Dokumentation PID, PND, Forschung an Embryonen - 3., erweiterte ...
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nem und Gemachtem“ verwirren, beklagte<br />
kürzlich Jürgen Habermas (9).<br />
Die Begriffe Sexualität, Eros, Liebe<br />
haben im bioethischen Diskurs keine<br />
nennenswerte Bedeutung,sieht m<strong>an</strong> einmal<br />
von der Position der katholischen<br />
Kirche ab, welche – gemäß der Enzyklika<br />
„Hum<strong>an</strong>ae vitae“ von Paul VI. – die<br />
„biologische Integrität des Geschlechtsaktes“,<br />
gewissermaßen also die „Würde<br />
des Sex“ (4), verteidigt. Dafür stoßen wir<br />
auf den Begriff des Kinderwunsches, der<br />
die Prozeduren der Reproduktionsmedizin<br />
unter dem Vorzeichen der Autonomie<br />
der Patienten beziehungsweise Klienten<br />
legitimiert. Doch inwiefern ist Sterilität<br />
überhaupt als Kr<strong>an</strong>kheit zu definieren?<br />
Und inwiefern ist der Kinderwunsch<br />
und seine reproduktionsmedizinische<br />
Realisierung tatsächlich als<br />
Rechts<strong>an</strong>spruch „autonomer“ Personen<br />
auf ihre gesundheitliche Integrität zu begreifen?<br />
Der Traum vom<br />
Menschenmachen<br />
Wahrscheinlich ist in unserer <strong>an</strong>geblich<br />
säkularen, pluralen, liberalen Gesellschaft<br />
der Druck, Kinder zu bekommen,<br />
keineswegs geringer als etwa in traditionellen<br />
Kulturen oder Entwicklungsländern<br />
mit Großfamilien beziehungsweise<br />
unkontrolliertem Kinderreichtum. Dieser<br />
Druck tritt bei uns im Gegensatz zu<br />
früheren Zeiten und <strong>an</strong>deren Kulturkreisen<br />
nur zeitverschoben auf: Relativ<br />
junge Frauen sollen bis zum Erreichen<br />
einer bestimmten Stufe ihrer Berufsund<br />
Lebenskarriere keine Kinder bekommen,<br />
d<strong>an</strong>n aber umso gesicherter.<br />
Der Druck,zunächst keine Kinder zu bekommen,verkehrt<br />
sich in den Druck,um<br />
jeden Preis noch Kinder zu bekommen.<br />
Was bedeutet da eigentlich der Kinderwunsch<br />
als Rechts<strong>an</strong>spruch auf reproduktionsmedizinische<br />
Beh<strong>an</strong>dlung?<br />
Hybris bezeichnete ursprünglich den<br />
Hochmut, die Selbstüberhebung des<br />
Menschen gegenüber den Göttern und<br />
ist im Diskurs der „life sciences“ durchaus<br />
virulent. So meinte James D. Watson:<br />
In der Verg<strong>an</strong>genheit „konnten nur<br />
die Götter die Zukunft vorhersagen<br />
und unserem künftigen Schicksal eine<br />
gute oder schlechte Wendung geben.<br />
Heute liegt dies zum Teil in unseren ei-<br />
D O K U M E N T A T I O N<br />
genen Händen.“ (17) Namhafte Fachleute<br />
wie Peter Propping (15) oder die<br />
Nobelpreisträgerin Christi<strong>an</strong>e Nüsslein-Volhard<br />
(14) sind gegenüber solchen<br />
Allmachtsf<strong>an</strong>tasien skeptisch und<br />
mahnen zur Bescheidenheit. Doch die<br />
Hoffnung, einen Qu<strong>an</strong>tensprung der<br />
wissenschaftlichen Medizin vollziehen<br />
zu können, ist wohl für alle Beteiligten<br />
ein starkes Motiv.<br />
Ein kurzer Einblick in Kultur- und<br />
Wissenschaftsgeschichte zeigt, dass es<br />
offenbar einem uralten Menschheitstraum<br />
entspricht, die Rolle des Schöpfergottes<br />
zu übernehmen und selbst einen<br />
Menschen zu schaffen. In Mythen,<br />
Sagen und in der Literatur begegnen uns<br />
Golems, Homunculi und Roboter, von<br />
der jüdischen Kabbala bis hin zu rom<strong>an</strong>tischen<br />
Schauerrom<strong>an</strong>en. Merkwürdigerweise<br />
liegt auf den überlieferten Visionen,<br />
künstlich einen Menschen zu<br />
schaffen, kein Segen. Zumeist werden<br />
nämlich durch gotteslästerliche, teuflische<br />
Akte Zerrbilder des Menschen geschaffen,<br />
die <strong>an</strong>gst- und ekelerregend<br />
sind und der Menschheit sehr gefährlich<br />
werden können, wie zum Beispiel Mary<br />
Shellys Fr<strong>an</strong>kenstein-Rom<strong>an</strong> zeigt. Verena<br />
Wetzstein, die diesen mythischen<br />
Stoffen des Menschenmachens nachgeg<strong>an</strong>gen<br />
ist, kommt zum Schluss: „Diese<br />
zumindest im Unterbewusstsein der Öffentlichkeit<br />
noch präsenten Mythen sind<br />
in der heutigen öffentlichen Diskussion<br />
über Stammzellenforschung mitzubedenken,<br />
will m<strong>an</strong> die Hitze der Debatte<br />
verstehen. . . . Die Klonierung von Menschen<br />
erscheint als die Verwirklichung<br />
des Homunculus. Wer sollte da nicht <strong>an</strong><br />
die zügellosen Geschöpfe und die Bestrafung<br />
des blasphemischen Schöpfertums<br />
denken, die uns Mythen und Sagen<br />
jahrtausendel<strong>an</strong>g erzählt haben?“ (19)<br />
Hybris versus Selbstreflexion<br />
In unserem Selbstverständnis gehen wir<br />
davon aus, in einer so gen<strong>an</strong>nten säkularen<br />
und pluralistischen Gesellschaft zu<br />
leben, die zu religiöser Neutralität und<br />
den universalen Menschenrechten verpflichtet<br />
ist. Inwiefern k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> d<strong>an</strong>n<br />
überhaupt noch im herkömmlichen Sinn<br />
von Hybris sprechen, wenn die Vorstellung<br />
von Gott oder den Göttern unverbindliche<br />
Privatmeinung ist, wenn die<br />
Freiheit eines „Nichtchristenmenschen“<br />
(Markl) gleichermaßen gilt? Zumindest<br />
eine Hybris besteht darin, die Geschichte<br />
der Menschheit mit ihren Mythen und<br />
Sagen, die Geschichte der Wissenschaft<br />
mit ihren Aufbrüchen und Irrwegen, die<br />
Geschichte der eigenen Person mit ihren<br />
Träumen und Intuitionen zu ignorieren,<br />
das heißt, ihnen keine wissenschaftliche<br />
Bedeutung für das eigene Wissenschaft-<br />
Treiben zuzubilligen.<br />
Diese Hybris besteht aus einer historischen<br />
Selbstvergessenheit: nämlich der<br />
Idealisierung des Selbst-machen-Könnens,<br />
der Vorstellung einer eigenen Verfügungsgewalt<br />
über die Zukunft,gepaart<br />
mit der Abwehr des Ged<strong>an</strong>kens einer<br />
unaufhebbaren Nicht-Autonomie des<br />
Menschen, seiner Abhängigkeit, Hilflosigkeit<br />
und Verletzbarkeit auf dieser<br />
selbst wiederum vergänglichen Erde,nur<br />
einer von „unendlich vielen Erden“, wie<br />
Giord<strong>an</strong>o Bruno vor mehr als 400 Jahren<br />
spekulierte (1).<br />
Was jenseits von Pro und Kontra, jenseits<br />
von K<strong>an</strong>t- und Darwin-Zitaten, jenseits<br />
von tagespolitischen Aufgeregtheiten<br />
von allen gefordert wird, ist das Infragestellen<br />
von gewohnten Gewissheiten,<br />
das Heraushören leiser Zwischentöne<br />
aus dem menschheitsgeschichtlichen<br />
und tr<strong>an</strong>skulturellen „Hintergrundrauschen“,<br />
die kritische und vor allem wissenschaftskritische<br />
Ausein<strong>an</strong>dersetzung<br />
mit den vorherrschenden Menschenund<br />
Weltbildern. Vor Hybris schützt nur<br />
kritische Selbstreflexion, die – salopp gesprochen<br />
– „Dekonstruktion“ und Demut<br />
zusammenbringt.<br />
Stark gekürzte und überarbeitete Fassung eines Vortrags zum<br />
Schwerpunkt „Bioethik“ beim Dies Academicus des Studium<br />
Universale der Universität Bonn am 5. Dezember 2001<br />
❚ Zitierweise dieses Beitrags:<br />
Dtsch Arztebl 2002; 99: A 172–175 [Heft 4]<br />
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis,<br />
das über den Sonderdruck beim Verfasser<br />
und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.<br />
Anschrift des Verfassers:<br />
Prof. Dr. med. Dr. phil. Heinz Schott<br />
Medizinhistorisches Institut der Universität Bonn<br />
Sigmund-Freud-Straße 25<br />
53105 Bonn<br />
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