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Dokumentation PID, PND, Forschung an Embryonen - 3., erweiterte ...

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Bildung der Zygote erfüllt. (2) Es muss<br />

ein zu einer G<strong>an</strong>zheit integriertes, also<br />

org<strong>an</strong>ismisches Lebensgeschehen feststellbar<br />

sein, das in Interaktion mit seiner<br />

Umwelt (beispielsweise Eileiter, Gebärmutter)<br />

zu einer eigenständigen Lebensdynamik<br />

fähig ist (unter <strong>an</strong>derem Stoffwechsel,Wachstum).<br />

Es wird oft behauptet,<br />

frühe <strong>Embryonen</strong> erfüllten dieses<br />

Kriterium nicht, sie seien ein bloßer<br />

„Zellhaufen“.Aber die „Totipotenz“ der<br />

Zellen im frühesten Embryonalstadium<br />

widerspricht nicht der Erkenntnis,dass es<br />

sich von der Bildung der Zygote <strong>an</strong> um<br />

eine sich selbst org<strong>an</strong>isierende und differenzierende<br />

funktionelle „G<strong>an</strong>zheit“<br />

h<strong>an</strong>delt. Dass nur aus einem Teil dieser<br />

Zellen der Embryo, aus <strong>an</strong>deren der Trophoblast<br />

entsteht, widerspricht dem auch<br />

nicht, weil dieses Differenzierungsgeschehen<br />

nicht determiniert ist, m<strong>an</strong> also<br />

nicht vorwegsagen k<strong>an</strong>n, welche der totipotenten<br />

Zellen zu was werden.<br />

Schutzrechte des Embryos<br />

Wird die Menschenwürde dem g<strong>an</strong>zen<br />

Lebensträger zugesprochen, so können<br />

frühen <strong>Embryonen</strong> zumindest nicht die<br />

Teilhabe <strong>an</strong> der Menschenwürde und<br />

Schutzrechte g<strong>an</strong>z abgesprochen werden.<br />

Das grundlegende Recht ist dabei<br />

das Recht auf Leben. Es ist umstritten,<br />

inwieweit dieses christlich geprägte Verständnis<br />

von Menschenwürde ohne die<br />

religiösen Voraussetzungen zu begründen<br />

ist. Jedoch ist auch in der deutsches<br />

Rechtsverständnis maßgeblich prägenden<br />

Philosophie Imm<strong>an</strong>uel K<strong>an</strong>ts festgehalten,<br />

dass das Prädikat Person dem<br />

Menschen als „Natur- und Gattungswesen“<br />

zuzuordnen ist. Zwar ist K<strong>an</strong>ts Verständnis<br />

von Menschenwürde stark <strong>an</strong><br />

der Freiheit orientiert, doch ist diese<br />

nach ihm ein Postulat der praktischen<br />

Vernunft,also eine „tr<strong>an</strong>szendente“ und<br />

keine empirische Größe.<br />

Eine grundsätzlich abweichende Sicht<br />

wird d<strong>an</strong>n vertreten, wenn Personsein<br />

und Menschenwürde als empirisch feststellbare<br />

seelisch geistige Qualitäten<br />

des Lebens (zum Beispiel Selbstbewusstsein,<br />

bewusste Interessen) verst<strong>an</strong>den<br />

werden, wie es in der <strong>an</strong>gelsächsischen<br />

positivistisch-empiristischen Philosophie<br />

der Fall ist, die die internationale<br />

Diskussion über Bioethik<br />

82<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

prägt. Fragt m<strong>an</strong> nach dem <strong>an</strong>atomischen<br />

Substrat, dem diese empirischen<br />

Qualitäten zuzuordnen sind, so ist es<br />

nicht mehr der g<strong>an</strong>ze Lebensträger, sondern<br />

es sind nur bestimmte Bereiche<br />

des Großhirns. Dies besagt einerseits,<br />

dass dem Leben frühestens ab dem<br />

Zeitpunkt eine Teilhabe <strong>an</strong> der Menschenwürde<br />

zugesprochen werden k<strong>an</strong>n,<br />

ab dem die entsprechenden Strukturen<br />

des Gehirns ausgebildet sind, und <strong>an</strong>dererseits,<br />

dass deren Fehlen beziehungsweise<br />

Verlust infolge Kr<strong>an</strong>kheit gleichzusetzen<br />

ist mit dem Fehlen beziehungsweise<br />

Verlust des Personseins, das damit<br />

nur biologisch-menschliches Leben ist.<br />

Der Ged<strong>an</strong>ke einer unverlierbaren<br />

und unverrechenbaren Menschenwürde<br />

allen menschlichen Lebens ist diesem<br />

Denk<strong>an</strong>satz fremd. Die Teilhabe <strong>an</strong> der<br />

Menschenwürde wird je nach Entwicklungsgrad<br />

des Lebens abgestuft gedacht.<br />

Da nicht mehr das Leben in sich, sondern<br />

nur die seelisch- geistigen Qualitäten<br />

zu schützen sind, k<strong>an</strong>n Leben, sofern<br />

es noch nicht zum Besitz dieser Qualitäten<br />

her<strong>an</strong>gereift ist (<strong>Embryonen</strong>, Feten)<br />

oder sie nie besessen (behindert Geborene)<br />

oder sie durch Kr<strong>an</strong>kheit verloren<br />

hat, gegen <strong>an</strong>dere Güter und Interessen<br />

verrechnet werden.<br />

Mit abnehmender „Wertigkeit“ ist das<br />

Leben immer weniger zu schützen, darf<br />

es zunehmend als Mittel zum Zweck<br />

(zum Beispiel therapeutischer oder auch<br />

rein wissenschaftlicher Art) ge- und verbraucht<br />

werden. Nur auf der Basis eines<br />

empiristischen Menschenbilds k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong><br />

von frühen <strong>Embryonen</strong> als einem „Zellhaufen“<br />

reden, da <strong>an</strong> ihm in der Tat im<br />

Mikroskop keine empirische Menschenwürde<br />

zu beobachten ist.<br />

Der Streit um die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong><br />

in Europa ist nicht zu verstehen<br />

ohne die aufgezeigten unterschiedlichen<br />

geistigen Traditionen. Es geht<br />

demnach um grundsätzliche Fragen des<br />

Menschenbilds und der Interpretation<br />

des Grundgesetzes.<br />

Entscheidungen, die für den Bereich<br />

der „fremdnützigen“ <strong>Forschung</strong> mit <strong>Embryonen</strong><br />

gefällt werden, haben eine weit<br />

über diesen Fachbereich hinausgehende<br />

Bedeutung. Begründet m<strong>an</strong> sie mit dem<br />

empiristischen Menschenbild, so werden<br />

damit zugleich negative Lebenswerturteile<br />

über menschliches Leben gerechtfertigt,<br />

und „minderwertiges“, <strong>an</strong>geblich<br />

bloß biologisch menschliches Leben wird<br />

in einer Güterabwägung verrechenbar<br />

gegen Interessen <strong>an</strong>derer. Dieses Vorgehen<br />

wird sich nicht auf früheste Stadien<br />

des Lebens begrenzen lassen, es wird –<br />

wenn die zu seiner Rechtfertigung <strong>an</strong>geführten<br />

therapeutischen und sonstigen<br />

Interessen stark genug sind – auch fortgeschrittene<br />

Lebensstadien, selbst geborenes<br />

Leben umfassen. Eine mit derartigen<br />

Argumenten gerechtfertigte therapeutische<br />

<strong>Forschung</strong> k<strong>an</strong>n zur Aushöhlung<br />

des für den Schutz des Lebens fundamentalen<br />

Verständnisses von Menschenwürde<br />

führen. Es könnte sich erneut<br />

bewahrheiten, was der bedeutende<br />

Arzt Viktor von Weizsäcker <strong>an</strong>lässlich<br />

der „Nürnberger Ärzteprozesse“<br />

schrieb, dass ein „tr<strong>an</strong>szendenzloses“,<br />

rein empirisches Verständnis des Menschenlebens<br />

zw<strong>an</strong>gsläufig zur Vorstellung<br />

vom „lebensunwerten“ Leben führt<br />

und dass der ungeheure Kampf für die<br />

Gesundheit einerseits und der experimentelle<br />

und vernichtende Umg<strong>an</strong>g mit<br />

„unheilbarem“ Leben <strong>an</strong>dererseits nur<br />

die zwei Seiten ein und derselben Medaille<br />

seien, der Glorifizierung von Gesundheit<br />

und diesseitigem Leben.Wo der<br />

wissenschaftliche und therapeutische<br />

Fortschritt die vor allem für den Schutz<br />

der schwächsten Glieder der Gesellschaft<br />

grundlegenden Rechte,wie das <strong>an</strong>gedeutete<br />

Verständnis von Menschenwürde,<br />

infrage stellt, muss die Gesellschaft<br />

bereit sein, auf mögliche therapeutische<br />

Fortschritte zu verzichten,und dies<br />

auch durch rechtliche Verbote einfordern.<br />

Die Gesundheit ist nicht das höchste<br />

und erst recht nicht das einzige zu<br />

schützende Gut.<br />

❚ Zitierweise dieses Beitrags:<br />

Dt Ärztebl 2001; 98: A 899–900 [Heft 14]<br />

Literatur<br />

1. Bayertz K: (Ed.) (1996) S<strong>an</strong>ctity of Life <strong>an</strong>d Hum<strong>an</strong><br />

Dignity, (Kluwer) Dordrecht (NL).<br />

2. Eibach U: (2000) Menschenwürde <strong>an</strong> den Grenzen<br />

des Lebens, (Neukirchener Verlagshaus) Neukirchen-<br />

Vluyn.<br />

<strong>3.</strong> Rager G (Hrsg.) (1998): Beginn, Personalität und<br />

Würde des Menschen, (Alber) Freiburg, 2. Aufl.<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Prof. Dr. theol. Ulrich Eibach<br />

Ev<strong>an</strong>gelisch-Theologische Fakultät der Universität Bonn<br />

und Pfarrer <strong>an</strong> den Universitätskliniken Bonn<br />

Sigmund-Freud-Straße 25, Haus 30, 53105 Bonn<br />

E-Mail: eibach@uni-bonn.de

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