Dokumentation PID, PND, Forschung an Embryonen - 3., erweiterte ...
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lich als Schuld der Eltern, als Sünde wider<br />
die Natur gebr<strong>an</strong>dmarkt. Dies lässt<br />
sich aber auch aktuell belegen: In Fr<strong>an</strong>kreich<br />
haben Gerichte entschieden, dass<br />
Kinder mit pränatal absehbaren (mehr<br />
oder weniger schweren) Behinderungen<br />
ein Recht auf Nichtexistenz haben, ihr<br />
Geborenwerden also unter Umständen<br />
schuldhaft (durch fehlerhafte Pränataldiagnostik)<br />
zust<strong>an</strong>de kommt.<br />
Es gibt auch Metaphern der Angst,<br />
die den politökonomischen Bereich betreffen:<br />
etwa die Metapher vom Verpassen<br />
des Zuges, vom Zuspätkommen, von<br />
der Vertreibung von Wissenschaftlern<br />
und <strong>Forschung</strong>skapital ins Ausl<strong>an</strong>d. Hier<br />
meldet sich die Angst zu Wort, im neoliberalen<br />
Überlebenskampf zu kurz zu<br />
kommen und der Konkurrenz zu unterliegen,<br />
vom Ausl<strong>an</strong>d abhängig zu werden,<br />
den St<strong>an</strong>dort Deutschl<strong>an</strong>d zu ruinieren<br />
et cetera.<br />
Im Schatten von Darwinismus<br />
und Biologismus<br />
Nach dem Philosophen Robert Spaem<strong>an</strong>n<br />
setzt der Ged<strong>an</strong>ke des Menschenrechts<br />
voraus, „dass jeder Mensch als<br />
geborenes Mitglied der Menschheit<br />
kraft eigenen Rechts den <strong>an</strong>deren gegenübertritt,<br />
und dies wiederum bedeutet,<br />
dass die biologische Zugehörigkeit<br />
zur Spezies homo sapiens allein es sein<br />
darf, die jene Minimalwürde begründet,<br />
welche wir Menschenwürde nennen“<br />
(16). Die „Instruktion“ des Vatik<strong>an</strong>s<br />
„Donum Vitae“ von 1987 formulierte<br />
unmissverständlich: „Die in vitro erzeugten<br />
menschlichen <strong>Embryonen</strong> sind<br />
als menschliche Geschöpfe und rechtsfähige<br />
Wesen zu betrachten: Ihre Würde<br />
und ihr Recht auf Leben sind vom<br />
ersten Augenblick des Lebens <strong>an</strong> zu<br />
achten.“ (4)<br />
Die „Ethik des Heilens“, auf die sich<br />
die biomedizinische <strong>Forschung</strong> beruft,<br />
relativiert diesen Status menschlicher<br />
<strong>Embryonen</strong>. Sie versucht,Vorstufen zur<br />
Menschwerdung zu definieren, etwa einen<br />
„Prä-Embryo“ (17), dem noch keine<br />
un<strong>an</strong>tastbare Menschenwürde zuzubilligen<br />
sei – zum Beispiel sol<strong>an</strong>ge noch<br />
keine Einnistung erfolgt oder sol<strong>an</strong>ge<br />
noch die Zwillingsbildung möglich sei.<br />
Wolfg<strong>an</strong>g Frühwald, Präsident der<br />
Alex<strong>an</strong>der von Humboldt-Stiftung, hat<br />
132<br />
D O K U M E N T A T I O N<br />
<strong>an</strong>gesichts der gegensätzlichen St<strong>an</strong>dpunkte<br />
einen „Kulturkampf“ – „christlich,<br />
zumindest k<strong>an</strong>ti<strong>an</strong>isches Menschenbild“<br />
einerseits versus „szientistisch-sozialdarwinistischesMenschenbild“<br />
<strong>an</strong>derseits – diagnostiziert (6, 7).<br />
Ohne Zweifel begegnen wir heute – im<br />
Verbund mit dem wirtschaftlichen Neoliberalismus<br />
– einem wieder belebten<br />
(sozial)darwinistischen Denken, das <strong>an</strong>gesichts<br />
gentechnologischer Möglichkeiten<br />
die evolutionäre Leiter vom Affen<br />
zum Menschen nach oben für ausziehbar<br />
hält. Die Vision von der gentechnologischen<br />
Verbesserung des Menschen (enh<strong>an</strong>cement)<br />
spukt in vielen Köpfen. So<br />
erklärte der Nobelpreisträger James D.<br />
Watson, „dass menschliches und <strong>an</strong>deres<br />
Leben nicht von Gott geschaffen wurde,<br />
sondern durch einen evolutionären Prozess<br />
entsteht, den Darwinschen Prinzipien<br />
der natürlichen Auslese folgt“ (18).<br />
Atmen wir heute wirklich noch oder<br />
wieder den Geist des darwinistischen<br />
Zeitalters (der ja seinerzeit unter <strong>an</strong>derem<br />
auch Nationalismus und Imperialismus<br />
beflügelte)?<br />
Natur und Geist: der<br />
vergessene Kontext<br />
Im gesamten Diskurs über den Status<br />
menschlicher <strong>Embryonen</strong> fehlt eine<br />
Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit dem Begriff der<br />
Natur und dem des Geistes. So vermisse<br />
ich als Medizinhistoriker vor allem die<br />
klassischen Fragen der Naturphilosophie<br />
– beispielsweise: Was bedeutet irdisches<br />
Leben im Kosmos? Wie verhalten<br />
sich org<strong>an</strong>ische und <strong>an</strong>org<strong>an</strong>ische Natur<br />
zuein<strong>an</strong>der? Wie ist das Verhältnis von<br />
Mensch und Welt (Mikrokosmos und<br />
Makrokosmos) beschaffen? Wie begegnen<br />
sich tierische und geistige Natur im<br />
Menschen?<br />
Ist schon der Begriff der Natur für die<br />
Biomedizin ein blinder Fleck, so gilt dies<br />
umso mehr für den Begriff des Geistes.<br />
Der Bonner Philosoph Wolfram Hogrebe<br />
hat dies polemisch auf die Formel gebracht:<br />
„Im Stile einer Renaiss<strong>an</strong>ce des<br />
19. Jahrhunderts propagiert m<strong>an</strong> heute,<br />
nur um dem Geist ausweichen zu können,<br />
Life Sciences, Lebenswissenschaften.<br />
Sie sollen die Geisteswissenschaften<br />
unnötig machen. . . . Was braucht m<strong>an</strong><br />
Geist, wenn m<strong>an</strong> die Gene hat, mit de-<br />
nen Geld zu machen ist? . . .Wenn wir jem<strong>an</strong>den<br />
fragen: ‚Wer bist du?‘, d<strong>an</strong>n fragen<br />
wir nicht nach seinen Genen, sondern<br />
nach seiner geschichtlichen Identität,<br />
über die er zugleich immer auch<br />
hinaus ist.“ (11) Der Begriff des Geistes<br />
ist für den Diskurs der Biomedizin offensichtlich<br />
bedeutungslos.<br />
Die Leitbegriffe der Ethikdebatte,<br />
wie Menschenwürde, Lebensrecht, Heilen,<br />
Güterabwägung et cetera, können<br />
keine konstruktive gesellschaftskritische<br />
Kraft entfalten, da weder die historischen<br />
Quellen noch der globale Kontext<br />
ins Auge gefasst werden. Ein K<strong>an</strong>t-Zitat<br />
zur Würde der Person und der Verweis<br />
auf Artikel 1 des Grundgesetzes oder die<br />
Rede vom „therapeutischen Imperativ“<br />
und dem „Kinderwunsch“ als Postulat<br />
der Autonomie bedeuten noch keine kritische<br />
Analyse unserer geistigen Situation,<br />
unseres Aufenthaltsortes in der Natur-<br />
und Menschheitsgeschichte. Erst<br />
wenn wir uns mit diesem Kontext der<br />
modernen Biomedizin ausein<strong>an</strong>der setzen,<br />
können wir in historischer Perspektive<br />
durch „Erinnern, Wiederholen und<br />
Durcharbeiten“ (Freud) eine Gemeinschaft<br />
verändernde Orientierung für die<br />
Zukunft gewinnen. Können, dürfen wir<br />
uns schon jene Freiheit herausnehmen,<br />
welche die liberale Eugenik gegenwärtig<br />
bereits einfordert? Oder müsste sie nicht<br />
erst durch disziplinierte Bildungsarbeit<br />
<strong>an</strong> uns selbst errungen werden?<br />
Sexualität – Eros – Liebe<br />
1978 wurde das erste Kind nach In-vitro-<br />
Fertilisation in Engl<strong>an</strong>d geboren. Vor<br />
dem „Retortenbaby“ Louise Brown<br />
wurden alle Babys der Welt durch Invivo-Fertilisation<br />
gezeugt. Diese Zeugung<br />
geschieht bek<strong>an</strong>ntlich im Sp<strong>an</strong>nungsfeld<br />
von Sexualität und Liebe – und<br />
in schlimmen Fällen im Sp<strong>an</strong>nungsfeld<br />
von Sexualität und Gewalt. <strong>Embryonen</strong><br />
werden heute – unabhängig von ihrer<br />
ethisch-rechtlichen Bewertung – als isolierte<br />
biologische Monaden dargestellt<br />
und imaginiert, abgelöst von ihren org<strong>an</strong>ischen<br />
Ursprungsorten im Körper der<br />
Frau und des M<strong>an</strong>nes, abgelöst vom Zeugungsakt,<br />
der sich in einen Herstellungsakt<br />
verw<strong>an</strong>delt hat. Solche biotechnischen<br />
Eingriffe würden die „intuitive<br />
Unterscheidung zwischen Gewachse-