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Freies Kurdistan Buch

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dieser Parteien sind sogar in den „Regierungen“ in Arbil und Sulaimaniya – durch Minister und /<br />

oder hochrangige Beamten – vertreten. Die neutralen Parteien haben eigene Zeitungen und einige<br />

von ihnen auch Fernseh- und Radiostationen. Die Meinungsfreiheit reflektiert sich in hohem<br />

Maße auch in vielen Büchern und Publikationen in verschiedenen Sprachen. Die nationalen und<br />

religiösen Minderheiten genießen ihre kulturellen Rechte bzw. Glaubensfreiheit. Außerdem<br />

nehmen die Kriminalität und Menschenrechtsverletzungen mittlerweile in beiden Teilen der<br />

Region deutlich ab.<br />

Es herrscht dennoch in beiden Teilen quasi das Einparteiensystem: Die höchsten Posten in der<br />

Zivilverwaltung und alle Posten bei der Polizei bzw. den Sicherheitskräften sind lediglich mit<br />

Mitgliedern und Anhängern einer der beiden großen Parteien (KDP oder PUK) besetzt; in den<br />

Militär- und Polizeiakademien und für bestimmte Studienplätze an den Hochschulen (Magister<br />

oder Promotion) werden nur Mitglieder oder Anhänger einer der beiden Parteien aufgenommen. 1<br />

Auch im privaten Sektor der Wirtschaft erlangen große Funktionäre beider Verwaltungen<br />

Privilegien – durch gemeinsame Wirtschaftsaktivitäten mit bevorzugten Unternehmern bzw.<br />

Handelspartnern.<br />

In der sozialanthropologischen Literatur gelten Stämme und Staaten als gegensätzliche und<br />

einander ausschließende Formen der politischen Organisation und Ideologie. Die eine basiert auf<br />

verwandtschaftlichen Loyalitäten, die andere auf territorialer Souveränität.<br />

Die derzeitigen politischen Verhältnisse in der selbstverwalteten Region in Irakisch-<strong>Kurdistan</strong><br />

lassen sich jedoch, nach Ansicht von Andreas Wimmer, weder dem einen noch dem anderen<br />

Typus politischer Organisationen zuordnen. Aber wenn man die politischen Grundstrukturen<br />

tribaler Gesellschaften skizziert – meint er – und dabei insbesondere auf die Beziehung zwischen<br />

Stämmen und Staaten im Nahen und Mittleren Osten eingeht, zeigt es sich, dass auch in der<br />

Vergangenheit Stämme und Staaten in einem komplexen Bezugssystem standen. 2<br />

Zudem ist der Stamm, nach Auffassung von Ernest Gellner, nicht nur eine Antithese zum Staat,<br />

sondern „sowohl seine Alternative als auch sein Abbild, sowohl die Schranke für den Staat als<br />

auch der Keim zu einem neuen Staat“. 3<br />

Beim Erfolg staatlicher Integrationspolitik gelten verwandtschaftlich definierte Einheiten nicht<br />

mehr als politische Loyalitätsverbände und moralische Gesellschaften, sondern Nationen. 4 Die<br />

Herausbildung eines derartigen übergreifenden Zugehörigkeitsgefühls wird durch eine<br />

1 Dieser Zustand wird durch Interviews mit einigen Politikern und zahlreichen Bürgern im Sommer 2001 in der<br />

Schutzzone beleuchtet.<br />

2 Wimmer, 1997, S.12 - 13, vgl. auch Kohl, 1993, S.57.<br />

3 Gellner, 1992, S.93, zitiert nach Wimmer, 1997, S.38.<br />

4 Vgl. dazu Wimmer, 1996, S.173 – 178.<br />

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