten Jahr die Beschäftigung in den alten Bundesländern<br />

nur noch wenig steigen und in den neuen Bundesländern<br />

weiter sinken wird, wirkt sich das dämpfend<br />

auf die Zunahme der Einkommen in der Summe<br />

und damit auf die Zunahme des Privaten Verbrauchs<br />

aus. In unserer Prognose stellt sich das wie folgt<br />

dar:<br />

In den alten Bundesländern werden die Bruttoeinkommen<br />

der Arbeitnehmer vor allem wegen der<br />

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