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Dokumentation PID, PND, Forschung an Embryonen - 3., erweiterte ...

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zugleich. Er ist frei und befähigt den<br />

Menschen zur Freiheit, er verpflichtet<br />

ihn dazu. Freiheit bedeutet nicht Autonomie,<br />

so wie K<strong>an</strong>t es in seiner kritischen<br />

Philosophie verst<strong>an</strong>den hat.Aber<br />

auch der autonome Mensch findet zu<br />

den göttlichen Geboten in der unbedingten<br />

Geltung der sittlichen Gesetze.<br />

Ohne eine moralische Identität, ohne<br />

die Befolgung des kategorischen Imperatives<br />

wäre H<strong>an</strong>dlung gleich Mech<strong>an</strong>ik.<br />

Die Freiheit und die Würde des<br />

Menschen setzen Grenzen für H<strong>an</strong>deln<br />

und Forschen. Diese Grenzen sind maßgeblich,<br />

weil sie den Menschen schützen<br />

und ihm gleichzeitig vollen Respekt<br />

entgegenbringen.<br />

Das Neue Testament hat zu einer<br />

Überwindung der Opferrituale geführt.<br />

Es wird d<strong>an</strong>ach eine Form menschlicher<br />

Lebensbewältigung ermöglicht, die darauf<br />

verzichtet, Lebensgewinn und<br />

Angstreduktion durch Ausgrenzung<br />

und Ausnutzung <strong>an</strong>derer zu erl<strong>an</strong>gen.<br />

Trotz schlimmer Grausamkeit der (Kirchen-)Geschichte<br />

ist dieses Grundverständnis<br />

doch wach geblieben. Frühformen<br />

des menschlichen Lebens zu nutzen,<br />

um potenzielle Heilungsch<strong>an</strong>cen<br />

zukünftiger Patienten zu verbessern, erscheint<br />

in diesem Kontext als ein Rückfall<br />

in ein Verständnis, das Opfer für die<br />

Bewältigung der Ängste für nötig erachtet.<br />

Dass dazu unter Umständen weder<br />

Eltern noch Vormünder, geschweige<br />

denn wissenschaftlich Interessierte<br />

berechtigt sind, hat der Göttinger Philosoph<br />

Günter Patzig formuliert: Es besteht<br />

die Pflicht, Interessen der Schutzbefohlenen<br />

wahrzunehmen, und es besteht<br />

ein Verbot, das <strong>an</strong>vertraute Leben<br />

aufzuopfern oder unter Gemeinschaftsinteressen<br />

aufzugeben. Deshalb sei es<br />

legitim, unter Umständen wissenschaftlichen<br />

Fortschritt einzuschränken, zumindest<br />

jedoch eine Verl<strong>an</strong>gsamung des<br />

Fortschritts in Kauf zu nehmen.<br />

❚ Zitierweise dieses Beitrags:<br />

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 1730–1732 [Heft 25]<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Prof. Dr. med. Dr. phil. Eckhard Nagel<br />

Direktor des Instituts für Medzinm<strong>an</strong>agement<br />

und Gesundheitswissenschaften<br />

Universität Bayreuth, 95440 Bayreuth<br />

E-Mail: eckhard.nagel@uni-bayreuth.de<br />

Leiter des Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tationszentrums<br />

Klinikum Augsburg, 86156 Augsburg<br />

E-Mail: eckhard.nagel@klinikum-augsburg.de<br />

154<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 28-29, 15. Juli 2002<br />

Eugenik und Euth<strong>an</strong>asie<br />

Aktuelle Verg<strong>an</strong>genheit<br />

Ein Projekt der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin beschäftigt<br />

sich mit der Rolle von Arzt und Medizin im Nationalsozialismus.<br />

Der l<strong>an</strong>ge Atem der Eugenik, der<br />

positiven („Verbesserung der<br />

Rasse“) wie der negativen („Vernichtung<br />

lebensunwerten Lebens“)<br />

weht auch in das 21. Jahrhundert hinein.<br />

Mit der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

kommt der Wunsch nach dem designten<br />

Kind auf. Die höchstrichterliche Rechtsprechung<br />

in Deutschl<strong>an</strong>d hat das<br />

„Kind als Schaden“ <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nt. In den<br />

Niederl<strong>an</strong>den und in Belgien wurde die<br />

Tötung auf Verl<strong>an</strong>gen freigegeben.<br />

Von der Theorie bis zur Untat<br />

Zu solchen Parallelen kam der Berliner<br />

Medizinhistoriker Prof. Dr. phil. Dr.<br />

med. Rolf Winau. Er sprach auf einer<br />

Ver<strong>an</strong>staltung der Kassenärztlichen<br />

Vereinigung (KV) Berlin am 26. Juni.<br />

Sein Thema: Der l<strong>an</strong>ge Atem der Eugenik<br />

– von der Eugenik der Weimarer<br />

Zeit bis zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik.<br />

Er zog die große Linie von Darwin<br />

und seinem deutschen Gefolgsm<strong>an</strong>n<br />

Ernst Haeckel bis hin zur Umsetzung<br />

der Theorien: den Untaten der Nationalsozialisten.<br />

Dar<strong>an</strong> waren nicht nur<br />

NS-Ideologen und -funktionäre, sondern<br />

auch eine <strong>an</strong>sehnliche Anzahl von<br />

Ärzten und Wissenschaftlern beteiligt.<br />

Schon Haeckel hat den Ged<strong>an</strong>ken einer<br />

Züchtung hin zu einem höheren<br />

Kulturvolk vorgebracht. Er verteidigte<br />

die Tötung von neugeborenen verkrüppelten<br />

Kindern. Diese dürfe „vernünftigerweise<br />

nicht unter den Begriff des<br />

Mordens fallen, wie es noch in unseren<br />

modernen Gesetzbüchern geschieht.<br />

Vielmehr müssen wir dieselbe als<br />

zweckmäßige, sowohl für die Beteiligten<br />

als auch für die Gesellschaft nützliche<br />

Maßregel billigen.“ Nützlichkeitserwägungen<br />

haben auch die Nationalsozialisten<br />

getrieben, nicht allein die<br />

bloße Ideologie. So hat Reichsärztefüh-<br />

rer Wagner 1935 auf dem Parteitag der<br />

NSDAP in Nürnberg die ungeheuere<br />

Belastung des Staatshaushaltes durch<br />

Geisteskr<strong>an</strong>ke und Minderwertige beklagt.<br />

Winau berichtete, dass die Kostenfrage<br />

sogar Eing<strong>an</strong>g in die Schulbücher<br />

f<strong>an</strong>d, wo in den Rechenaufgaben<br />

eine neue Rubrik Erb- und Rassenkunde<br />

erschien.<br />

Der Weg von der Erwägung zur Tat<br />

war d<strong>an</strong>ach nur noch kurz. Er führte direkt<br />

zur Euth<strong>an</strong>asie.Die Euth<strong>an</strong>asiediskussion<br />

hatte allerdings bereits vor der<br />

NS-Zeit eingesetzt und den Boden bereitet.<br />

In dem berühmt-berüchtigten<br />

Buch „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten<br />

Lebens“ des Juristen<br />

Karl Binding und des Psychiaters Alfred<br />

Hoche aus dem Jahre 1920 wurde<br />

festgestellt, es gebe menschliches Leben,<br />

das weder für den Einzelnen noch<br />

für die Gesellschaft von Wert sei.<br />

Winau erinnerte in seinem Vortrag<br />

<strong>an</strong> die zwei groß <strong>an</strong>gelegten, mit deutscher<br />

bürokratischer Gründlichkeit<br />

durchgeführten Tötungsaktionen: Die<br />

Kindereuth<strong>an</strong>asie in den so gen<strong>an</strong>nten<br />

Kinderfachabteilungen sowie die Aktion<br />

T4. In beiden Fällen ging die Erfassung<br />

der betroffenen Patientengruppen<br />

dem Morden voraus. Der Reichsausschuss<br />

zur wissenschaftlichen Erfassung<br />

erb- und <strong>an</strong>lagebedingter schwerer<br />

Leiden ließ ab 1939 Kinder ausfindig<br />

machen, die <strong>an</strong> Idiotie, Mongolismus,<br />

Hydrozephalus und <strong>an</strong>deren Missbildungen<br />

litten. Ähnlich die Vorbereitung<br />

zu T4: Von den Anstalten waren<br />

ab 1939 alle Patienten zu melden, die<br />

<strong>an</strong> Schizophrenie, Epilepsie, Paralyse,<br />

Schwachsinn, Enzephalitis oder Huntingtonscher<br />

Chorea litten und nicht<br />

oder nur mit mech<strong>an</strong>ischen Arbeiten<br />

beschäftigt werden konnten. Auch Kriminelle<br />

und Patienten, die sich schon<br />

länger als fünf Jahre in der Anstalt bef<strong>an</strong>den,<br />

sollten gemeldet werden.

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