Dokumentation PID, PND, Forschung an Embryonen - 3., erweiterte ...
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<strong>an</strong>gesichts konkreter Konflikt- und<br />
Entscheidungssituationen nicht durchhalten.<br />
Besondere Abwägungsaspekte<br />
für frühe embryonale Stadien<br />
Für die frühen embryonalen Stadien,<br />
um die es bei der Stammzellforschung<br />
geht, hat die Ethik noch besondere Abwägungsaspekte<br />
zu beachten. So ist zu<br />
fragen, ob – <strong>an</strong>gesichts der fließenden<br />
Übergänge zwischen Toti- und Pluripotenz<br />
und der Reprogrammierbarkeit<br />
spezialisierter Zellen – die Totipotenz<br />
noch ein plausibles, h<strong>an</strong>dhabbares Abgrenzungskriterium<br />
bildet. Zudem ist<br />
der Embryo nach der Nidation noch<br />
viel deutlicher als vorher ein sich selbst<br />
entwickelndes Individuum. Indem sich<br />
seine Körperachse ausbildet, nimmt er<br />
als Individuum „Gestalt“ <strong>an</strong>; Zwillingsbildung<br />
ist nicht mehr möglich. Insofern<br />
stellt sich die Frage, ob g<strong>an</strong>z frühe Embryonalstadien<br />
vor der Nidation exakt<br />
genauso wie der Embryo nach der<br />
Nidation geschützt werden müssen. Für<br />
diese frühembryonale Phase sollte zwar<br />
keine nach unten hin „abgestufte“<br />
Schutzwürdigkeit behauptet werden.<br />
Aber es lässt sich eine etwas größere<br />
Ausnahmemöglichkeit vom grundsätzlich<br />
geltenden Lebensschutz und Lebenserhalt<br />
vertreten.<br />
Deshalb werden für die Stammzellforschung<br />
die Verwendung verwaister,<br />
ohnehin dem Tod ausgelieferter <strong>Embryonen</strong><br />
und theoretisch sogar überg<strong>an</strong>gsweise<br />
eine Reprogrammierung<br />
von Zellkernen, bei der ein Abbruch<br />
der Entwicklung nach wenigen Tagen<br />
erfolgt, ethisch denkbar. Dass darauf<br />
bezogene Abwägungen legitim sind,<br />
begründet sich aus den herausgeho-<br />
120<br />
D O K U M E N T A T I O N<br />
benen Zielen der Stammzellforschung,<br />
nämlich der Therapie von Kr<strong>an</strong>kheiten,<br />
bei denen konventionelle Beh<strong>an</strong>dlungsmethoden<br />
<strong>an</strong> Grenzen stoßen. In<br />
bestimmten Fällen scheint der alleinige<br />
Rückgriff auf adulte Stammzellen heutigem<br />
Ermessen zufolge unzureichend<br />
zu bleiben.<br />
Das Votum, das die DFG zugunsten<br />
der <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />
abgab, legte vor allem auf die <strong>Forschung</strong>sfreiheit<br />
Wert. Diese bildet in der<br />
Tat einen Kern neuzeitlicher Verfassungsprinzipien<br />
und ist auch in der EU-<br />
Grundrechtscharta tragend. Für die Abwägung,<br />
die die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen<br />
Stammzellen betrifft, dürfte letztlich<br />
jedoch dem Menschenrecht auf Gesundheit<br />
eine noch höhere Aussagekraft<br />
zukommen. Denn der <strong>Embryonen</strong>schutz<br />
einerseits und die Gesundheitsförderung<br />
<strong>an</strong>dererseits stehen als vitale,<br />
das Leben betreffende Güter in innerem<br />
Bezug zuein<strong>an</strong>der. Das Menschenrecht<br />
auf Gesundheit, nämlich das<br />
Recht des Einzelnen auf „das erreichbare<br />
Höchstmaß <strong>an</strong> Gesundheit“, haben<br />
Internationale Konventionen kodifiziert<br />
(Internationaler Pakt für wirtschaftliche,<br />
soziale und kulturelle Rechte<br />
von 1966 oder die UN-Kinderrechtskonvention<br />
von 1989). Die EU-Grundrechtscharta<br />
fordert ein „hohes Gesundheitsschutzniveau“<br />
für die „Durchführung<br />
aller Politiken und Maßnahmen“.<br />
Das Recht auf Gesundheit zählt<br />
zu jenen Menschenrechten, die staatlicherseits<br />
nach Maßgabe der jeweiligen<br />
technischen, ökonomischen und sozialkulturellen<br />
Bedingungen zu fördern<br />
sind. Auch auf der Basis einer Ethik<br />
der Zukunftsver<strong>an</strong>twortung, mithin im<br />
Blick auf schwere Kr<strong>an</strong>kheitsbilder<br />
künftig lebender Patienten, ist das Menschenrecht<br />
auf Gesundheit bedeutsam.<br />
Normierende Kriterien und<br />
perm<strong>an</strong>ente Überprüfung<br />
Es ist argumentativ unvertraut und neuartig,<br />
den Schutz von <strong>Embryonen</strong>, also<br />
ein Schutzrecht einerseits, und das<br />
Recht auf Gesundheit als menschenrechtlichen<br />
Anspruch <strong>an</strong>dererseits in einen<br />
Ausgleich zu bringen. Voraussetzung<br />
für eine – therapeutischen Zielen<br />
dienende – embryonale Stammzellforschung<br />
müssten normierende Kriterien,<br />
perm<strong>an</strong>ente Überprüfung und die Möglichkeit<br />
der Korrektur einmal betretener<br />
<strong>Forschung</strong>spfade sein. Die Gefahr,<br />
dass durch diese <strong>Forschung</strong> die Ethik<br />
des <strong>Embryonen</strong>schutzes oder gar die<br />
kulturelle Geltung der Menschenwürde<br />
generell ausgehöhlt würde, könnte so<br />
abgewehrt werden.<br />
❚ Zitierweise dieses Beitrags:<br />
Dt Ärztebl 2001; 98: A 3272–3274 [Heft 49]<br />
Literatur<br />
1. Demel S:Abtreibung zwischen Straffreiheit und Exkommunikation.<br />
Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer, 1995.<br />
2. Knoepffler N: Menschliche <strong>Embryonen</strong> und medizinethische<br />
Konfliktfälle. In: Knoepffler N, H<strong>an</strong>iel A<br />
(Hrsg.): Menschenwürde und medizinethische Konfliktfälle.<br />
Stuttgart, Leipzig: Hirzel, 2000; 55–66.<br />
<strong>3.</strong> Kreß H: Menschenwürde vor der Geburt. Grundsatzfragen<br />
und gegenwärtige Entscheidungsprobleme<br />
(Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik; Nutzung von Stammzellen).<br />
In: Kreß H/Kaatsch H-J (Hrsg.): Menschenwürde,<br />
Medizin und Bioethik. Münster: LIT, 2000; 11–37.<br />
4. Kreß H: Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik, der Status von<br />
<strong>Embryonen</strong> und embryonale Stammzellen. In: Zeitschrift<br />
für Ev<strong>an</strong>gelische Ethik 2001; 46: 230–235.<br />
Anschrift des Verfassers:<br />
Prof. Dr. theol. Hartmut Kreß<br />
Universität Bonn, Ev<strong>an</strong>gelisch-Theologische Fakultät<br />
Abteilung Sozialethik<br />
Am Hof 1, 53113 Bonn<br />
E-Mail: hkress@uni-bonn.de