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Dokumentation PID, PND, Forschung an Embryonen - 3., erweiterte ...

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gibt, meint diese Erzählung, trägt in sich<br />

die Kr<strong>an</strong>kheit zum Tode.<br />

M<strong>an</strong> hat später diese hier flüchtig<br />

skizzierte Zeitstimmung aus Verzweiflung<br />

und Nostalgie, aus noch kaum artikulierter<br />

Sehnsucht nach Überwindung<br />

der „Welt der alten Männer“ und<br />

Selbstironie als „restaurativ“ bezeichnet<br />

und dabei übersehen, wie sich im<br />

Untergrund die Zukunft vorbereitete,<br />

wie sich ein starker demokratischer<br />

Kern bildete, der auch die Krisen der<br />

60er- und der 70er-Jahre zu überstehen<br />

vermochte. Dabei gab es genügend Signale,<br />

die auf die Zukunft verwiesen,<br />

doch haben wir als Zeitgenossen diese<br />

Signale nur unzureichend gedeutet.<br />

1952, als in Ost und West die ersten<br />

Wasserstoffbomben explodierten, als<br />

sich die Welt in zwei Machtblöcken<br />

verhärtete, gab es bereits Anzeichen<br />

jener Mobilität, die das Blocksystem<br />

der Welt gleichsam von innen her<br />

zerstört hat. Im Jahr 1952 nämlich purzelten<br />

die Geschwindigkeitsrekorde<br />

nicht nur in der Schiffspassage über den<br />

Atl<strong>an</strong>tik, sondern vor allem bei den<br />

L<strong>an</strong>gstreckenflügen. In neun Stunden<br />

und 50 Minuten flog erstmals ein<br />

amerik<strong>an</strong>ischer Düsenbomber non stop<br />

über den Pazifik von Alaska nach Jap<strong>an</strong>.<br />

Die Gravitationsfelder der Welt<br />

beg<strong>an</strong>nen sich unmerklich aus dem<br />

Westen der Welt in den Osten zu verschieben.<br />

Der stärkste Motor der Veränderung<br />

aber war (und ist) die Wissenschaft,<br />

deren technische Anwendungen jetzt<br />

von basalen Ver-<br />

änderungensprachen. Mit dem Jahr<br />

1952 beg<strong>an</strong>n das<br />

halbe Jahrhundert<br />

jener nachmodernenErfahrungsexplosion,<br />

welche die<br />

Welt von Grund<br />

auf verändert hat, bis wir in unseren Tagen<br />

– um mit Jürgen Habermas zu sprechen<br />

– nicht mehr neue Antworten auf<br />

alte Fragen suchen, sondern vor Fragen<br />

einer <strong>an</strong>deren Art stehen.<br />

Im Jahr 1952 wurde der Nobelpreis<br />

für Medizin <strong>an</strong> Selm<strong>an</strong> Abraham Waksm<strong>an</strong><br />

für die Mitentdeckung des Streptomycins<br />

vergeben, und im gleichen Jahr<br />

wurden Bakterien gezüchtet, die gegen<br />

dieses Antibiotikum 250 000-mal wi-<br />

146<br />

Mit dem Jahr 1952 beg<strong>an</strong>n<br />

das halbe Jahrhundert jener<br />

nachmodernen Erfahrungsexplosion,<br />

welche die Welt<br />

von Grund auf verändert hat.<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

derst<strong>an</strong>dsfähiger sind als die Ausg<strong>an</strong>gsform.<br />

Im Folgejahr schon (1953) haben<br />

Crick und Watson in der Zeitschrift<br />

„Nature“ jene klassische Beschreibung<br />

der DNA-Doppelhelix publiziert, die<br />

das biologische Zeitalter einleitete und<br />

die Mikrobiologie als Leitwissenschaft<br />

<strong>an</strong> die Stelle der Atomphysik setzte.<br />

Dass sich die Bundesärztekammer<br />

im Jahr 1952 einen Wissenschaftlichen<br />

Beirat geschaffen hat, war somit eine<br />

weitreichende und eine vorausschauende<br />

Entscheidung.<br />

Von nun <strong>an</strong> nämlich<br />

wurde der Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

von<br />

Biologie oder besser<br />

von Biochemie<br />

und Medizin so eng, dass der Abst<strong>an</strong>d<br />

zwischen Grundlagenforschung und<br />

Entwicklung rasch zu schrumpfen beg<strong>an</strong>n,<br />

wissenschaftliche Entdeckungen<br />

und Entwicklungen das soziale Leben<br />

revolutionierten und die Entwicklungen<br />

bereits der Grundlagenforschung in<br />

wirtschaftliche und ethisch relev<strong>an</strong>te<br />

Bereiche eindr<strong>an</strong>gen. Die Aufgabe der<br />

Ärztekammern, für einen wissenschaftlich<br />

und ethisch hoch stehenden Ärztest<strong>an</strong>d<br />

Sorge zu tragen, war ohne fachkundige<br />

Beratung in beiden Bereichen<br />

nicht mehr zu erfüllen.<br />

Dass sich Ethik, insbesondere ärztliches<br />

Ethos, und Wissenschaft widersprechen<br />

können und solche Widersprüche<br />

in neuerer Zeit auch unter demokratischen<br />

Verhältnissen häufiger<br />

werden, liegt vermutlich <strong>an</strong> der besonderen<br />

Art, in der<br />

sich Naturwissenschaft<br />

und Technik<br />

weiterentwickeln.<br />

Der Begriff des<br />

„Fortschritts“, der<br />

seit wenigstens 1795<br />

im heutigen Wortgebrauchüberliefert<br />

ist, als „Vermehrung der Einsichten,<br />

der Erfahrung, des Muts, der Fertigkeit<br />

im Guten oder auch im Bösen“,<br />

gehört zu den Naturwissenschaften und<br />

zur Technik in einem g<strong>an</strong>z <strong>an</strong>deren<br />

Maße als zu Kunst, Literatur und Geisteswissenschaften.<br />

Naturwissenschaft und Technik sind<br />

geradezu durch ihren Fortschritt definiert,<br />

„Die Kernphysik überwindet die<br />

Alchimie; durch die Molekularbiologie<br />

Naturwissenschaft und<br />

Technik sind geradezu durch<br />

ihren Fortschritt definiert.<br />

wird die Physiologie der Körpersäfte<br />

überholt. Dasselbe gilt für die Anwendungen:E-Mail<br />

stellt eine Verbesserung<br />

gegenüber dem Semaphor dar, ein<br />

Überschallflugzeug überflügelt eine<br />

Galeone, das Chloroform ver<strong>an</strong>schaulicht<br />

das Heraustreten des Menschen<br />

aus unvorstellbaren Schmerzen. Keine<br />

Winde der Mode werden Naturwissenschaft<br />

oder Technologie in die Verg<strong>an</strong>genheit<br />

zurückwehen“ (G. Steiner).<br />

Durch die Beschleunigung des Erfahrungsw<strong>an</strong>dels,wel-<br />

che das grundlegende<br />

Kennzeichen<br />

der Moderne und<br />

der Nachmoderne<br />

ist, sind wir alle in<br />

der Lage, solche Fortschritte am eigenen<br />

Leibe zu prüfen: Wer in seiner<br />

Kindheit die Gefahren der Poliomyelitis<br />

gesehen hat, weiß, welch kluge Entscheidung<br />

es war,die wenigen zur Verfügung<br />

stehenden Mittel in den 50er-Jahren<br />

des letzten Jahrhunderts nicht in die<br />

Perfektionierung der Eisernen Lungen,<br />

sondern in die virologische Grundlagenforschung<br />

und damit in die Entwicklung<br />

eines Impfstoffes zu investieren.<br />

Der Fortschritt in den Naturwissenschaften<br />

aber hat es <strong>an</strong> sich, dass er von<br />

Einzelnen kaum zu beeinflussen ist,<br />

dass er sich prozesshaft, gleichsam aus<br />

sich selbst heraus fortschreibt, dass damit<br />

auch alle Grenzen, welche die <strong>Forschung</strong><br />

sich selbst setzt und sich selbst<br />

setzen will, nicht haltbar sind. Die Summe<br />

der naturwissenschaftlichen Fortschritte,<br />

sagt George Steiner, übersteige<br />

„exponentiell ihre einzelnen Teile, und<br />

seien sie auch noch so sehr von persönlichem<br />

Genie inspiriert“. In einem gewissen<br />

und starken Sinne sei der naturwissenschaftlich-technische<br />

Fortschritt<br />

demnach „träge und oze<strong>an</strong>isch“, ließen<br />

sich „naturwissenschaftliche Theorien<br />

und Entdeckungen [nur]. . . als <strong>an</strong>onym<br />

denken. Die große Flut kommt herein“.<br />

Der g<strong>an</strong>ze Unterschied aber zu der „<strong>an</strong>deren“<br />

Kultur, der g<strong>an</strong>ze Unterschied<br />

zwischen „science“ und „literature“, ist<br />

d<strong>an</strong>n in Steiners Frage enthalten, die da<br />

lautet: „Was stellt im Gegensatz hierzu<br />

einen Fortschritt gegenüber Homer<br />

oder Sophokles, gegenüber Platon oder<br />

D<strong>an</strong>te dar?“ So fügt er <strong>an</strong> diese – absurde<br />

– Frage die lapidare Antwort <strong>an</strong>:<br />

„Ernsthafte Werke werden weder über-

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