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Jahresgutachten 1991/92 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

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Drucksache 12/1618 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode<br />

Jahren das Bild prägte, ist wohl vorbei. Trotz verlangsamt<br />

steigender Importe und rascher steigener Exporte<br />

wird das vereinte Deutschland im nächsten Jahr<br />

wieder ein Defizit in der Leistungsbilanz aufweisen,<br />

wenn auch voraussichtlich ein kleineres als in diesem<br />

Jahr.<br />

Wirtschaftspolitik für 19<strong>92</strong> und danach<br />

Die politische Führung<br />

in besonderer Verantwortung<br />

(Ziffern 259!!.)<br />

39*. Große Aufgaben stehen in den kommenden<br />

Jahren an. Der politischen Vereinigung möglichst<br />

rasch das wirtschaftliche und soziale Zusammenwachsen<br />

von alten und neuen Bundesländern folgen<br />

zu lassen, ist dabei an erster Stelle zu nennen. Zugleich<br />

gilt es, der Mitverantwortung gerecht zu werden,<br />

die der Bundesrepublik für den europäischen<br />

Integrationsprozeß zukommt.<br />

Mit der Verfolgung von Partikularinteressen und dem<br />

Festhalten an altgewohnten Prioritäten sind diese<br />

Aufgaben nicht zu lösen. Was vordringlich ist, und<br />

was <strong>zur</strong>ückstehen muß, ist in vielen Bereichen neu zu<br />

gewichten. Seit dem 3. Oktober 1990 ist die Bundesrepublik.<br />

eine andere, als sie es vordem war; auch in<br />

den alten Bundesländern ist damit ein Umdenken gefordert.<br />

In einem Europa, das einer neuen wirtschaftlichen<br />

und politischen Ordnung zustrebt, sind nationale<br />

Belange zudem in neuem Licht zu sehen. Das<br />

eine wie das andere muß die politische Führung überzeugend<br />

deutlich machen und so mehr als bisher darauf<br />

hinwiIken, daß alle, die auf das Wirtschaftsgeschehen<br />

Einfluß nehmen - staatliche Akteure wie<br />

Tarifvertragsparteien -, das Ihre zum Erfolg des Ganzen<br />

beitragen.<br />

40*. Die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen<br />

Bundesländern steht noch ganz im Zeichen der tiefgreifenden<br />

Umstellung von der früheren Planwirtschaft<br />

<strong>zur</strong> Wettbewerbswirtschaft. Die Erwartung derer.<br />

die geglaubt hatten, mit der Währungs-, Wirtschafts-<br />

und Sozialunion und einer gehörigen Anschubfinanzierung<br />

sei die sozialistische Wirtschaft der<br />

ehemaligen DDR binnen kurzem in eine blühende<br />

Marktwirtschaft zu verwandeln, hat, wie vorauszusehen,<br />

gründlich getrogen. Um so mehr ist nun Nüchternheit<br />

geboten.<br />

Die Konkurrenzfähigkeit der meisten alten DDR-Betriebe<br />

hat sich als un<strong>zur</strong>eichend erwiesen. Ferner ist<br />

deutlich geworden, daß selbst die Privatisierung und<br />

Sanierung der Wirtschaftseinheiten, die als erhaltenswert<br />

gelten können, nicht von heute auf morgen zu<br />

bewältigen ist. Wie viele der einstigen Staatsbetriebe<br />

noch schließen müssen, läßt sich nach wie vor nicht<br />

absehen. Auf der anderen Seite ist indes auch schon<br />

viel Neues im Entstehen, ob man nun die wachsenden<br />

Investitionen in die Infrastruktur sowie in neue Produktionsanlagen,<br />

die beachtliche Zahl von Existenzgründungen,<br />

die vielfältigen Maßnahmen <strong>zur</strong> Umschulung<br />

und Qualifizierung oder den Aufbau einer<br />

leistungsfähigen Verwaltung als Beleg dafür nimmt.<br />

Bis dies alles seine volle Wirkung entfaltet und es auf<br />

breiter Front aufwärts geht, braucht es jedoch seine<br />

Zeit. Verunsicherung ist daher vieUach noch vorherrschend.<br />

41 *. So tief hatten sich die Menschen in den neuen<br />

Bundesländern den Absturz ihrer Wirtschaft und den<br />

Einschnitt in ihre persönlichen Lehensverhältnisse<br />

nicht vorgestellt. Die Sorge um den Arbeitsplatz belastet<br />

viele. Bedrückend ist für den einzelnen auch, daß<br />

im alten System erworbene Erfahrungen mit einem<br />

Schlage unbrauchbar geworden sind und bisherige<br />

Qualifikationen plötzlich nicht mehr zählen. Neue, oft<br />

völlig andere Fertigkeiten und Kenntnisse sind gefragt,<br />

ebenso andere Einstellungen und Verhaltensweisen.<br />

Risiken eingehen und eigenverantwortlich<br />

handeln fällt nicht leicht, wo Planerfüllung jahrzehntelang<br />

die Norm war. Es üherrascht daher nicht, daß<br />

sich dies alles beivielen Menschen zu der Vorstellung<br />

verdichtet, dem Staat obliege es, den Niedergang des<br />

Alten aufzuhalten, das erhaltenswert Scheinende zu<br />

bewahren und der Wirtschaft den Kurs vorzugeben.<br />

42*. Richtig ist, daß der Staat beim Neuaufbau der<br />

Wirtschaft in den neuen Bundesländern in der Pflicht<br />

ist. Auch in der Marktwirtschaft hat der Staat ja keine<br />

Zuschauerrolle. So wenig er abseits stehen kann, so<br />

wenig kann und darf er sich jedoch in einen Dirigismus<br />

drängen lassen oder in einer Fülle unkoordinierter,<br />

der Not der Stunde folgender Einzelmaßnahmen<br />

verzetteln. Es muß Klarheit herrschen, welcher Konzeption<br />

er hei seinen wirtschaftlichen Aktivitäten folgt<br />

und von weIcher Perspektive für die Entwicklung der<br />

Wirtschaft im Osten Deutschlands er sich dabei leiten<br />

läßt.<br />

Hier stehen sich zwei grundverschiedene Konzeptionen<br />

gegenüber:<br />

Die eine Konzeption ist wachstumsorientiert. Mit<br />

seiner Finanzpolitik sorgt der Staat für günstige<br />

steuerliche Investitionsbedingungen und für einen<br />

zügigen Ausbau der Infrastruktur in den neuen<br />

Bundesländern, wobei er die notwendigen Finanzmittel<br />

so aufbringt, daß dies bei einer stabiJitätsgerechten<br />

Geldpolitik nicht Investoren an anderer<br />

Stelle verdrängt; die Arbeitsmarktpolitik fördert<br />

vordringlich Umschulung und Qualifizierung. Die<br />

Tarifparteien achten darauf, daß sie mitihrerLohnpolitik<br />

die bestehenden Beschäftigungsprohleme<br />

nicht noch verschärfen und die sozialpolitische<br />

Flankierung des Umstellungsprozesses nicht noch<br />

zusätzlichverteuern. Das gemeinsame Zielbei dieser<br />

Konzeption ist, alles daran zu setzen, daß sich<br />

die Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft<br />

möglichst rasch verbessert. Welche neue<br />

Wirtschaftsstruktur sich dabei herausbildet, bleiht<br />

den Marktkräften überlassen.<br />

Die andere Konzeption ist stärker erhaltungsorientiert.<br />

Sie hat zwar auch das Ziel einer Verbesserung<br />

der Wettbewerbsfähigkeit der neuen Bundesländer<br />

im Blick, sieht den Staat jedoch sowohl<br />

beim Abbau der alten als auch beim Aufbau der<br />

neuen Arbeitsplätze in einer lenkenden Rolle,<br />

nicht zuletzt, um die notwendige Anpassung für<br />

den einzelnen auf ein verträgliches Maß zu begrenzen.<br />

Zu dieser Konzeption gehört, daß möglichst<br />

viele alte Arbeitsplätze erhalten werden, solange<br />

es an genügend neuen fehlt. In Kauf genom-<br />

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