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Deutscher Bundestag Entwurf des Gesamtberichts

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Enquete Gesamtbericht Stand 8.4.2013: Teil B: Projektgruppe 1<br />

Auf den Finanzmärkten ist eine dauerhaft hohe Staatsverschuldung in der Regel mit einem Vertrauensverlust der<br />

privaten Kapitalgeber verbunden. Ein Staat nimmt Schulden gegen die Ausgabe von Staatsanleihen auf, deren<br />

Verzinsung eine Risikoprämie beinhaltet. Diese Prämie ist umso größer, je höher die Finanzmärkte die<br />

Konkurswahrscheinlichkeit eines Staates einschätzen. Kann ein Land seine Zins- und Tilgungszahlungen nicht<br />

mehr erfüllen, weil die Risikoprämie für die notwendige Aufnahme neuer Schulden zu hoch ist, droht<br />

letztendlich ein Staatsbankrott. Eine Rückführung der Schulden ist daher für ein Land unerlässlich, um auch<br />

künftig weiterhin Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten zu erhalten. 73 Auch hierauf wird in Abschnitt<br />

Abschnitt 4.2 „Demografische Herausforderungen für die Finanzpolitik“ näher eingegangen.<br />

Bezüglich der Höhe der Staatsverschuldung deuten empirische Studien mehrheitlich darauf hin, dass sich eine zu<br />

hohe Staatsverschuldung negativ auf das Wachstum einer Volkswirtschaft auswirkt. Dieser Effekt wird in der<br />

Finanzpolitik oft unterschätzt, weil kurzfristige Konjunkturmaßnahmen möglicherweise kurzfristiges<br />

„Wachstum auf Pump“ erzeugen können. 74 Zwischen den Größen Staatsverschuldung und BIP-Wachstum zeigt<br />

sich ein nichtlinearer Zusammenhang: Ab einer bestimmten Schuldenquote wird ein negativer Effekt auf die<br />

Wachstumsrate verzeichnet. Als Wendepunkt beziffern jüngere Studien einen Verschuldungsgrad von in etwa<br />

90 Prozent <strong>des</strong> nominalen BIP, wobei Schätzungen für die Mitgliedsstaaten <strong>des</strong> Euroraums darauf hinweisen,<br />

dass dieser Punkt bereits bei einer Schuldenquote von 70 bis 80 Prozent <strong>des</strong> nominalen BIP einsetzt. 75 Der Wert<br />

könnte noch niedriger liegen, wenn ökonomische Akteure ihre Erwartungen anpassten (Lucas-Kritik) und schon<br />

bei Schuldenquoten von 50 bis 60 Prozent die Wahrscheinlichkeit anstehender Steuererhöhungen oder<br />

Ausgabenkürzungen deutlich größer bewerteten.<br />

Nicht zuletzt bedeutet eine dauerhaft hohe Staatsverschuldung, dass für die Regierung der Handlungsspielraum<br />

für eine Neuverschuldung in Krisenzeiten erheblich eingeschränkt wird. Hier wirkt zusätzlich die<br />

Schuldenbremse begrenzend, die in der aktuellen Ausgestaltung nur einen geringen Spielraum für eine<br />

diskretionäre antizyklische Fiskalpolitik bietet. 76 Infolge der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise ist die<br />

Schuldenquote in Deutschland von 66,3 Prozent im Jahr 2008 auf 83,2 Prozent im Jahr 2010 gestiegen.<br />

Budgetbelastend waren hierbei neben den Rettungsmaßnahmen für den Bankensektor und den beiden<br />

Konjunkturpakten die mit den automatischen Stabilisatoren verbundenen Steuerausfälle und höheren<br />

Transferausgaben. Umso wichtiger ist es, dass die Regierung auch in zukünftigen Krisen diskretionäre<br />

Maßnahmen ergreifen kann. Eine Analyse von Aizenman und Jinjarak 77 zeigt, dass die staatlichen Konjunkturund<br />

Rettungspakete für den Bankensektor in den Jahren 2009 und 2010 in denjenigen Ländern am<br />

umfangreichsten waren, in denen vor der Krise ein vergleichsweise großer finanzpolitischer Spielraum bestand. 78<br />

der dauerhaft notwendigen Erhöhung der Primärsalden. Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der<br />

gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2011).<br />

73<br />

Vgl. Eaton, Jonathan; Gersovitz, Mark (1981). Debt with Potential Repudiation.<br />

74<br />

Vgl. Nordhaus, William D. (1975). The Political Business Cycle.<br />

75<br />

Reinhart und Rogoff haben 20 entwickelte Volkswirtschaften im Zeitraum zwischen 1946 und 2009<br />

untersucht und zeigen, dass eine öffentliche Schuldenquote ab einer Höhe von 90 Prozent <strong>des</strong> nominalen BIP im<br />

Durchschnitt (Median) mit einer um 4 Prozentpunkte (1 Prozentpunkt) niedrigeren Wachstumsrate einhergeht.<br />

Unter diesem Schwellenwert besteht nur ein schwacher Zusammenhang zwischen Schuldenquote und<br />

Wachstum. Vgl. Reinhart, Carmen M.; Rogoff, Kenneth S. (2010). Growth in a Time of Debt. Zu einem<br />

ähnlichen Ergebnis kommen Kumar und Woo in einer Panelanalyse über 38 entwickelte und aufstrebende<br />

Volkswirtschaften für den Zeitraum 1970 bis 2007. Vgl. Kumar, Manmohan S.; Woo, Jaejoon (2010). Public<br />

Debt and Growth. Schätzungen für den Euroraum von Checherita und Rother lassen anhand der ermittelten<br />

Konfidenzbänder darauf schließen, dass der Wendepunkt, der zu einem negativen Wachstumseffekt führt, bereits<br />

bei einer Schuldenquote von 70 bis 80 Prozent <strong>des</strong> nominalen BIP liegt. Vgl. Checherita, Cristina; Rother,<br />

Philipp (2010). The Impact of High and Growing Government Debt on Economic Growth.<br />

76<br />

Horn et al. erhalten bei einer Modellsimulation für die Jahre 2000 bis 2007 das Ergebnis, dass bei einem<br />

früheren Wirken der Schuldenbremse das BIP in diesem Zeitraum um bis zu 2 Prozent niedriger gewesen wäre.<br />

Wichtig hierfür dürfte das Verfahren zur Konjunkturbereinigung sein, mit <strong>des</strong>sen Hilfe das strukturelle Defizit<br />

abgeleitet wird. So deuten die Resultate von Breuer und Büttner darauf hin, dass das mit Standardverfahren<br />

ermittelte strukturelle Defizit in Deutschland in Zeiten konjunkturellen Abschwungs überschätzt, jedoch in<br />

Aufschwungphasen unterschätzt wird. Vgl. Horn, Gustav A.; Niechoj, Torsten; Proano, Christian R.; Truger,<br />

Achim; Vesper, Dieter; Zwiener, Rudolf (2008). Die Schuldenbremse; Breuer, Christian; Büttner, Thiess (2010).<br />

Auf Sand gebaut.<br />

77<br />

Vgl. Aizenman, Joshua; Jinjarak, Yothin (2010). De facto Fiscal Space and Fiscal Stimulus.<br />

78<br />

Angesichts der Schuldenbremse wäre der Spielraum für eine diskretionäre Finanzpolitik selbst dann eng<br />

begrenzt, wenn finanzpolitischer Spielraum bestünde. Dies liegt an der derzeitigen – nicht vom Grundgesetz<br />

vorgegebenen – Ausgestaltung der Schuldenbremse. So böte eine höher als bisher angesetzte Budgetelastizität<br />

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