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Dokumentation PID, PND, Forschung an Embryonen - 3., erweiterte ...

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onsdiagnostik <strong>an</strong>preist, erzählt von Paaren,<br />

die schon ein Kind oder gar zwei<br />

Kinder mit Mukoviszidose haben, diese<br />

auch mit aller Liebe und Fürsorge großziehen,<br />

sich nun aber sehnlichst noch ein<br />

gesundes Kind wünschen – nicht zuletzt<br />

deshalb, weil Menschen mit Mukoviszidose<br />

nur über eine eingeschränkte Lebenserwartung<br />

verfügen. Diese Eltern<br />

nun, so lautet der Bericht, haben schon<br />

zwei Kinder im fünften Schw<strong>an</strong>gerschaftsmonat<br />

abtreiben lassen, weil sich<br />

nach pränataler Diagnose herausstellte,<br />

dass sie wieder kr<strong>an</strong>k sein würden. Um<br />

ihnen eine abermalige Frustration nach<br />

begonnener Schw<strong>an</strong>gerschaft zu ersparen,<br />

soll den Eltern nun die nach Auffassung<br />

der Beteiligten weniger belastende<br />

Labordiagnostik von <strong>Embryonen</strong> <strong>an</strong>geboten<br />

werden.<br />

Kritikern dieses av<strong>an</strong>cierten Selektionsverfahrens<br />

fällt es erstaunlich<br />

leicht, solche konkreten Wünsche auszublenden.<br />

Für sie ist die Frau vor allem<br />

das Opfer m<strong>an</strong>ipulativer Strategien:<br />

Schon das bloße Angebot, diagnostizieren<br />

zu lassen, setze die Frauen<br />

nur schwer erträglichen Entscheidungszwängen<br />

aus; die Durchführung<br />

der Tests und die Mitteilung abstrakter<br />

Risikozahlen verunsichere sie darüber<br />

hinaus massiv. Und bei „positivem“ Befund<br />

bleibe ihnen in Wirklichkeit gar<br />

keine Wahl: Der Druck von Ärzten und<br />

Juristen und der Einfluss eines behindertenfeindlichen<br />

sozialen Umfelds<br />

führten dazu, dass sie das aller Voraussicht<br />

nach geschädigte Kind – g<strong>an</strong>z<br />

gleich, was sie selbst sich wünschen –<br />

nicht zur Welt bringen.<br />

Noch kontroverser wird die Meinungsbildung,<br />

wenn moralische Normen<br />

ins Spiel kommen, die mit dem Autonomieprinzip<br />

konkurrieren. Um zu<br />

demonstrieren, dass ein medizinisches<br />

Verfahren die Grundfesten der menschlichen<br />

Zivilisation bedroht, setzt m<strong>an</strong><br />

Werte immer wieder wie Trumpfkarten<br />

ein. Ob Achtung der Menschenwürde,<br />

unbedingter Lebensschutz, Recht auf<br />

„natürliche“ Abstammung oder Schutz<br />

intakter Familienstrukturen – all das<br />

wird beschworen, als verstünde es sich<br />

von selbst, dass zum Beispiel Praktiken<br />

der „therapeutischen“ Selektion, der<br />

Genveränderung oder der Org<strong>an</strong>tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation<br />

mit diesen Prinzipien unvereinbar<br />

seien. Doch solche magischen<br />

76<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

B<strong>an</strong>nsprüche, die alle Erklärungen<br />

überflüssig zu machen scheinen, verlieren<br />

in der öffentlichen Debatte oft allzu<br />

schnell ihre Eindeutigkeit:Was die Achtung<br />

der Menschenwürde eigentlich<br />

konkret gebietet und ob es wirklich ausnahmslos<br />

oberstes Gebot sein k<strong>an</strong>n,<br />

menschliches Leben um jeden Preis zu<br />

erhalten, erweist sich d<strong>an</strong>n als unklar<br />

und fragwürdig.<br />

Wenn es um revolutionäre Neuerungen<br />

geht, ist die Reaktion meist noch relativ<br />

einhellig. Auf die Geburt des ersten<br />

„Retortenbabys“ im Jahre 1978<br />

reagierte ein großer Teil der Bevölkerung<br />

mit Abscheu oder Befremden.<br />

Dass hier die „Würde“, genauer die<br />

physische und psychische Integrität, der<br />

Frau bedroht sei und dass außerdem<br />

frühe Stadien menschlichen Lebens in<br />

unzulässiger Weise instrumentalisiert<br />

werden könnten, schien intuitiv einzuleuchten.<br />

Je mehr jedoch die Erfolgsmeldungen<br />

überwogen, desto schwieriger<br />

wurde es, <strong>an</strong> der ursprünglichen kategorischen<br />

Ablehnung festzuhalten.<br />

Was sollte eigentlich so verdammenswert<br />

dar<strong>an</strong> sein, wenn infertile Paare<br />

mit Kinderwunsch medizinische Hilfe<br />

bei der Zeugung in Anspruch nahmen?<br />

Was sprach umgekehrt dafür, die<br />

„natürliche“ Fortpfl<strong>an</strong>zung für sakros<strong>an</strong>kt<br />

zu erklären? Ohnehin wurde mit<br />

der fortschreitenden Etablierung der<br />

Laborbefruchtung, die m<strong>an</strong> bei Sterilität<br />

mittlerweile als Routineverfahren<br />

einsetzte, immer undeutlicher, was „unnatürlich“<br />

in diesem Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

eigentlich zu bedeuten hatte.<br />

Politik, die biomedizinische Innovationen<br />

zu regulieren sucht, muss mit<br />

umstrittenen Situationsdeutungen wie<br />

mit konkurrierenden moralischen Prinzipien<br />

umgehen. Entziehen k<strong>an</strong>n sie<br />

sich dieser Aufgabe nicht. Denn dass reguliert<br />

werden muss, erkennen auch die<br />

Verfechter der neuen Verfahren <strong>an</strong>. Sie<br />

möchten selbst genau wissen, was zulässig<br />

ist und was nicht: Dürfen bei der<br />

künstlichen Fertilisation Gameten genutzt<br />

werden, die nicht einem der beiden<br />

Partner entstammen, und ist die<br />

Herkunft dieser Keimzellen zu dokumentieren<br />

und bei Verl<strong>an</strong>gen später<br />

dem Kind mitzuteilen? Was darf oder<br />

muss mit <strong>Embryonen</strong> geschehen, die<br />

bei der Laborbefruchtung „übrig bleiben“?<br />

Wie muss der Arzt bei Risi-<br />

koschw<strong>an</strong>gerschaften aufklären, um<br />

sich vor Regress<strong>an</strong>sprüchen nach der<br />

Geburt eines behinderten Kindes zu<br />

schützen? Wie lässt sich der Hirntod mit<br />

hundertprozentiger Sicherheit feststellen,<br />

und wie muss diese Diagnose belegt<br />

werden? Unter welchen Voraussetzungen<br />

darf expl<strong>an</strong>tiert werden, und <strong>an</strong><br />

wen können die Org<strong>an</strong>e weitergegeben<br />

werden?<br />

Die einzelnen Praktiken enthalten eine<br />

kaum überschaubare Fülle von<br />

Aspekten,die rechtlich definiert werden<br />

müssen, will m<strong>an</strong> nicht der Willkür Tür<br />

und Tor öffnen. Bei jeder Gesetzgebung<br />

stellt sich d<strong>an</strong>n aber zugleich die Grundsatzfrage,<br />

ob das neue Verfahren mit<br />

„der Moral“ der Gesellschaft im Einkl<strong>an</strong>g<br />

steht. Das zu entscheiden, überfordert<br />

staatliche Inst<strong>an</strong>zen in aller Regel.<br />

Zumeist werden sie ohnehin erst<br />

d<strong>an</strong>n mit dieser Frage konfrontiert,<br />

wenn durch die Entwicklung und Einführung<br />

einer Diagnostik oder Therapie<br />

die Weichen bereits gestellt sind. Die<br />

Entwicklung, die schon voll im G<strong>an</strong>ge<br />

ist, k<strong>an</strong>n d<strong>an</strong>n nur nachträglich „abgesegnet“<br />

und in einem begrenzten Maß<br />

k<strong>an</strong>alisiert, kaum aber noch grundsätzlich<br />

umgelenkt oder aufgehalten werden.<br />

Für eine qualifizierte Prognose der<br />

mittel- und l<strong>an</strong>gfristigen Konsequenzen<br />

der Innovationen – die auch bei den<br />

Fachleuten selbst umstritten sind – fehlt<br />

den Politikern meist die nötige Sachkenntnis.<br />

Zudem fließen in die Entscheidung<br />

über die Zulässigkeit biomedizinischer<br />

Verfahren so vielfältige und tief verwurzelte<br />

Werthaltungen ein, dass es unter<br />

den Vorzeichen des welt<strong>an</strong>schaulichen<br />

Pluralismus höchst schwierig ist,<br />

zu konsensfähigen Beschlüssen zu gel<strong>an</strong>gen.<br />

Stellungnahmen, die aus der<br />

Sicht einer der Parteien besonders<br />

überzeugend und nahe liegend erscheinen,<br />

stoßen oft allgemein auf wenig Akzept<strong>an</strong>z.<br />

Das heißt: Je zwingender ein<br />

Urteil für die Verfechter oder Kritiker<br />

einer Option ausfällt, desto unwahrscheinlicher<br />

ist es, dass es mit allgemeiner<br />

Zustimmung rechnen k<strong>an</strong>n. Die<br />

Wertmaßstäbe und Tatsachenbehauptungen,<br />

die in diese Urteile einfließen,<br />

sind nämlich derart spezifisch, dass sie<br />

in einer wertpluralen Gesellschaft immer<br />

nur von einzelnen Fraktionen des<br />

Gemeinwesens akzeptiert werden. M<strong>an</strong>

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