Deutscher Bundestag Entwurf des Gesamtberichts
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Enquete Gesamtbericht Stand 8.4.2013: Teil C: Projektgruppe 2<br />
betonen, dass die Lebensqualität der Menschen von deren objektiven Lebensbedingungen und<br />
Verwirklichungschancen abhänge. 590<br />
Dieser Ansatz geht über existenzielle Aspekte wie beispielsweise die materielle Absicherung und die<br />
Menschenrechte hinaus. Er beinhaltet die Forderung an die Gesellschaft, aktiv zur Entwicklung eines besseren<br />
Lebens aller Mitglieder der Gesellschaft beizutragen. Es gehe darum, bestimmte Entscheidungsfreiräume zu<br />
schaffen, formulierte Martha Nussbaum in der Anhörung. Falls sich die Menschen schließlich dafür entschieden,<br />
diese nicht zu nutzen, sei dies akzeptabel. Das politische Ziel sei somit Freiheit als Fähigkeit oder Potenzial.<br />
Auch wenn der beschriebene Ansatz über die Selbsteinschätzungen und Wahrnehmungen der Menschen<br />
hinausgeht, lassen sich zahlreiche von der Enquete-Kommission aufgeführte Wohlstandsaspekte durch aktuelle<br />
Umfragen von Meinungsforschungsinstituten oder renommierte wissenschaftliche Langzeitstudien wie etwa das<br />
Sozio-oekonomische Panel (SOEP) 591 untermauern. Diese zeigen zum einen, welche Punkte die Menschen selbst<br />
nennen, wenn sie nach den ihre Zufriedenheit bestimmenden Faktoren gefragt werden, und sie zeigen zum<br />
anderen, bei welchem Ereignis sich die Lebenszufriedenheit ändert.<br />
Zum Vorgehen der Enquete-Kommission im Einzelnen:<br />
Die erste Weichenstellung, die die Enquete-Kommission zu Beginn ihrer Arbeit vorgenommen hat, war die<br />
Ablehnung eines Ansatzes, der zur Messung von Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität in einem einzigen<br />
aggregierten Gesamtindex geführt hätte. Nach Abwägung der Vor- und Nachteile dieses Vorgehens erschien der<br />
Ansatz einer großen Mehrheit der Projektgruppe nicht sinnvoll, da er methodisch in vielerlei Hinsicht angreifbar<br />
ist.<br />
Nicht nur bedingt jeder aggregierte Indikator letztlich eine willkürliche Gewichtung der einzelnen<br />
Teilindikatoren, sondern darüber hinaus ist die Interpretierbarkeit eines solchen „Superindikators“ äußerst<br />
schwierig: Es ist bei einem Blick auf einen solchen aggregierten Indikator in der Regel völlig unklar, auf<br />
welchen Lebensbereich eine Verbesserung oder Verschlechterung <strong>des</strong> Gesamtwertes zurückzuführen ist. Denn<br />
ein aggregierter Indikator geht stets mit einem erheblichen Informationsverlust einher. 592 Statt eines<br />
Gesamtindexes schlägt die Enquete-Kommission mehrheitlich <strong>des</strong>halb einen überschaubaren Indikatorensatz<br />
vor. Nach mehrheitlicher Auffassung stehen mehrere Indikatoren für Teilaspekte <strong>des</strong> Wohlstands. Sie stehen<br />
gleichberechtigt nebeneinander; ob ein „Plus“ in einem Bereich ein „Minus“ in einem anderen Bereich<br />
aufwiegen kann, muss die Betrachterin oder der Betrachter für sich entscheiden. Die Zusammenschau der<br />
einzelnen Indikatoren kann sicherlich auch mit geeigneten Hilfsmitteln unterstützt werden. So bietet die OECD<br />
auf ihrer Homepage für den „Your Better Life Index“ an, dass Besucherinnen und Besucher Themenfelder selbst<br />
gewichten und einen aggregierten Gesamtindikator berechnen lassen können. Die einzelnen Indikatoren werden<br />
für alle OECD-Länder bereitgestellt.<br />
Die Mehrheit der Enquete-Kommission hält die gewissermaßen konkurrierende Aggregation von<br />
Einzelindikatoren für den politischen Diskurs für äußerst sinnvoll. Dann kann jede gesellschaftliche Gruppe mit<br />
einer eigenen Aggregation der Einzelindikatoren in die Diskussion gehen. Man wird dann auch erkennen<br />
können, wo und inwieweit unterschiedliche politische Vorstellungen zu unterschiedlichen Gewichtungs-<br />
Schemata führen. Alles dies ist sinnvoll – sinnvoll wäre hingegen nicht, wenn das Statistische Bun<strong>des</strong>amt (oder<br />
Eurostat) eine amtliche Aggregation anbieten würde.<br />
590<br />
„(…) Quality of life depends on people’s objective conditions and capabilities. (…) The information relevant<br />
to valuing quality of life goes beyond people’s self-report and perceptions to include measures of their<br />
‚functionings‘ and freedoms.“ Ebd.: 15 (§ 29).<br />
591<br />
Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist eine repräsentative Wiederholungsbefragung, die bereits seit 25<br />
Jahren durchgeführt wird. Im Auftrag <strong>des</strong> DIW Berlin werden je<strong>des</strong> Jahr in Deutschland über 20.000 Personen<br />
aus rund 11.000 Haushalten von TNS Infratest Sozialforschung befragt. Die Daten geben Auskunft zu Themen<br />
wie Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung oder Gesundheit. Weil je<strong>des</strong> Jahr dieselben Personen befragt<br />
werden, können langfristige soziale und gesellschaftliche Trends besonders gut verfolgt werden. Vgl. Wagner,<br />
Gert G.; Goebel, Jan; Krause, Peter; Pischner, Rainer; Sieber, Ingo (2008). Das Sozio-oekonomische Panel<br />
(SOEP): Multidisziplinäres Haushaltspanel und Kohortenstudie für Deutschland.<br />
592<br />
Siehe Kapitel 5.3.<br />
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