Jahresgutachten 1991/92 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode Drucksache 12/1618<br />
könnte durch entsprechende Erhöhung des Kindergeldes<br />
ausgeglichen werden.<br />
Zu berücksichtigen ist allerdings, daß im Pllegebereich<br />
wegen des hohen Personaleinsatzes mit überproportionalen<br />
Kostensteigerungen zu rechnen ist,<br />
denn Rationalisierung ist hier nur begrenzt möglich.<br />
Die Höhe der Pflegeleistungen der Versicherungen<br />
wäre entsprechend anzupassen, so daß die Prämien<br />
dynamisiert werden müßten.<br />
363. Die Versicherungsleistungen sollten ausschließlich<br />
in Geld gezahlt werden und nicht nach der<br />
Pflegeform (Heimpllege, häusliche Pllege, ambulante<br />
Pflege) differenzieren. Dadurch würde auch ein Anreiz<br />
geboten, häusliche und ambulante Pllege <br />
wann immer möglich - der Heimpflege vorzuziehen.<br />
Geldleistungen würden im übrigen kaufkräftige<br />
Nachfrage für Pflegeleistungen schaffen, so daß auch<br />
mit entsprechender Ausweitung des Angebots gerechnet<br />
werden könnte. Der Wettbewerb würde zudem<br />
dafür sorgen, daß solche Leistungen kostengünstig<br />
erstellt würden. Die Versicherungsleistungen<br />
müßten nach dem Grad der Pflegebedürltigkeit gestaffelt<br />
werden, der durch neutrale Fachkommissionen<br />
festzustellen wäre. Dadurch könnte auch ein der<br />
privaten Versicherung immer wieder angelasteter<br />
Mangel beseitigt werden: Die private Versicherung<br />
würde den Pflegefall, um von Leistungen freigestellt<br />
zu bleiben, möglichst lange als Krankheitsfall deklarieren,<br />
während die Krankenversicherung den Pflegefall<br />
möglichst frühzeitig festgestellt wissen möchte,<br />
um nicht leistungspflichtig zu werden. In einem solchen<br />
Zuständigkeitsstreit zwischen organisatorisch<br />
getrennten Versicherungen könnte der Versicherte<br />
leicht in die Situation kommen, für längere Zeit gar<br />
keine Leistungen zu erhalten und damit wiederum <br />
wie derzeit - der Sozialhilfe <strong>zur</strong> Last fallen. Dieses<br />
Problem könnte gelöst werden, wenn das ohnehin<br />
aktiv werdende Gutachtergremium auch den Zeitpunkt<br />
festlegte, zu dem der Pflegefall eingetreten ist.<br />
Dieser Zeitpunkt müßte im übrigen auch dann eindeutig<br />
bestimmt werden, wenn die Pflegeversicherung<br />
unter das Dach der Gesetzlichen Krankenversicherung<br />
genommen würde. Nur so könnten nämlich<br />
unkontrollierbare Querverteilungen zwischen den<br />
einzelnen Versicherungsträgern vermieden werden,<br />
die ansonsten die Tendenz zu einer Einheitsversicherung<br />
fördern würden.<br />
Der Umfang der Versicherungsleistungen sollte so<br />
festgelegt werden, daß der einzelne unter Hinzuziehen<br />
seiner eigenen Einkünfte die Pflegekosten tragen<br />
kann. Eine solche Regelung schränkt die mißbräuchliche<br />
Inanspruchnahme der Versicherung ein. Es<br />
sollte lediglich eine r-.1i.ndestversicherung abgeschlossen<br />
werden. Dem einzelnen muß es freistehen, darüber<br />
hinaus zusätzliche Leistungen zu versichern oder<br />
auf andere Weise für eine bessere Absicherung (zum<br />
Beispiel über Vermögensbildung) zu sorgen.<br />
364. Eine private Versicherung arbeitet mit dem Kapitaldeckungsverfahren.<br />
Das bedeutet, daß jeder Versicherte<br />
das Kapital selbst ansparen muß, das für die<br />
Absicherung seines Pflegerisikos erforderlich ist. Jede<br />
Generation sorgt insoweit für sich selbst; die Finanzierung<br />
der Pflegekostenversicherung wird vom Altersaufbau<br />
der Bevölkerung unabhängig. Langfristig<br />
kommt es zu einer verstärkten Kapitalbildung in der<br />
Volkswirtschaft. Schließlich wäre bei dieser Form der<br />
Versicherung nicht mit negativen Anreizwirkungen<br />
zu rechnen: Der einzelne Versicherungsnehmer kann<br />
seine Beiträge nicht mindern, indem er seine Leistung<br />
reduziert oder in die Schattenwirtschaft ausweicht.<br />
Insoweit sprechen wachstumspolitische Gründe eindeutig<br />
für die hier skizzierte Form einer privaten Pflegeversicherung.<br />
Zwar kann man ein Kapitaldekkungsverfahren<br />
grundsätzlich auch im Rahmen der<br />
Gesetzlichen Krankenversicherung praktizieren. Es<br />
besteht dabei jedoch die Gefahr, daß auf das angesammelte<br />
Kapital <strong>zur</strong>ückgegriffenwird oder die Kapitalbildung<br />
ausgesetzt wird, wenn in anderen Teilbereichen<br />
der Sozialversicherung Finanzierungsprobleme<br />
entstehen.<br />
Würde die Pflegeversicherung über lohnbezogene<br />
Beiträge nach dem Um1ageverfahren finanziert, so<br />
bliebe die Kapitalbildung im Vergleich <strong>zur</strong> privaten<br />
Versicherung <strong>zur</strong>ück. Beim Umlageverfahren muß die<br />
jeweils "aktive" Bevölkerung die "passive" alimentieren.<br />
Angesichts der erwarteten Entwicklung der<br />
Bevölkerung müßten immer weniger Erwerbstätige<br />
immer mehr Pflegefälle unterhalten. Es wäre also mit<br />
steigenden Beiträgen (über höhere Beitragssätze oder<br />
über eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze)<br />
und damit mit erheblichen Belastungen der kommenden<br />
Generationen zu rechnen. Dabei ist zu berücksichtigen,<br />
daß sich ohnehin in der Sozialversicherung<br />
eine solche Entwicklung abzeichnet. Es würde den<br />
Generationenvertrag überbelasten, wenn auch noch<br />
das Pflegekostenrisiko auf die zukünftige Generation<br />
übertragen würde.<br />
Gegen eine Lösung im Rahmen der Gesetzlichen<br />
Krankenversicherung sprechen weitere Argumente.<br />
Bei einer Sozialversicherung wird die bei privaten<br />
Versicherungen gültige Äquivalenz zwischen Beitragszahlung<br />
und Versicherungsleistung aus verteilungspolitischen<br />
Gründen durchbrachen, was zu Reaktionen<br />
der Versicherten führt. Das Leistungsverhalten<br />
ändert sich. Zudem muß mit einer Inflation in den<br />
Ansprüchen an die Versicherung gerechnet werden.<br />
Gerade die Erfahrungen bei der Reform der Krankenversicherung<br />
zeigen, daß praktisch jeder Versuch<br />
scheitert, solchen Entwicklungen entgegenzuwirken.<br />
Es geht bei der Diskussion also gar nicht nur um ein<br />
anderes Finanzierungsverfahren, sondern darüber<br />
hinaus auch um die Ausweitung der Leistungen. Da<br />
alle Krankenkassen den gleichen lohnbezogenen Beitrag<br />
erheben werden, die einzelnen Kassen aber un~<br />
terschiedlich stark mit Pflegekosten belastet werden<br />
würden, müßte zudem ein Finanzausgleich zwischen<br />
den über 1 100 Krankenkassen durchgeführt werden.<br />
Das würde die ohnehin schon vorhandene Entwicklung<br />
hin zu einer Einheitskasse fördern.<br />
365. Eine private Versicherung, die nach dem Kapitaldeckungsverfahren<br />
arbeitet, muß für eine übergangszeit<br />
eine besondere Lösung für die schon existierenden<br />
(Bestandsfälle) und die in Kürze eintretenden<br />
Pflegefälle (risikonahe Fälle) finden. Für die Bestandsfälle<br />
kann die private Versicherung keine Absicherung<br />
der Pflegekosten bieten, da kein Deckungskapital<br />
vorliegt. In Frage kämen dafür Transferzahlungen<br />
(Pllegegeld), die über den öllentlichen Haushalt<br />
zu finanzieren wären. Da die Sozialhilfe gleich-<br />
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