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Dokumentation PID, PND, Forschung an Embryonen - 3., erweiterte ...

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normen, die absolut und allgemein gelten,<br />

ohne dass übergeordnete Zwecke<br />

diese Geltung relativieren könnten. Darum<br />

gibt es konkrete H<strong>an</strong>dlungsforderungen<br />

und -verbote, die sich jeglicher Abwägung<br />

entziehen.<br />

Solche Verbotsnormen zeigen Grenzen<br />

menschlichen H<strong>an</strong>delns <strong>an</strong>, die nicht<br />

überschritten werden dürfen. Ebenfalls<br />

wie für Sokrates sind für Aristoteles 2 absolute<br />

H<strong>an</strong>dlungsverbote menschliche<br />

H<strong>an</strong>dlungen, die immer gelten. Weil sie<br />

objektiv schlecht sind, das heißt: sie sind<br />

unter allen Umständen sittlich verdorben,<br />

deshalb sollen sie immer und für jeden<br />

Fall unterlassen werden. Das gilt<br />

auch d<strong>an</strong>n, wenn solche H<strong>an</strong>dlungen<br />

durch hinzukommende, gut gemeinte<br />

Absichten beeinflusst werden. Die moralische<br />

Identität der absoluten H<strong>an</strong>dlungsverbote<br />

k<strong>an</strong>n durch keine dazukommende<br />

Absicht oder Folgenabschätzung<br />

neu beschrieben oder neu definiert<br />

werden. Sie bleibt resistent gegenüber<br />

allen hinzukommenden, gut gemeinten<br />

Überlegungen.<br />

Tugend der Gerechtigkeit<br />

Absolute H<strong>an</strong>dlungsverbote beziehen<br />

sich auf bestimmte H<strong>an</strong>dlungsweisen,<br />

die einen konkreten ethischen Kontext<br />

ausdrücken, die, wenn sie dennoch beg<strong>an</strong>gen<br />

werden, einen schweren Verstoß<br />

gegen eine oder mehrere Tugenden implizieren<br />

3 . Ein absolutes H<strong>an</strong>dlungsverbot<br />

wählen bedeutet, sich gegen eine bestimmte<br />

Tugend zu entscheiden. So wird<br />

etwa durch die gezielte Tötung eines<br />

Embryos zu <strong>Forschung</strong>szwecken die Tugend<br />

der Gerechtigkeit empfindlich getroffen.<br />

Mit der Entfernung der inneren<br />

Zellmasse des Embryos im Blastozystenstadium<br />

wählt der Arzt den Tod eines<br />

Menschen.Dieser H<strong>an</strong>dlungsvollzug<br />

fällt immer unter die Intention des Tötens<br />

und prägt den Willen des Arztes. Er<br />

ist in sich betrachtet ein Akt der Unge-<br />

2 Aristoteles, Nikomachische Ethik, II, 61107 a 9–18.<br />

3 Vgl.: Rhonheimer M: Die Perspektiven der Moral. Philosophische<br />

Grundlagen der Tugendethik (Berlin 2001),<br />

S. 303–321.<br />

4 Vgl.: Sonnenfeld A: Selbstverwirklichung oder Selbstvernichtung.<br />

Gewissen und ethisches H<strong>an</strong>deln im ärztlichen<br />

Beruf, in: Dtsch Arztebl, 1990; 87: A 1507–1515<br />

[Heft 19].<br />

5 Vgl.: Röm, 3,8, in abgew<strong>an</strong>delter Form: „M<strong>an</strong> darf nie<br />

etwas Schlechtes tun, um ein Gut zu erwirken.“<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

rechtigkeit, weil er die Entscheidung für<br />

den Tod eines unschuldigen Menschen<br />

impliziert.<br />

Die Tugend der Gerechtigkeit bedeutet<br />

ja vor allem, dass ich den <strong>an</strong>deren als<br />

mir Ebenbürtigen <strong>an</strong>erkenne. Die goldene<br />

Regel aber verbietet mir, dass ich dem<br />

Nächsten seine Existenz aberkenne:<br />

„Was du nicht willst, das m<strong>an</strong> dir tut, das<br />

füg auch keinem <strong>an</strong>deren zu.“ Dieses Lebensrecht<br />

jeder Person ist die Grenze aller<br />

Güterabwägungen. Die Folgen einer<br />

solchen H<strong>an</strong>dlung führen <strong>an</strong> erster Stelle<br />

zu einer Verformung im Willen des H<strong>an</strong>delnden<br />

selbst. Sollte sich diese H<strong>an</strong>dlung<br />

wiederholen, bliebe eine dauernde<br />

Verformung des Gewissens nicht aus 4 .<br />

Um diese Gefahr zu vermeiden, sollte<br />

eine bioethische Debatte stattfinden, die<br />

nicht fragt, wie sich die Menschen faktisch<br />

verhalten, sondern wie sie sich verhalten<br />

sollen. Medizinische Ethik zielt<br />

nicht darauf ab, ob eine H<strong>an</strong>dlungsweise<br />

für richtig gehalten wird, sondern ob sie<br />

richtig ist, das heißt also, ob sie tatsächlich<br />

der menschlichen Würde dient. Das<br />

Argument des Sokrates bleibt aktuell. In<br />

der bioethischen Debatte geht es im Wesentlichen<br />

um dasselbe Problem wie damals:<br />

Es geht um die Frage nach der Absolutheit<br />

und Allgemeingültigkeit von<br />

H<strong>an</strong>dlungsnormen <strong>an</strong>gesichts von übergeordneten<br />

Zielsetzungen, die diese<br />

Normen scheinbar relativieren. Und<br />

g<strong>an</strong>z konkret geht es um die Frage, ob<br />

der Grundsatz, „dass m<strong>an</strong> niemals die<br />

Tötung eines Unschuldigen als Mittel zu<br />

einem <strong>an</strong>deren Zweck <strong>an</strong>streben oder<br />

wählen darf“ 5 , zu diesen un<strong>an</strong>tastbaren<br />

ethischen Grundsätzen zählt.<br />

Das Ziel medizinischer Ethik zu formulieren<br />

scheint einfach zu sein: Es h<strong>an</strong>delt<br />

sich, so lautet ein überzeugender<br />

Vorschlag, um eine „Ethik des Heilens“.<br />

Die Formel klingt überzeugend. Niem<strong>an</strong>d<br />

wird bezweifeln, dass etwa im<br />

Blick auf einen Parkinson-Kr<strong>an</strong>ken die<br />

Heilung genau dieses Leidens für den<br />

Arzt eine ethisch gute Tat ist. Nun aber<br />

muss auch über die konkrete Umsetzung<br />

des ethischen Leitsatzes nachgedacht<br />

werden. Damit steht m<strong>an</strong> vor dem entscheidenden<br />

Schritt in der aktuellen<br />

Stammzelldiskussion.<br />

Beim Umg<strong>an</strong>g mit <strong>Embryonen</strong> hat<br />

m<strong>an</strong> es mit einer H<strong>an</strong>dlung zu tun, die in<br />

sich selbst beurteilt werden muss, weil sie<br />

ein Objekt betrifft, das stets in sich, in sei-<br />

nem Eigenwert, und niemals bloß als Mittel<br />

fremder Zwecke zu betrachten ist.<br />

Denn mit der Vereinigung der beiden Vorkerne<br />

von Ei- und Samenzelle ist die genetische<br />

Identität des neu entst<strong>an</strong>denen<br />

menschlichen Lebens fixiert.Damit ist seine<br />

Zugehörigkeit zur menschlichen Spezies<br />

festgelegt. Seine Sonderstellung liegt<br />

im einzigartigen Chromosomensatz begründet,der<br />

das inhärierende Potenzial einer<br />

kontinuierlichen Entwicklung in sich<br />

vereint. Somit kommt dem Embryo in<br />

vollem Umf<strong>an</strong>g Menschenwürde zu. Jede<br />

<strong>an</strong>dere Position würde eine Instrumentalisierung<br />

der Menschenwürde bedeuten.<br />

Die Würde des Menschen<br />

Erst in der g<strong>an</strong>zheitlichen, Ziel und Mittel<br />

in ihrem untrennbaren Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

berücksichtigenden Betrachtung<br />

wird medizinische Ethik ihrem Anspruch<br />

gerecht, „Ethik des Heilens“ zu<br />

sein. Denn auch der Heilungswille darf<br />

den Arzt nicht dazu ver<strong>an</strong>lassen, die<br />

ethische Betrachtung einer H<strong>an</strong>dlung<br />

am Maßstab einer aspekthaften, am Paradigma<br />

der Technik ausgerichteten<br />

Zweckrationalität vorzunehmen. In der<br />

Technik k<strong>an</strong>n das Mittel zur reinen<br />

Funktion erklärt werden, ohne dass m<strong>an</strong><br />

den Gesamtprozess falsch einschätzt.<br />

Menschliches H<strong>an</strong>deln dagegen ist<br />

nur d<strong>an</strong>n gut, wenn das gute Ziel auch<br />

durch solche Mittel verwirklicht wird, die<br />

in sich der Würde des Menschen, den<br />

m<strong>an</strong> beh<strong>an</strong>delt, nicht widersprechen. Beh<strong>an</strong>delt<br />

wird aber nicht nur der Patient,<br />

sondern auch der ungeborene Mensch,<br />

dessen Körpermaterial m<strong>an</strong> benutzen<br />

will. Therapeutisches H<strong>an</strong>deln ist wie jedes<br />

H<strong>an</strong>deln nur d<strong>an</strong>n „gut“ im umfassenden<br />

Sinne, wenn darin der Mensch in<br />

jedem Stadium seiner Existenz davor geschützt<br />

wird, zum bloßen Mittel erklärt<br />

und damit als Person negiert zu werden.<br />

Nur wenn der Arzt in diesem größeren<br />

Sinne „gut“ h<strong>an</strong>deln will,tut er etwas,das<br />

ihn selbst erfüllen k<strong>an</strong>n.<br />

❚ Zitierweise dieses Beitrags:<br />

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 271–272 [Heft 5].<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Dr. med. Dr. theol. Alfred Sonnenfeld<br />

Universitätsklinikum Charité<br />

Ethik-Kommission des Virchow-Klinikums. Lehrgebäude<br />

Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin<br />

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