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Jahresgutachten 1991/92 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

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Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode Drucksache 12/1618<br />

derungen die Grundsatzentscheidung der europäischen<br />

Regierung zugunsten fester Wechselkurse faktisch<br />

unterlaufen. Das würde den Absichten der politischen<br />

Führung, die wirtschaftliche Integration mit<br />

einem dritten Land durch die Vereinbarung fester<br />

Wechselkurse zu fördern, entgegenwirken. Damit<br />

nicht ein permanenter Streit zwischen der Zentralbank<br />

und den politischen Instanzen darüber entsteht,<br />

ob eine bestimmte Frequenz von Paritätsanpassungen<br />

noch mit dem Grundsatz fester Wechselkurse zu vereinbaren<br />

ist, müßten Regeln formuliert werden, die<br />

die Häufigkeit und das Ausmaß der zulässigen Paritätsänderungen<br />

begrenzen. Jedenfalls würde es nicht<br />

genügen, das Kriterium der Geldwertstabilität zum<br />

alleinigen Maßstab für die Partitätsänderung zu machen.<br />

Angesichts des komplexen Zusammenhangs<br />

zwischen Wechselkursänderung und Preisentwicklung<br />

wird es - außer bei gravierend fehlerhaften<br />

Wechselkursen - im allgemeinen strittig sein, ob ein<br />

Realignment geboten ist oder nicht.<br />

Regeln wären auch nötig, um zu verhindern, daß die<br />

Europäische Zentralbank aus Stabilitätsgründen eine<br />

latente überbewertung der europäischen Währung<br />

ohne Rücksicht auf die realwirtschaftlichen Konsequenzen<br />

verfestigt. Solche Regeln würden der Zentralbank<br />

Handlungsrnaßstäbe vorgeben müssen. Damit<br />

wird die Unabhängigkeit der Zentralbank - die<br />

man durch die übertragung der Wechselkurskompetenz<br />

gerade stärken wollte - empfindlich beeinträchtigt.<br />

Würde man auf Regeln verzichten, wäre die Gefahr<br />

groß, daß die politische Führung den Streit über<br />

die Wechselkurspolitik zum Anlaß nähme, die Unabhängigkeit<br />

der Notenbank grundsätzlich in Frage zu<br />

stellen. Auf europäischer Ebene gibt es bei der Bevölkerung<br />

wohl kaum ein so starkes Engagement zugunsten<br />

einer unabhängigen Zentralbank, wie das in<br />

Deutschland der Fall ist. Es nutzt der Unabhängigkeit<br />

der Zentralbank sicherlich mehr, wenn sie auf ein<br />

InstnIment wie den Wechselkurs, bei dessen Anwendung<br />

sie in Konflikt mit den Regierungen der im Festkurssystem<br />

verbundenen ausländischen Regierungen<br />

und mit den europäischen Regierungen geraten kann,<br />

lieber verzichtet.<br />

Alles in allem ist das geringere Übel darin zu sehen,<br />

daß die Wechselkurskompetenz bei den europäischen<br />

Regierungen verbleibt. Jedoch sollten die Regierungen<br />

das Benehmen mit der Europäischen Zentralbank<br />

herstellen. Es sollte jedoch mit aller Klarheit ins Bewußtsein<br />

gerückt werden, daß die Festlegung von<br />

Wechselkursen es der Europäischen Zentralbank<br />

nicht unmöglich machen darf, das Ziel der Geldwertstabilität<br />

wirksam zu verfolgen.<br />

433. Ein Mitglied des Sachverständigenrates, Horst<br />

Siebert, ist in bezug auf die Zuordnung der Wechselkurskompetenz<br />

in einem System fester Wechselkurse<br />

anderer Meinung. Bei einer institutionellen Regelung<br />

für die Europäische Zentralbank muß - wenn die<br />

Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank sichergestellt<br />

werden soll - geregelt sein, ob der Zentralbank<br />

die Wechselkurskompetenz in einem System<br />

fixer Wechselkurse zusteht. Sicherlich muß dabei die<br />

Grundsatzentscheidung über das Wechselkurssystem<br />

selbst, also über flexible oder fixe Kurse, einer politischen<br />

Entscheidung vorbehalten bleiben. Die Entscheidung<br />

über die Höhe des Wechselkurses sollte<br />

jedoch Sache der Europäischen Zentralbank sein. Hat<br />

die Zentralbank die Wechselkurskompetenz nicht<br />

oder wird zumindest nicht Einvernehmen mit ihr als<br />

Bedingung gesetzt, so ist ihre Unabhängigkeit nicht<br />

gewährleistet. Ein politisch gesetzter Wechselkurs<br />

kann den geldpolitischen Handlungsspielraum der<br />

Zentralbank einengen und es ihr unmöglich machen,<br />

zumindest aber erheblich erschweren, die Preisniveaustabilität<br />

zu verteidigen. Dies belegen die Erfahrungen<br />

aus dem Bretton Woods-System. Bei der<br />

neuen institutionellen Regelung für das Geldwesen in<br />

Europa zielen viele Ansätze - wie Vorschriften über<br />

die zulässige Höhe von Budgetdefiziten der europäischen<br />

Staaten - darauf ab, den politischen Druck auf<br />

die Notenbank zu limitieren, um auf diese Weise ihre<br />

Unabhängigkeit zu sichern. Die Zuweisung der<br />

Wechselkurskompetenz an die Zentralbank in einem<br />

Fixkurssystem hat das gleiche Ziel. So weit die Meinung<br />

dieses Ratsmitglieds.<br />

434. Grundsätzlich sollten möglichst alle Mitgliedsstaaten<br />

der Gemeinschaft an der Europäischen Währungsunion<br />

teilnehmen: So würde das Ziel der Geldwertstabilität<br />

europaweit verankert. VoraussetzWlg<br />

ist allerdings, daß mit steigender Teilnehmerzahl<br />

nicht Prozesse unterstützt werden, die auf eine Lockerung<br />

des stabilitätspolitischen Anspruchs der Geldpolitik<br />

gerichtet sind. Inflationärer Druck kann insbesondere<br />

durch hohe Budgetdefizite und durch Verteilungskämpfe<br />

entstehen. Jedoch muß gesehen werden,<br />

daß eine wirksame Stabilitätspolitik der Europäischen<br />

Zentralbank auch einen disziplinierenden<br />

Druck auf Länder ausüben kann, die sich bis dahin<br />

nicht durch monetäre Stabilität ausgezeichnet haben.<br />

Damit die europäische Geldpolitik der Stabilität verpflichtet<br />

wird, sollten folgende Kriterien berücksichtigt<br />

werden:<br />

Teilnahmeberechtigt (nicht teilnahmeverpflichtet)<br />

an der Währungsunion sind nur :Mitgliedsstaaten,<br />

deren Budgetdefizit und deren Inflationsrate über<br />

einen längeren Zeitraum nicht über einem niedrig<br />

anzusetzenden Wert liegt. Bei einem späteren Beitritt<br />

ist zusätzlich zu fordern, daß das Land über<br />

einen längeren Zeitraum bei enger Bandbreite<br />

keine Wechselkursänderung gegenüber der Währung<br />

in der Europäischen Währungsunion vorgenommen<br />

hat.<br />

Für einen späteren Beitritt wird eine Aufnahmeprozedur<br />

vorgesehen, die es ausschließt, daß ein<br />

Land Konditionen für den Beitritt, zum Beispiel<br />

finanzielle Unterstützungen oder Übergangsregelungen,<br />

aushandeln kann. Die Prüfung des Beitrittsantrags<br />

beschränkt sich darauf festzustellen,<br />

ob die Konvergenzvoraussetzungen erfüllt sind.<br />

In der Wirtschafts- und Währungsunion muß die<br />

Verankerung der marktwirtschaltlichen Grundsätze<br />

für Europa festgeschrieben werden. Regelungen,<br />

die es der Europäischen Zentralbank<br />

erschweren würden, ihren Stabilitätsauftrag zu<br />

erfüllen - wie zum Beispiel eine weitreichende<br />

Indexierung -, müssen ausgeschlossen werden.<br />

Für Haushaltsdefizite vereinbaren die beteiligten<br />

Länder Höchstwerte. Bei überschreiten dieser Gren-<br />

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