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Dokumentation PID, PND, Forschung an Embryonen - 3., erweiterte ...

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nur vorgestellte,sondern seine leibhafte<br />

Mitte verlieren, seinen nur ihm zugehörigen<br />

Leib, der gezeugt, nicht erzeugt<br />

ist, den er frei verschenken und<br />

sogar zerstören k<strong>an</strong>n, der aber (noch)<br />

nicht zu m<strong>an</strong>ipulieren und nach dem<br />

Willen <strong>an</strong>derer irreversibel zu programmieren<br />

und zu verändern ist. Es hat den<br />

Anschein, als könne schon in absehbarer<br />

Zukunft der Mensch nicht mehr<br />

„Leib sein“, sondern nur noch „Körper<br />

haben“ (H. Plessner). Dies nämlich wäre<br />

die notwendige Konsequenz einer<br />

nicht nur im Einzelfall, sondern seriell<br />

durchgeführten Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik.<br />

Die Konjunktur der Körpermoden,<br />

der Körper-Erforschung, der<br />

Leichen-Plastinierung, der ästhetischen<br />

Präsentation plastinierter Körper in<br />

<strong>an</strong>atomischen Ausstellungen, der Paradigma-Bildung<br />

um Körper und Körperlichkeit<br />

in historischen und philologischen<br />

Wissenschafts-Disziplinen, aber<br />

auch der Körperverachtung in terroristischen<br />

Attacken und neuen Waffen,<br />

verweist in ihrer Massierung vermutlich<br />

doch eher auf eine Verlusterfahrung als<br />

auf die triumphale Entdeckung neuer<br />

Körperlichkeit.<br />

„Leibhaftig“ heißt die (2002 erschienene)<br />

Erzählung von Christa Wolf, in<br />

der eine schwer<br />

kr<strong>an</strong>ke Frau die<br />

Entfremdung von<br />

ihrem eigenen Körper<br />

zu überwinden<br />

sucht, versucht, wieder<br />

Leib zu sein,<br />

statt nur noch einen<br />

Körper zu haben, der nach dem<br />

Zusammenbruch des Immunsystems<br />

sich selbst aufzufressen beginnt: „Das<br />

Martyrium und der Unterg<strong>an</strong>g der<br />

Leiber“, heißt es in diesem Text in<br />

schlagzeilenartiger Erinnerung <strong>an</strong> das<br />

blutige 20.Jahrhundert,„mein Leib mitten<br />

unter ihnen.“<br />

Im kollektiven Bewusstsein entsteht<br />

heute allmählich die Vorstellung, dass<br />

der Mensch seine leibhafte Mitte verlieren<br />

könnte, dass sich die letzte ihm verbliebene<br />

biologische Gewissheit auflösen<br />

könnte in die Beliebigkeit austauschbarer,<br />

zu züchtender Einzelorg<strong>an</strong>e.<br />

Im gleichen Maße, in dem „immer<br />

rudimentärere Lebensformen [entdeckt<br />

oder im Modell entworfen werden],<br />

die der Schwelle zum Anorg<strong>an</strong>i-<br />

148<br />

So gewinnt die Medizin eine<br />

Position, die ihr die Rolle des<br />

Vermittlers in einem Wertekonflikt<br />

zuschreibt, wie er<br />

zugespitzter kaum denkbar ist.<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

schen immer näher stehen“, im gleichen<br />

Maße, in dem in den Tiefen des Weltinnenraums<br />

und des Kosmos das geschichtliche<br />

Bild des Menschen in die<br />

Kälte der Äonen entschwindet, verblasst<br />

auch die Vorstellung von der<br />

Würde, der Unverwechselbarkeit, der<br />

Nichtaustauschbarkeit der einen und<br />

einzelnen, in ihrer Einzelheit kostbaren,<br />

unwiederholbar konkreten Person.<br />

Das nicht-personale Zeitalter, in das<br />

wir, nüchtern gesehen, vor etwa 50<br />

Jahren eingetreten sind, ist ein naturwissenschaftlich-technisch<br />

dominiertes<br />

Zeitalter, in diesem Zeitalter verändert<br />

sich nicht nur das Verhältnis des Menschen<br />

zur Natur (auch des eigenen Leibes),<br />

verliert dieses Verhältnis nicht nur<br />

die Anschaulichkeit, in dieser Ära wird<br />

die Realisierung einer bisher nur in den<br />

Mythen und Sagen der Menschheit existierenden<br />

Vorstellung wahrscheinlich,<br />

dass in nicht allzu ferner Zeit „genetisches<br />

Material, das zur Selbstreproduktion<br />

fähig ist, im Laboratorium geschaffen<br />

werden wird. Der adamische Akt<br />

und die Erschaffung des Golems sind<br />

rational denkbar“. (G. Steiner)<br />

So gewinnt die Medizin, die es trotz,<br />

vermutlich sogar wegen ihrer naturwissenschaftlichen<br />

Grundlegung mit der<br />

verblassenden leib-<br />

haften Mitte des<br />

Menschen, mit dem<br />

konkreten, g<strong>an</strong>zen<br />

und komplexen Menschen<br />

zu tun hat,<br />

auf dem Konfliktfeld<br />

von naturwissenschaftlicher<br />

und sozialer Bestimmung<br />

des Menschen eine Position, die<br />

ihr die Rolle des Vermittlers in einem<br />

Wertekonflikt zuschreibt, wie er zugespitzter<br />

kaum denkbar ist. Denn um<br />

einen Wertekonflikt geht es bei der<br />

<strong>Embryonen</strong>debatte in den Wissenschaftsländern<br />

der Welt, nicht so sehr<br />

um eine naturwissenschaftlich mit dem<br />

Sachverst<strong>an</strong>d der Molekularbiologie<br />

zu entscheidende Frage. Es geht um die<br />

Frage, was schützenswertes menschliches<br />

Leben ist, welche Erbgutm<strong>an</strong>ipulationen<br />

wir uns erlauben dürfen,<br />

welche Mittel der therapeutische Zweck<br />

fordert.<br />

Der Wissenschaftliche Beirat der<br />

Bundesärztekammer wird in Zukunft<br />

immer stärker von solchen Grenzfragen<br />

zwischen Wissenschaft und Ethik gefordert<br />

sein,weil dies die Fragen sind,in denen<br />

Gesellschaft und Politik nun vermehrt<br />

Beratung brauchen, in denen der<br />

einseitig (naturwissenschaftlich oder sozial)<br />

gepolte Sachverst<strong>an</strong>d nicht ausreicht,<br />

um urteilsfähig zu sein. Ein solides<br />

naturwissenschaftliches Fundament<br />

des Wissens, die Fähigkeit zur sozialen<br />

Einbettung der zu entscheidenden Fragen<br />

in die Gemeinschaft von Werten<br />

und Kulturen und der Mut zur öffentlichen<br />

Aussprache der gefundenen Entscheidung<br />

sind die drei Säulen, auf denen<br />

die Stellungnahmen des Wissenschaftlichen<br />

Beirates beruhen. Es lohnt<br />

sich deshalb, die Rede des Bundespräsidenten<br />

von Mai 2001 nachzulesen,in der<br />

Fortschritt und Maß mitein<strong>an</strong>der korreliert<br />

sind, eben jene beiden Begriffe, die<br />

den gen<strong>an</strong>nten Entscheidungen zugrunde<br />

liegen. „Auch wenn wir über die neuen<br />

Möglichkeiten der Lebenswissenschaften<br />

sprechen“, sagte Joh<strong>an</strong>nes<br />

Rau, „geht es nicht in erster Linie um<br />

wissenschaftliche oder um technische<br />

Fragen. Zuerst und zuletzt geht es um<br />

Wertentscheidungen. Wir müssen wissen,<br />

welches Bild vom Menschen wir haben<br />

und wie wir leben wollen.“<br />

Wie weit heute schon die naturwissenschaftliche<br />

Beurteilung von möglichen<br />

medizinischen Methoden in das<br />

soziale Leben eingreift, ist vermutlich<br />

am Beispiel der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

am einleuchtendsten zu beschreiben.<br />

Es steht dort nämlich inzwischen<br />

nicht mehr Zulassung oder Verbot<br />

eines diagnostischen Verfahrens zur<br />

Debatte, sondern die Begriffe von Gesundheit<br />

und Kr<strong>an</strong>kheit in einem relativen<br />

oder normativen Verständnis überhaupt.<br />

Eine der großen Überraschungen<br />

des Hum<strong>an</strong>genomprojekts, sagt<br />

Konrad Beyreuther, sei das Faktum,<br />

dass sich „die Entstehung des Hum<strong>an</strong>genoms<br />

auf ein unglaubliches Gemisch<br />

von Bruchstücken unterschiedlichster<br />

Herkunft zurückführen“ lasse. „Im Genom<br />

finden sich zahlreiche Kopien ehemaliger<br />

Viren.Virusinfektionen, die unsere<br />

Vorfahren erlitten, haben sich als<br />

‚Immigr<strong>an</strong>ten‘ im Genom niedergelassen.“<br />

Das bedeutet doch nichts <strong>an</strong>deres,<br />

als dass wir durch Kr<strong>an</strong>kheit gesund<br />

sind, dass Gesundheit und Kr<strong>an</strong>kheit<br />

nicht normativ, sondern nur entwicklungsgeschichtlich<br />

zu bestimmen sind,

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