Jahresgutachten 1991/92 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Wo immer die institutionellen Regelungen, die mit<br />
der politischen Einigung von der alten Bundesrepublik<br />
übernommen worden sind, die neuen Bundesländer<br />
fürs erste Doch überfordern und so den<br />
U~stellungsprozeßerschweren, statt ihn zu erleichtern,<br />
sindtemporäre Abweichungen und Ausnahmen<br />
vom Grundsatz eines einheitlich geltenden<br />
Rechtsrahmens zu prüfen. Langwierige Genehmigungsverfahren<br />
bei Infrastrukturinvestitionen<br />
sind dafür ein wichtiges Beispiel; sie sind<br />
durch befristete Sonderregelungen zu verkürzen.<br />
Soweit geltende Regelungen der Arbeitsmarktordnung<br />
mit den Notwendigkeiten des Erneuerungsprozesses<br />
im Konflikt stehen, sollten sie überprüft<br />
werden.<br />
Aufschub verträgt die Lösung keiner dieser Aufgaben,<br />
wenn die Umstellung der ostdeutschen Wirtschaft<br />
mit kräftigen Schritten vorankommen soll.<br />
86*. Als Zwischeneigentümerin der ehemals volkseigenen<br />
Betriebe hat die Treuhandanstalt im Prozeß<br />
der wirtschaftlichen Umstrukturierung eine Schlüsselstellung.<br />
Ihre Aufgabe ist es, die ihr übertragenen<br />
Wirtschaftseinheiten dahin zu bringen, sich eigenständig<br />
am Markt zu behaupten, oder, falls das nicht<br />
gelingt, die liquidation zu betreiben. Sie hat bislang<br />
mit beachtlichem Erfolg die Privatisierung in der Einsicht<br />
vorangetrieben, daß dies zugleich die beste Gewähr<br />
für eine Sanierung biete. Die Gefahr, daß künftig<br />
andere Zielvorstellungen die Oberhand gewinnen,<br />
ist nicht gering zu schätzen; denn die Forderungen<br />
mehren sich, die Treuhandanstalt solle die umfassende<br />
Sanierung von Unternehmen, deren Privatisierung<br />
in absehbarer Zeit nicht in Aussicht steht, selbst<br />
in die Hand nehmen. Dies fordern heißt jedoch, die<br />
Treuhandanstaltin eine Strukturerhaltungsrolle drängen,<br />
in der sie leicht zu einer bürokratischen Dauerinstitution<br />
<strong>zur</strong> Verwaltung nicht wettbewerbsfähiger<br />
und damit ständiger Subventionierung bedürftiger<br />
Unternehmen werden könnte. Daraus folgt:<br />
Die Treuhandanstalt muß der Privatisierung weiterhin<br />
Vorrang vor der Sanierung mit eigenen Mitteln<br />
geben und dabei das Potentialprivatisierungsfähiger<br />
Unternehmen mit verstärkter Kraft ausschöpfen.<br />
Sanierungspläne für noch nicht privatisierte Unternehmen<br />
dürfen nur innerhalb eines zeitlich und<br />
finanziell klar begrenzten Budgetrahmens gefördert<br />
werden.<br />
Eine Erhaltung nicht privatisierungsfähiger Unternehmen,<br />
die für eine Übergangszeit aus regionalpolitischen<br />
Gründen geboten sein kann, gehört<br />
nicht zu den Aufgaben der Treuhandanstalt; für<br />
die Regionalpolitik. sind andere Träger zuständig.<br />
In ihrem Kembereich, der Privatisierung, Sanierung<br />
und Stillegung derinihrem Besitz befindlichen Unternehmen,<br />
muß die Tätigkeit der Treuhandanstalt in<br />
überschaubarer Zeit zum Abschluß kommen. Alles<br />
andere hieße, Millel und Kräfte binden, die beim Neuaufbau<br />
fehlen.<br />
87*. Die Umrüstung auf die Marktwirtschaft darf<br />
sich nicht an den alten wirtschaftlichen Strukturen<br />
Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode Drucksache 12/1618<br />
ausrichten. Diese würden wie ein schwerer Ballast in<br />
die Zukunft mitgeschleppt und die Modernisierung<br />
behindern. Welche neue Wirtschaftsstruktur sich herausbildet,<br />
hängt von den Investitionsentscheidungen<br />
der Unternehmen ab und davon, was im Wettbewerb<br />
Bestand hat.<br />
Der Staat kann in einer Wettbewerbswirtschaft sektorale<br />
Strukturen nicht prägen, schon gar nichtin einem<br />
Umfeld, in dem nationale Grenzen - europaweit und<br />
darüber hinaus·- immer mehr an Bedeutung verlieren.<br />
Staatliche Stellen können nicht wissen, welche<br />
Produkte, welche Produktionsverfahren und welche<br />
Wirtschaftszweige in der Zukunft Erfolg haben werden.<br />
Eine Strukturpolitik für die neuen Bundesländer, ob<br />
nun für bestehende Unternehmen oder ob für neue<br />
Industrien, hätte weitreichende finanzpolitische Konsequenzen.<br />
Gerade weil die Unternehmen in der jetzigen<br />
Form zu einem überwiegenden Teil ineffizient<br />
sind, wäre die zu finanzierende Summe beachtlich,<br />
die Mittel müßten auflängere Sichtbereitgestellt werden.<br />
Die Strukturpolitik könnte zu einem Faß ohne<br />
Boden für die deutsche Finanzpolitik für die nächsten<br />
Jahre werden und die Vitalität der deutschen Volkswirtschaft<br />
schwächen. Von hier aus würde eine Konsolidierungsstrategie<br />
erheblich erschwert, wenn nicht<br />
unmöglich gemacht.<br />
88'. Auch die Regionalpolitikkann konkurrenzunfähige<br />
Strukturen nicht auf Dauer erhalten. Ihre Aufgabe<br />
ist es, in Ansehung der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen<br />
dafür zu sorgen, daß jede Region<br />
eine faire Chance hat, im Wettbewerb mit den anderen<br />
ihre Wirtschaftskraft entwickeln und entfalten zu<br />
können. Das spricht dafür, bei der Verwendung der<br />
Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung<br />
der regionalen Wirtschaftsstruktur" die Fördersätze<br />
innerhalb der einzelnen Länder stärkerzu differenzieren.<br />
Viel spricht dafür, den Ländern eine stärkere<br />
EigenverantwortIichkeit in der Regionalpolitik zuzuweisen.<br />
Bei der Erneuerung der Raumstruktur in den<br />
neuen Bundesländern wird man auch auf die Mobilität<br />
der Menschen setzen müssen.<br />
Daß sich in den neuen Bundesländern wegen der<br />
räumlichen Konzentration der einzelnen Industrienim<br />
alten Planungssystem die heutigen Regionalproblerne<br />
oft aus der Anpassungskrise eines Wirtschaftszweigs<br />
erklären, darf nicht dazu verleiten, unter regionalpolitischem<br />
Vorwand eine sektorale Erhaltungspolitik. zu<br />
betreiben.<br />
89*. Die Arbeitsmarktpolitik. muß ihre den Umstellungsprozeß<br />
flankierenden Instrumente dosiert einsetzen,<br />
damit sie den Neuaufbau fördert und nicht<br />
behindert. Sonderregelungen für Kurzarbeit und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen<br />
dürfen, so wichtig sie<br />
sozialpolitisch auch sind, nicht dazu führen, daß die<br />
Motivation der Arbeitnehmer, sich um neue Qualifikationen<br />
und neue Arbeitsplätze zu bemühen, beeinträchtigt<br />
wird und daß private Unternehmen durch<br />
Wettbewerbsverzerrungen in ihrer Entwicklung behindert<br />
werden. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen<br />
sollten daher differenziert eingesetzt und auf Regionen<br />
konzentriert werden, in denen auf absehbare Zeit<br />
mit keiner. Belebung der Wirtschaftstätigkeit zu rech-<br />
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