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Deutscher Bundestag Entwurf des Gesamtberichts

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Enquete Gesamtbericht Stand 8.4.2013: Teil B: Projektgruppe 1<br />

Ostdeutschland, die zu einer Dämpfung der Nachfrage nach technisch orientiertem Personal führten. Diese<br />

Konstellation gibt es inzwischen nicht mehr. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die Arbeitslosigkeit von<br />

Fachkräften in der Zukunft einem chronischen Fachkräftemangel weichen – durch die demografische<br />

Entwicklung und die wiedergewonnene hohe Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie, die den Bedarf an<br />

qualifiziertem Personal beflügelt.<br />

Die chronische Knappheit an Fachkräften wird die Arbeitsteilung verändern. Unternehmen werden alles<br />

daransetzen, ihre kreativsten Köpfe so einzusetzen, dass die Knappheit kreativer Köpfe nicht zu einem Einbruch<br />

der Innovationskraft führt. Das heißt: Entlastung von rein administrativen Aufgaben, bessere Bezahlung und<br />

Motivation zur Forschung, Veränderung der Unternehmenshierarchien mit besseren Aufstiegsperspektiven für<br />

Menschen, die forschen statt verwalten. Dies wird vor allem jungen Menschen nützen, die typischerweise über<br />

ein hohes Maß an Originalität, Unvoreingenommenheit und Risikobereitschaft verfügen – im Unterschied zu<br />

Älteren, die ihre Stärken in der Erfahrung sowie der Kommunikationsfähigkeit haben. Also: ein Strukturwandel<br />

zugunsten der „fluiden“ gegenüber der „kristallinen“ Intelligenz, die allerdings auch eine Zunahme der<br />

Nachfrage spüren wird, und zwar durch die Knappheit an Arbeitskraft insgesamt. Dies geschieht indirekt: Ältere<br />

Menschen werden für administrative Aufgaben zunehmend gebraucht, eben weil die Jungen mit ihren „fluiden“<br />

Fähigkeiten extrem knapp werden. Gleichzeitig wird es Bemühungen geben, die Alterung mit Blick auf die<br />

Innovationsfähigkeit „hinauszuschieben“: Produktive Menschen, die forschen, werden motiviert, noch länger in<br />

der betrieblichen Forschung zu bleiben – und nicht allzu früh, wie heute üblich, in Bereiche der Administration<br />

und <strong>des</strong> Managements zu wechseln. Gleichzeitig werden Ältere motiviert, ihre Lebensarbeitszeit zu verlängern,<br />

um die Lücken in diesen Bereichen zu füllen.<br />

Kurzum: Es kann zu einer umfassenden Mobilisierung von Arbeitskraft kommen, die tendenziell zu mehr<br />

Effizienz, Innovation und Wachstum führt und damit den Folgen von Schrumpfung und Alterung <strong>des</strong><br />

Erwerbspersonenpotenzials entgegenwirkt. 175 Es ist heute allerdings noch Spekulation, wie weit ein solcher<br />

Prozess tatsächlich gehen wird. Entscheidend wird sein, inwieweit ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />

verstärkt Aufgaben übernehmen können, die vorher von Jüngeren ausgeführt wurden, und ob es dabei<br />

gesamtwirtschaftlich zu Gewinnen oder Verlusten der Wertschöpfung kommt. Diese Fragen sind Gegenstand der<br />

Forschung zur Altersproduktivität, die erst in ihren Anfängen steckt. Die traditionelle Vorstellung, also<br />

gewissermaßen der Startpunkt der Forschung, ist dabei, dass es – gewissermaßen zwingend – zu einer Abnahme<br />

der Produktivität im Alter kommt, und zwar vor allem durch die Verschlechterung der körperlichen und<br />

kognitiven Fähigkeiten. Neuere Forschungen, allen voran vom Munich Institute for the Economics of Ageing,<br />

zeigen dagegen für eine Reihe von Tätigkeiten, dass der Prozess sehr viel langsamer verläuft, als man bisher<br />

geglaubt hat. Zusätzlich zeigen sie, dass gerade bei Tätigkeiten mit Routinecharakter die Erfahrung eine<br />

unerwartet starke Rolle spielt, um kognitiv bedingte Fehler zu vermeiden – mit dem verblüffenden Ergebnis,<br />

dass es sogar bei Älteren zu einer höheren Arbeitsproduktivität als bei Jüngeren kommt, vor allem weil weniger<br />

(schwere) Fehler gemacht werden. 176 In die gleiche Richtung werden wahrscheinlich neue Technologien am<br />

Arbeitsplatz wirken: Gerade die dringliche Nachfrage nach älteren Arbeitskräften wird für die Unternehmen den<br />

Anreiz schaffen, durch Produktinnovationen und Investitionen die Ausstattung am Arbeitsplatz „altersgerecht“<br />

zu gestalten. Auch in dieser Hinsicht könnte sich also ein Wandel einstellen, der zur Abflachung der bisher<br />

vermuteten Kurve der Altersproduktivität beiträgt.<br />

Kurzum: Wir wissen bisher sehr wenig über die Reaktion der deutschen Volkswirtschaft auf die zu erwartende<br />

Alterung der Erwerbstätigen. Zwar handelt es sich bei der Alterung der Bevölkerung keineswegs um ein neues<br />

Phänomen, denn es gibt sie schon seit den 1980er Jahren. Allerdings fand sie bisher in einem<br />

gesamtwirtschaftlichen Zustand der Arbeitslosigkeit statt; dieser erlaubte es, ihre Wirkung auf das<br />

Durchschnittsalter der Beschäftigten deutlich abzufedern, durch frühe Verrentung älterer und Neueinstellung<br />

junger Arbeitnehmer. Dies wird in der Zukunft nicht mehr möglich sein, und genau daraus ergeben sich<br />

machtvolle ökonomische Anpassungen, die bisher weder bekannt noch erforscht sind. Die politische<br />

Herausforderung wird darin bestehen, diese Anpassungen „positiv zu begleiten“, also sie nicht durch allzu rigide<br />

Vorgaben der Regulierung zu erschweren. Dies gilt für den Staat und die Tarifparteien gleichermaßen.<br />

Aus ökonomischer Sicht ist zu vermuten, dass die Möglichkeiten der Verbesserung der Arbeitsteilung zwischen<br />

Generationen – weil bisher kaum nötig und gefordert – möglicherweise erheblich mehr Potenzial zur Stärkung<br />

der künftigen Innovationskraft enthalten als viele bildungspolitische Versuche der Veränderung durch den Staat.<br />

175<br />

Dazu ausführlich Paqué (2012): Abschnitt 2.3 mit weiterführenden Literaturhinweisen.<br />

176<br />

Dazu im Einzelnen Paqué (2012): Abschnitt 2.3, insbesondere mit einer Diskussion der neuesten Ergebnisse<br />

einer Forschergruppe <strong>des</strong> Munich Institute for the Economics of Ageing unter der Leitung von Axel Börsch-<br />

Supan.<br />

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