Jahresgutachten 1991/92 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Drucksache 12/1618 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode<br />
Teil B<br />
Die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland<br />
I. Überblick<br />
51. Im ersten Jahr nach der Vereinigung Deutschlands<br />
sind die Unterschiede in der wirtschaftlichen<br />
Leistungskraft der alten und der neuen Bundesländer<br />
in aller Schärfe deutlich geworden. Die mangelnde<br />
Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Unternehmen,<br />
verstärkt durch den Zusammenbruch der Handelsbeziehungen<br />
im RGW, hat in den neuen Bundesländern<br />
seit Mitte 1990 zu einem steilen Rückgang der<br />
Produktion geführt, der sich bis in die erste Jabreshälfte<br />
<strong>1991</strong> fortsetzte. Erst um die Jahresmitte, als sich<br />
die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe allmählich<br />
stabilisierte und sich die Aufwärtsbewegung in<br />
der Bauwirtschaft und in Teilen des tertiären Sektors<br />
festigte, hat sich das Produktionsergebnis insgesamt<br />
leicht erhöht. Die Anzahl der Erwerbstätigen ging allerdings<br />
weiter <strong>zur</strong>ück und erreichte im zweiten Halbjahr<br />
einen Stand von 6,9 Millionen Personen, das waren<br />
rund 1,4 Millionen weniger als ein Jahr zuvor und<br />
fast drei Millionen weniger als 1989. In Westdeutscbland<br />
dagegen setzte sich die Aufwärtsentwicklung<br />
fort. Die Auftriebskräfte sind zwar im Verlauf des Jahres<br />
deutlich schwächer geworden, so daß der Produktionsanstieg<br />
an Schwung verlor und die Beschäftigungsdynamik<br />
etwas nachließ; aber sie waren doch<br />
noch stark genug, um die Wirtschaft auf Wachstumskurs<br />
zu halten.<br />
Das Produktionsvolumen der neuen Bundesländer<br />
lag r ersten Ergebnissen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen<br />
zufolge, im zweilen Halbjabr 1990<br />
noch bei 8,3 vH des westdeutschen. Diese Relation hat<br />
sich auf 6,7 vH im zweiten Halbjahr <strong>1991</strong> vermindert.<br />
Dem Rückgang der Einkommen aus Wirtschaftstätigkeit<br />
in Ostdeutschland stand jedoch ein massiver Anstieg<br />
der Transfereinkommen gegenüber. Die gesamte<br />
Endnachfrage in den neuen Bundesländern<br />
konnte infolgedessen auf nahezu das Doppelte der<br />
Güterproduktion anwachsen. Dieses gewaltige Ungleichgewlcht<br />
zwischen Produktion und Nachfrage<br />
spiegelte sich im Jahre <strong>1991</strong> in einem Überschuß<br />
der Bezüge von Westdeutschland und dem Ausland<br />
gegenüber den Lieferungen dorthin von rund<br />
158 Mrd DM wider.<br />
52. Schon im vergangenen Jahr haben wir auf die<br />
statistischen Unwägbarkeiten in der Diagnose und<br />
Prognose für die deutsche Wirtschaft hingewiesen<br />
(JG 90 Ziffern 74 und 245 fl.). Die Probleme sind heute<br />
nicht viel kleiner. Zwar hat sich der Informationsstand<br />
über OstdeutscWand deutlich verbessert. Auf der anderen<br />
Seite gewinnen die statistisch nicht erlaßten<br />
und zum Teil auch nicht mehr erfaßbaren Transaktionen<br />
zwischen beiden Teilen Deutschlands zunehmend<br />
an Bedeutung. So sind Aussagen über inner~<br />
deutsche Geld- und Kapitalbewegungen nicht mehr<br />
möglich, weil Banken und Nichtbanken auf einheitlichen,<br />
voll integrierten Finanzmärkten operieren, und<br />
60<br />
bei der Schätzung von innerdeutschen Güterströmen<br />
und Einkommensübertragungen sind immer größere<br />
Unscbärfen in Kauf zu nehmen. Trotz dieser statistischen<br />
Probleme gibt es zu einer getrennten Analyse<br />
beider Wirtscbaftsgebiete schon desbalb keine sinnvolle<br />
Alternative, weil in wichtigen Bereichen noch<br />
aggregierfähige Daten für Gesamtdeutschland fehlen.<br />
Entscheidend aber ist, daß die Ursachen für wirtschaftliche<br />
Veränderungen in Ostdeutschland und<br />
Westdeutschland völlig unterschiedlich sind; die wirtschaftspolitische<br />
Analyse muß daber auf einer dilferenzierenden<br />
Betrachtung beruhen.<br />
53. Die westdeutsche Wlrlschillt. die in den vergangenen<br />
beiden Jahrenim internationalen Vergleich ein<br />
weil überdurchschnittliches Expansionstempo balten<br />
konnte, ist im Verlauf des Jabres <strong>1991</strong> auf einen flacheren<br />
Expansionspfad eingeschwenkt. Die kontraktiven<br />
Effekte, die von der weltweiten Konjunkturabkühlung<br />
ausgingen, konnten zwarin der ersten Hälfte<br />
dieses Jahres noch durch ansteigende Lieferungen in<br />
die neuen Bundesländer und einen anhaltenden<br />
Nacbfrageanslieg in Westdeutschland mehr als ausgeglichen<br />
werden. Die Auflriebskräfte waren aber<br />
nicht endogener Art, sie resultierten vor allem aus den<br />
starken Nachfrageimpulsen einer expansiven Finanzpolitik,<br />
die die Einkommensentwicklung in Ostdeutschland<br />
durch massive Transferleistungen stützte<br />
und damit eine Nachlrage schuf, die in erheblichem<br />
Umfang auch westdeutschen Unternehmen zugute<br />
kam. Im weiteren Verlauf des Jahres <strong>1991</strong> ließ die<br />
Expansion der westdeutschen Wirtschaft deutlich<br />
nach. Stärkere Impulse von der Auslandsnilchlrage<br />
blieben aus, obwohl sich die Auftragseingänge aus<br />
dem Ausland nach der Jahresmitte wieder erhöhten.<br />
Die Nachfrage aus den neuen Bundesländern stieg<br />
nicht mehr so rasch an wie in den Monaten zuvor und<br />
die Aufbringung des hohen Finanztransfers für die<br />
neuen Bundesländer schwächte die Nachfrageexpansion<br />
in Westdeutschland. So wurden den privaten<br />
Hausbalten durch die Erhöhung der Beitragssätze <strong>zur</strong><br />
Arbeitslosenversicberung im April und durch den<br />
Solidaritätszuschlag <strong>zur</strong> Einkommensteuer ab der<br />
Jabresmitte Einkommen in Höhe von insgesamt<br />
23';' Mrd DM entzogen; die Erhöhung der Mineralölsteuer<br />
bewirkte zusätzlich eine Kaufkrafteinbuße von<br />
knapp 6 Mrd DM. Steuer- und Abgabenerböbungen<br />
haben den Anstieg der privaten Konsumnachfrage<br />
spürbar vermindert. Hinzu kam, daß die anhaltend<br />
hohen Zinsen, die mit der starken Beanspruchung des<br />
Kapitalmarktes durcb den Staat zusammenbängen,<br />
immer stärker auf die Investitionstätigkeit, vor allem<br />
auf die zinsreagiblen Bauinvestitionen durchwirkten<br />
(Tabelle 9). Vor allem im Eigenheimbau sind die Baugenehmigungen<br />
stark rückläufig.<br />
Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht konnte eine etwas<br />
ruhigere Gangart der Konjunktur nicht unerwünscht<br />
sein. Nach der kräftigen Expansion der vergangenen