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Deutscher Bundestag Entwurf des Gesamtberichts

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Enquete Gesamtbericht Stand 8.4.2013: Teil B: Projektgruppe 1<br />

Zunächst spricht die zeitliche Abfolge dafür, den Hauptschuldigen für den „skill bias“ beim internationalen<br />

Handel zu suchen. Technischen Fortschritt hat es nämlich seit der Industrialisierung (und schon vorher) gegeben,<br />

und er war eigentlich immer „arbeitssparend“. Gesamtwirtschaftlich war dies so lange unproblematisch, wie die<br />

freigesetzten Arbeitskräfte an anderer Stelle Arbeitsplätze fanden, die ihnen min<strong>des</strong>tens die gleiche<br />

Arbeitsproduktivität wie zuvor gewährleisteten, und zwar eben auch an modernsten Maschinen. Genau dies ist<br />

aber nicht mehr der Fall, weil ein zunehmender Teil dieser Tätigkeiten in Branchen, die besonders intensiv<br />

einfache Arbeit einsetzen, in Entwicklungs- und Schwellenländern stattfindet. In diesem Sinne trägt nicht der<br />

(schon lange wirkende) technische Fortschritt die Verantwortung, sondern die (historisch neue) Globalisierung<br />

durch den Handel mit verarbeiteten Gütern und die Verlagerungen industrieller Produktion über nationale<br />

Grenzen hinweg.<br />

Diese Erklärung – im Folgenden „Handelsthese“ genannt – ist zwar in sich schlüssig, stößt aber auf Fakten, die<br />

schwer mit ihr zu vereinbaren sind. Sie impliziert nämlich, dass der „skill bias“ besonders in jenen Branchen zu<br />

finden sein sollte, in denen die Konkurrenz aus Entwicklungs- und Schwellenländern besonders stark ausfällt. 163<br />

Empirische Untersuchungen belegen aber eindeutig, dass der „skill bias“ in allen Industriebranchen beobachtbar<br />

ist und zu rund 80 Prozent auf Trends innerhalb (und nicht zwischen) Branchen zurückgeführt werden kann.<br />

Hinzu kommt, dass nach der „Handelsthese“ auch in den Entwicklungs- und Schwellenländern, mit denen der<br />

Handel betrieben wird, eine ganz spezifische Wirkung zu erwarten wäre, und zwar eine Art „unskill bias“, das<br />

heißt eine verstärkte Nachfrage nach einfacher Arbeit in den Exportbranchen. Auch dies ist nicht der Fall.<br />

Empirische Studien für eine Reihe von Ländern zeigen, dass es – entgegen der „Handelsthese“ – auch dort einen<br />

„skill bias“ gibt.<br />

Die Entwicklung ist also überall ziemlich parallel verlaufen, was eher für eine branchenübergreifende, globale<br />

Veränderung <strong>des</strong> technologischen Trends als für den Handel als Hauptursache spricht. Diese „Technikthese“ (als<br />

Alternative zur „Handelsthese“) könnte etwa wie folgt lauten: Irgendwann ab den frühen 1980er Jahren sorgte<br />

die tief greifende Veränderung der Informationstechnologien quer durch Branchen und Länder für ein verstärktes<br />

„Wegrationalisieren“ von einfacher Arbeit, sei es in den verschiedenen Industrien oder auch bei<br />

Dienstleistungen. Symbole dafür sind nicht nur voll automatisierte, computergesteuerte Produktionslinien in der<br />

Industrie, sondern auch der Einsatz von Scannern an den Kassen der Supermärkte <strong>des</strong> Einzelhandels. Hier<br />

könnte es durchaus einen Bruch mit der Vergangenheit gegeben haben: Eine neue „general purpose technology“,<br />

also eine Technologie, die praktisch alle Produktionsprozesse durchdringt, begann die Knappheitsverhältnisse<br />

am Arbeitsmarkt grundlegend zu verändern. 164<br />

So weit eine Art modifizierte „Technikthese“. Als vollwertige Alternativerklärung zur „Handelsthese“ wird ihr<br />

allerdings zunehmend widersprochen, und zwar mit Blick auf neue Trends. So hat sich die Art <strong>des</strong> Handels<br />

zwischen Industrie- und Entwicklungsländern verändert. Die eigentliche Wachstumsdynamik kommt aus dem<br />

Handel innerhalb von Industrien, und zwar unter anderem durch zunehmende Auslagerung von<br />

Produktionsstufen („Outsourcing“ und „Offshoring“). Wenn dem so ist, so führen internationale<br />

Produktionsverlagerungen der jeweils arbeitsintensivsten Stufen der Wertschöpfungskette im Industrieland zu<br />

einem allgemeinen „skill bias“, im Entwicklungsland aber möglicherweise ebenso, weil die Produktionsstufe im<br />

dortigen Umfeld stärker qualifizierte als einfache Arbeit einsetzt. So wird dann auch wieder die „Handelsthese“<br />

mit den beobachteten Phänomenen vereinbar.<br />

So weit in Grundzügen die Kontroverse. Sie hat noch nicht zu einem eindeutigen Ergebnis geführt. Für die<br />

Vereinigten Staaten hat es zwar empirische Versuche gegeben, den „skill bias“ präzise zu messen und<br />

ökonometrisch auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. Im Ergebnis wird dem Handel dabei in der Regel<br />

maximal 20 Prozent für die Erklärung <strong>des</strong> „skill bias“ zugesprochen; der technische Fortschritt als Ursache<br />

dominiert also derzeit noch das Bild. Inwieweit allerdings diese Ergebnisse lange Bestand haben werden, bleibt<br />

abzuwarten. Zweifel sind angebracht, und zwar vor allem aus zwei Gründen. Zum einen setzt sich der Trend<br />

zum intra-industriellen Handel zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zügig fort. Outsourcing und<br />

Offshoring werden <strong>des</strong>halb zu immer bedeutsameren Phänomenen. Es entstehen dann in praktisch allen<br />

163<br />

Streng genommen müssten andere Branchen sogar eine gegenläufige Tendenz aufweisen, denn einfache<br />

Arbeit wird in Industrieländern billiger, und es lohnt sich <strong>des</strong>halb, mehr davon einzusetzen.<br />

164<br />

Ganz ähnlich tat dies in den 1920er Jahren das Fließband, allerdings mit genau gegenläufiger Richtung, weil<br />

damals durch die Zerlegung <strong>des</strong> Arbeitsablaufs in kleinste triviale Schritte plötzlich auch eine völlig<br />

unqualifizierte Arbeitskraft (zum Beispiel eine Analphabetin oder ein Analphabet) eine hohe<br />

Arbeitsproduktivität erzielen konnte. In der Tat ist es ja vielleicht kein Zufall, dass gerade in dieser Zeit ein<br />

Trend zur Angleichung der Einkommensverteilung zu beobachten war (siehe oben im Text in Teil B3.6.1 dieses<br />

Abschnitts).<br />

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