Jahresgutachten 1991/92 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
Jahresgutachten 1991/92 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
Jahresgutachten 1991/92 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Drucksache 12/1618 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode<br />
Mehrwertsteuer in Frage. Gegen eine Erhöhung der<br />
Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer sind<br />
vor allem wachstumspolitische Argumente vorzubringen:<br />
Leistungsanreize werden dadurch geschmälert,<br />
und die Investitionstätigkeit wird beeinträchtigt. Die<br />
marginale Einkommensteuerbelastung ist im internationalen<br />
Vergleich in Deutschland hoch; eine weitere<br />
Anhebung würde die Wettbewerbsfähigkeit des<br />
Standortes Bundesrepublik verschlechtern.<br />
Wenn der Kurs der angebotsorientierten Steuerpolitik,<br />
wie er seit Beginn der achtziger Jahre gehalten<br />
worden ist, wiederaufgenommen werden soll, dann<br />
sollte man bei Steuererhöhungen nicht die Einkommensentstehung,<br />
sondern verstärkt die konsumtive<br />
Einkommensverwendung besteuern. Aber auch bei<br />
einer Erhöhung der Mehrwertsteuer zeigen sich enge<br />
Grenzen, zumal nachdem der Nonnalsatz der Mehrwertsteuer<br />
zum 1. Januar 1993 - auch aus Gründen<br />
der EG-Steuerharmonisierung - bereits auf 15 vH<br />
erhöht werden soll. Gegen jede Anhebung sprechen<br />
verteilungspolitische Gründe; denn die Mehrwertsteuer<br />
belastet die Bezieher niedriger Einkommen<br />
vergleichsweise stark.<br />
63*. Wenngleich die Probleme des wirtschaftlichen<br />
Aufbaus in den neuen Bundesländern im Vordergrund<br />
der hnanzpolitischen Aktivitäten stehen werden,<br />
sollte dies nicht den Blick dafür verstellen, daß<br />
weitere wichtige finanzpolitische Entscheidungen anstehen.<br />
So bleibt die Refonn der Unternehmensbesteuerung<br />
aktuell. Da es dabei auch darum geht, den<br />
Standort Bundesrepublik im internationalen Wettbewerb<br />
attraktiv zu machen, sollten die geplanten Änderungen<br />
bis 1. Januar 1993, dem Beginn des europäischen<br />
Binnenmarktes, festliegen.<br />
64*. Ferner muß nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes<br />
die Besteuerung der Zinseinkünfte<br />
bis zum 1. Januar 1993 neu geregelt werden. Aus dem<br />
Regierungsprogramm stehtzudem die Regelung einer<br />
Pflegekostenversicherung an. Der Sachverständigenrat<br />
geht auf die zeitlich besonders drängenden Themen<br />
der Zinsbesteuerung und der pflegekostenversicherung<br />
gesondert ein, zumal damit auch Fragen der<br />
KapitalbHdung in Deutschland angesprochen werden<br />
- ein zentrales Thema im Zusammenhang mit den<br />
ökonomischen Problemen der Vereinigung und des<br />
wirtschaftlichen Aufbaus in den neuen Bundesländern.<br />
65*. Bei der notwendigen Reform der Zinsbesteuerung<br />
steht die Finanzpolitik vor einem. Dilemma. Je<br />
besser sie im Inland die steuersystematisch gebotene<br />
lückenlose Besteuerung durchsetzt, desto mehr fördert<br />
sie die Kapitalflucht. Die Steuerhinterziehung<br />
wird dadurch bei inländischen Zinseinkünften unterbunden,<br />
bei ausländischen Zinseinkünften nimmt sie<br />
tendenziell zu. Versucht man, durch Gewährung von<br />
Freibeträgen die Kapitalflucht zu begrenzen, so wird<br />
die fiskalische Zielsetzung (Mehraufkornmen, steuerliche<br />
Gerechtigkeit) verletzt. Bei hohen Freibeträgen,<br />
etwa bei 5 000 DM/la 000 DM, könnte sich das Ergebnis<br />
einstellen, daß 80 vH der Zinsempfänger de jure<br />
steuerfrei sind und die restlichen 20 vH über Kapitalflucht<br />
de facto die Steuer hinterziehen. Fiskalische<br />
und wirtschaftspolitische Zielsetzungen stehen also in<br />
einem kaum auflösbaren Konflikt.<br />
Die Einführung von Kontrollmitteilungen der Banken<br />
(oder von Stichproben) wäre zweifellos die Methode,<br />
mit der am ehesten inländische ZinseinkÜllfte lückenlos<br />
erfaßt werden könnten. Wenn man sich dazu nicht<br />
entscheiden kann, dann könnte man eine Quellensteuer<br />
einführen. Allerdings müßte eine Quellensteuer<br />
mit einem relativ niedrigen Satz arbeiten, um<br />
eine Flut von Erstattungsanträgen und damit zusätzlichen<br />
Steuererklärungen zu vermeiden. Bei niedrigem<br />
Steuersatz wird die Quellensteuer aber in vielen Fällen<br />
<strong>zur</strong> Definitivsteuer. Dann kann man diesen Weg<br />
aber auch sogleich einschlagen und eine Abgeltungssteuer<br />
einführen. Dabei sollten die Steuerfreibeträge<br />
jedoch deutlich unter - den in der aktuellen Diskussion<br />
genannten - 5000 DM/la 000 DM liegen.<br />
66*. Eine weitere Frage, die geklärt werden muß,<br />
betrifft die Absicherung des Pflegefallrisikos. Die Entscheidung,<br />
ob dies privat über Versicherungsmärkte<br />
oder in Fonn einer obligatorischen staatlichen oder<br />
parafiskalischen Versicherung erfolgen soll, ist zugleich<br />
auch eine Entscheidung über den zukünftigen<br />
Kurs in der Ausgestaltung der sozialen Sicherung. Es<br />
geht darum, die Eigenvorsorge der Menschen und die<br />
Kapitalbildung an<strong>zur</strong>egen, das System der sozialen<br />
Sicherung schon heute auf die Anforderungen des<br />
absehbaren demographischen Wandels einzustellen<br />
und eine weitere Erhöhung der marginalen Abgabenbelastung<br />
zu vermeiden. An diesen Kriterien gemessen<br />
ist eine private Versicherung, die nach dem Kapitaldeckungsverfahren<br />
arbeitet, die bessere Lösung.<br />
Dabei müßten allerdings für die Bestandsfälle und die<br />
risikonahen Fälle Sonderregelungen gefunden werden.<br />
In Frage kämen Transferzahlungen und Beitragszuschüsse.<br />
Die Übergangsprobleme sollten jedenfalls<br />
nicht dafür herhalten, die Konzeption einer<br />
privatwirtschaftlichen Absicherung zu verwerfen und<br />
den Weg für eine Refonn zu verbauen.<br />
Tarifpolitik: Die Überforderung<br />
der wirtschaftlichen Leistungskrafl venneiden<br />
(Ziffern 366ft.)<br />
67*. In den neuen wie in den alten Bundesländern<br />
waren die Tariflohnsteigerungsraten im Jahre <strong>1991</strong><br />
überhöht. Die Tarifpolitik muß ihren Kurs korrigieren.<br />
In den neuen Bundesländern setzt die niedrige Leistungskraft<br />
der meisten Unternehmen den wirtschaftlich<br />
vertretbaren Lohnsteigerungen enge Grenzen;<br />
eine differenzierte Lohnentwicklung ist notwendig,<br />
um die Anpassungsfähigkeit der einzelnen Unternehmen<br />
im Prozeß des wirtschaftlichen Neuaufbaus nicht<br />
zu überfordern. Dem steht über Unternehmen und<br />
Branchen hinweg die Forderung der Arbeitnehmer<br />
entgegen, möglichst bald auf westdeutsches Lohnniveau<br />
aufzuschließen. Läßt die von den Tarifvertragsparteien<br />
verfolgte lohnpolitische Aufholstrategie die<br />
Grenzen für das Verteilbare weiterhin außer acht, so<br />
sind zusätzliche Belastungen am Arbeitsmarkt unvermeidlich.<br />
Für die Tarifpolitik in den neuen Bundesländern geht<br />
es jetzt vor allem darum, den Kontakt zwischen der<br />
Lohnentwicklung und der Entwicklung der wirt-<br />
20