Dokumentation PID, PND, Forschung an Embryonen - 3., erweiterte ...
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weil die Genkombinationen scheinbare<br />
Kr<strong>an</strong>kheitsdispositionen in Vorteile<br />
für die Genträger verw<strong>an</strong>deln können?<br />
„Warum konnten sich kr<strong>an</strong>kheitsdisponierende<br />
Vari<strong>an</strong>ten bestimmter<br />
Gene durchsetzen?“ fragt Konrad Beyreuther.<br />
„Was ist ihr Vorteil?“ Und er<br />
<strong>an</strong>twortet: „Bei der Sichelzell<strong>an</strong>ämie,<br />
die bei 40 Prozent der Nordafrik<strong>an</strong>er<br />
vorkommt, kennt m<strong>an</strong> den Grund. Die<br />
Ver<strong>an</strong>lagung schützt vor Malaria. Sie<br />
hat aber den Nachteil, dass bei schwerer<br />
körperlicher Arbeit die sichelförmige<br />
Veränderung der roten Blutzellen zu<br />
Verstopfung der Blutgefäße führt und<br />
damit tödlich sein k<strong>an</strong>n.“ Eine Menschenzüchtung<br />
also, die abstrakt und rationalistisch<br />
seriell nach Design und<br />
Programm fragt und die unvorstellbare,<br />
überkomplexe Fülle des Lebens vernachlässigt,<br />
wird Monstren, nicht Menschen,<br />
jedenfalls nicht Menschen nach<br />
dem heute noch gültigen und <strong>an</strong>schaulichen<br />
Bild dieser Spezies, herstellen. Der<br />
Eingriff in die Erb<strong>an</strong>lagen des Menschen<br />
unterliegt gesellschaftlichen und<br />
naturwissenschaftlichen Wertentscheidungen.<br />
„Was heute als nutzlose oder<br />
schädliche Genvari<strong>an</strong>te erscheinen<br />
mag, k<strong>an</strong>n sich morgen als Schlüssel<br />
zum Fortbest<strong>an</strong>d der Spezies Mensch<br />
erweisen. Klar scheint jedenfalls zu<br />
sein, was genetisch sinnvoll ist, k<strong>an</strong>n<br />
sich binnen kurzem verändern, und das<br />
Abnorme k<strong>an</strong>n sich über Nacht zur<br />
Norm entwickeln. Die Normalität des<br />
genetisch Abnormen macht offensichtlich<br />
Sinn. <strong>PID</strong> ohne strengste Indikationen<br />
und Keimbahnm<strong>an</strong>ipulationen<br />
beim Klonen von Menschen wären gefährliche<br />
Eingriffe in dieses Reservoir.“<br />
(K. Beyreuther)<br />
In die gesellschaftliche und wissenschaftliche<br />
Debatte um die Konkurrenz<br />
verblassender, sich spaltender und vielleicht<br />
sogar auflösender Menschenbilder<br />
hat Jürgen Habermas mit der Frage<br />
nach der Gattungsethik des Menschen<br />
ein Argument eingeführt, das in der kasuistischen<br />
deutschen Diskussion um<br />
Gesetzeslücken und Stammzellenimport<br />
unterzugehen droht. Habermas<br />
meint, dass der heutige Umg<strong>an</strong>g mit<br />
vorpersonalem menschlichen Leben<br />
Fragen eines Kalibers aufwerfe, die normale<br />
Differenzen der Denkkulturen<br />
oder auch der Kulturkreise weit überschreiten.<br />
„Sie berühren nicht diese<br />
D O K U M E N T A T I O N<br />
oder jene Differenz in der Vielfalt kultureller<br />
Lebensformen, sondern intuitive<br />
Selbstbeschreibungen, unter denen<br />
wir uns als Menschen identifizieren und<br />
von <strong>an</strong>deren Lebewesen unterscheiden<br />
– also das Selbstverständnis von uns als<br />
Gattungswesen.“ Die emotionalen Reaktionen<br />
auf die verbrauchende <strong>Embryonen</strong>forschung,<br />
auf die „Zeugung<br />
von <strong>Embryonen</strong> unter Vorbehalt“ und<br />
die „Vernutzung“ von menschlichen<br />
<strong>Embryonen</strong>, die ja bis zum Vorwurf „archaisch-k<strong>an</strong>nibalistischer<br />
Praktiken“<br />
reichen, drückten den „Abscheu vor<br />
etwas Obszönem“<br />
aus. Er sei zu vergleichen<br />
dem „Ekel<br />
beim Anblick der<br />
chimärischen Verletzung<br />
der Artgrenzen,<br />
die wir<br />
naiverweise für unverrückbargehalten<br />
hatten“. Das „ethische Neul<strong>an</strong>d“,<br />
das wir beträten, bestehe „in der Verunsicherung<br />
der Gattungsidentität“.Wenn<br />
dieser Befund richtig ist, und ich habe<br />
keinen Grund, dar<strong>an</strong> zu zweifeln, d<strong>an</strong>n<br />
müssen wir vermutlich lernen einzusehen,<br />
dass es zu dem von uns (von uns<br />
Menschen) erzeugten und entwickelten,<br />
umstrittenen und geglaubten Bild<br />
des Menschen, das seit den ersten M<strong>an</strong>ifestationen<br />
menschlichen Bewusstseins<br />
in der leibhaften Identität des Gattungswesens<br />
Mensch wurzelt, eine Alternative<br />
zu geben scheint: die Auflösung<br />
dieser leibhaften Identität durch<br />
die genetische Vor- und Umprogrammierung<br />
gezüchteter Menschen. Ein<br />
von seinen Eltern oder seinen Erzeugern<br />
irreversibel und programmgemäß<br />
geschaffener Mensch wird ein <strong>an</strong>deres<br />
Verhältnis zu seiner und seiner Mitlebenden<br />
Existenz haben als ein aus der<br />
Zufallsentscheidung der Natur entst<strong>an</strong>dener<br />
Mensch. „Die Vergegenwärtigung<br />
der vorverg<strong>an</strong>genen Programmierung<br />
eigener Erb<strong>an</strong>lagen mutet uns gewissermaßen<br />
existenziell zu, das Leibsein<br />
dem Körperhaben nach- und unterzuordnen.“<br />
Das sind weitreichende Fragen und<br />
sie stellen sich jetzt. Auch wenn die<br />
Apologeten der umst<strong>an</strong>dslosen <strong>Forschung</strong><br />
<strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />
des Menschen nur g<strong>an</strong>z kleine Brötchen<br />
zu backen meinen, hat ihre „Ethik des<br />
Der genetische Zufall des<br />
bunten Menschengewimmels<br />
ist etwas grundsätzlich<br />
<strong>an</strong>deres als die technisierte<br />
Pl<strong>an</strong>ung eines optimierten,<br />
eines gezüchteten Menschen.<br />
Heilens“ gegenüber diesen Grundfragen<br />
des Menschseins etwas rührend<br />
Naives <strong>an</strong> sich. Zeugung und Erzeugung<br />
von menschlichem Leben sind unterschiedliche<br />
Ursprungsweisen. Der<br />
genetische Zufall des bunten Menschengewimmels<br />
ist etwas grundsätzlich<br />
<strong>an</strong>deres als die technisierte Pl<strong>an</strong>ung<br />
eines optimierten, eines gezüchteten<br />
Menschen.<br />
Menschenzucht liegt sicher (noch)<br />
nicht in der aktuellen Absicht der seriösen<br />
<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> menschlichen Embryonalzellen<br />
und gehört derzeit noch<br />
zum Propag<strong>an</strong>da-<br />
Arsenal der „Spinner“,<br />
aber, und das<br />
wird allzu oft übersehen,<br />
sie liegt in<br />
der Entwicklungstendenz<br />
dieser <strong>Forschung</strong>.„<strong>Embryonen</strong>zucht<br />
und <strong>PID</strong>“,<br />
konstatiert Habermas, „erregen die<br />
Gemüter vor allem deshalb, weil sie<br />
eine Gefahr exemplifizieren, die sich<br />
mit der Perspektive der ‚Menschenzüchtung‘<br />
verbindet. Zusammen mit<br />
der Kontingenz der Verschmelzung<br />
von jeweils zwei Chromosomensätzen<br />
verliert der Generationenzusammenh<strong>an</strong>g<br />
die Naturwüchsigkeit, die bisher<br />
zum trivialen Hintergrund unseres<br />
gattungsethischen Selbstverständnisses<br />
gehörte.“<br />
Es könnte also sein, dass durch die<br />
Fortschritte der Genetik und ihrer Anwendungsform,<br />
der Gentechnologie,<br />
die überlieferte Weise der vom Menschen<br />
ausgeübten Herrschaft über die<br />
Natur verändert wird. „Mit den hum<strong>an</strong>genetischen<br />
Eingriffen schlägt Naturbeherrschung<br />
in einen Akt der Selbstbemächtigung<br />
um, der unser gattungsethisches<br />
Selbstverständnis verändert –<br />
und notwendige Bedingungen für autonome<br />
Lebensführung und ein universalistisches<br />
Verständnis von Moral<br />
berühren könnte.“ Wer von den ihm<br />
Vor<strong>an</strong>gehenden (seinen Eltern, seinen<br />
Erzeugern, seinen Ei- und Samenspendern)<br />
nicht durch natürliche Zufallsentscheidung,<br />
sondern durch technische<br />
Intervention irreversibel genetisch programmiert<br />
ist, verliert nichts weniger als<br />
die Freiheit gegenüber dem vorherbestimmenden,<br />
auch gegenüber dem erzieherischen<br />
Willen der Eltern. Zwar ist<br />
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