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Deutscher Bundestag Entwurf des Gesamtberichts

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Enquete Gesamtbericht Stand 8.4.2013: Teil B: Projektgruppe 1<br />

Tatsächlich lässt sich erst im Nachhinein wirklich zweifelsfrei feststellen, ob es sich bei einer massiven<br />

Aufwertung von Vermögensbeständen in einem Land um ein realwirtschaftlich begründetes Phänomen oder eine<br />

reine Blase handelt. Denn die Verteuerung von Vermögensbeständen und auch von lokalen Dienstleistungen im<br />

Zuge <strong>des</strong> Wachstums ist für sich genommen völlig normal, soweit es um die Übertragung von<br />

Produktivitätssteigerungen aus jenen Sektoren der Wirtschaft geht, die im weltwirtschaftlichen Wettbewerb<br />

stehen. 19 Nimmt zum Beispiel im verarbeitenden Gewerbe („Industrie“) die Arbeitsproduktivität und damit das<br />

Lohnniveau zu, überträgt sich diese Zunahme über den Wettbewerb um Arbeitskräfte und Flächen auch auf die<br />

lokalen Dienstleistungen, die möglicherweise keinen entsprechenden Produktivitätsfortschritt erleben. Dadurch<br />

verteuert sich der Preis dieser lokalen Dienstleistungen: Löhne, Mieten und Pachten steigen, Land und Menschen<br />

gewinnen an Wert und damit nimmt die Wertschöpfung insgesamt zu, und zwar nicht nur in der Industrie. Genau<br />

dies ist der Grund, warum Zentren der industriellen Innovationskraft - wie in Deutschland zum Beispiel die<br />

Großräume München und Stuttgart - im Vergleich zur Peripherie sehr hohe Lebenshaltungskosten aufweisen.<br />

Es dürfte nicht überraschen, dass es im Vorhinein extrem schwierig ist zu entscheiden, ob ein beobachtetes<br />

Wachstum eine angemessene „reale“ Wertsteigerung oder eine Blase ist. Tatsächlich bedarf es einer Vielzahl<br />

von gesamtwirtschaftlichen Indikatoren, die aussagekräftige Hinweise darauf geben, ob eine Situation dauerhaft<br />

oder nicht dauerhaft ist. Die besondere Schwierigkeit für externe Beobachterinnen und Beobachter liegt<br />

allerdings darin, dass die Finanzmärkte selbst permanent alle relevanten Informationen verarbeiten, die sich dann<br />

über entsprechende Kauf- und Verkaufsentscheidungen in den Kurswerten niederschlagen. Es erfordert <strong>des</strong>halb<br />

einen beträchtlichen diagnostischen und prognostischen Mut festzustellen, dass eine aktuell beobachtete<br />

Konstellation von Preisen an den Vermögensmärkten tatsächlich „unhaltbar“ ist. In jedem Fall fließen in solche<br />

Urteile oft subjektive Wertungen ein, die nur schwer auf eine verlässliche objektive Grundlage zu stellen sind.<br />

2.4 Freizeitkonsum und häusliche Produktion<br />

Wirtschaftswachstum ist durch neues technisches Wissen bedingt, aber nicht je<strong>des</strong> neue technische Wissen führt<br />

zu mehr gemessenem Wirtschaftswachstum. Denn die Menschen können sich - bewusst und freiwillig – dafür<br />

entscheiden, ihre erhöhte wirtschaftliche Leistungskraft ganz oder zum Teil zu nutzen, um weniger zu arbeiten<br />

und statt<strong>des</strong>sen mehr Freizeit zu genießen. Wenn nur die Nachfrage nach Freizeit hinreichend<br />

„einkommenselastisch“ ist, also auf das gestiegene Einkommen besonders stark reagiert, kann das gemessene<br />

BIP sogar abnehmen. Die Produktivkraft <strong>des</strong> zusätzlichen Wissens wird dann also in Form von Freizeit<br />

vollständig „konsumiert“ - statt in Form von zusätzlichen Gütern, die mit zusätzlichem Einkommen erworben<br />

werden könnten. Allerdings: Auch unter diesen Umständen ist es erst das zusätzliche Wissen, das den Menschen<br />

zusätzlichen Konsum möglich macht, und zwar in der speziellen Form der freien Zeit. Lediglich die Art der<br />

Messung, die sich auf den Marktwert <strong>des</strong> Produzierten beschränkt, weist „Schrumpfung“ oder „Stagnation“ statt<br />

„Wachstum“ aus. Ein erweitertes Konzept, das den Wert der Freizeit mit berücksichtigt – etwa durch<br />

Berechnung der Opportunitätskosten der Freizeit als dem entgangenen Lohn – würde den Wohlstand in einer<br />

Volkswirtschaft ausweisen, wobei Wohlstand sich anhand von Konsum und Freizeit und möglicherweise vieler<br />

anderer Aspekte bemisst. 20 Den Wert der Freizeit „korrekt“ zu messen, stößt aber bei der Umsetzung auf<br />

erhebliche praktische Probleme. 21<br />

In der empirischen Realität spielen Unterschiede im (freiwilligen) Freizeitkonsum eine beachtliche Rolle, und<br />

zwar mit Blick sowohl auf (sehr) langfristige Wachstumstrends als auch auf den internationalen Vergleich von<br />

Wohlstandsniveaus. So ist in Deutschland seit 1870 die jährliche Arbeitszeit einer oder eines Beschäftigten um<br />

mehr als 50 Prozent gesunken, und zwar im Wesentlichen durch Verkürzung der Wochenarbeitszeit und durch<br />

zusätzliche Urlaubstage. Dies bedeutet – zumin<strong>des</strong>t rein rechnerisch – einen weitgehend freiwilligen Verzicht<br />

auf ein doppelt so hohes Einkommensniveau. Ähnliches gilt für den internationalen Vergleich. So lässt sich der<br />

19<br />

Dieses Phänomen wird in der Außenhandelstheorie als „Balassa-Samuelson-Effekt“ bezeichnet. Vgl. Balassa,<br />

Béla A. (1964). The Purchasing-Power Parity Doctrine; Samuelson, Paul A. (1964). Theoretical Notes on Trade<br />

Problems. Eine moderne formale Darstellung findet sich bei Harms, Philipp (2008). Internationale<br />

Makroökonomik: 285-290.<br />

20<br />

Es ist Auftrag der Projektgruppe 2 „Entwicklung eines ganzheitlichen Wohlstands- beziehungsweise<br />

Fortschrittsindikators“ zu untersuchen, welche Aspekte für Wohlstand und auch Lebensqualität eine Rolle<br />

spielen.<br />

21<br />

Entsprechende Berechnungsversuche wurden schon in den 1970er Jahren vorgelegt und führten stets zu einer<br />

kaum mehr sinnvoll interpretierbaren Aufblähung der Messgrößen. Dies gilt insbesondere für den Vergleich von<br />

„reichen“ und „armen“ Ländern, da der Wert der Freizeit dann und nur dann mit dem entgangenen Lohn<br />

bemessen werden darf, wenn der Zustand der Freizeit „freiwillig“ gewählt wurde und nicht das Ergebnis<br />

unfreiwilliger Unterbeschäftigung ist. Genau dies ist aber zumeist nicht zweifelsfrei zu klären.<br />

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