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Deutscher Bundestag Entwurf des Gesamtberichts

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Enquete Gesamtbericht Stand 8.4.2013: Teil B: Projektgruppe 1<br />

1. Es überwiegt ein Verständnis, das von der Ambivalenz der Moderne ausgeht, die immer wieder durch<br />

politische Rahmensetzungen einen Ausgleich zwischen unterschiedlichen Entwicklungen braucht.<br />

Beispielhaft hat Ralf Dahrendorf das im Begriffspaar „Verlust an Bindungen/Ligaturen“ und „Gewinn<br />

an Optionen“ herausgearbeitet. Es beschreibt die gesteigerte individuelle Selbstverfügbarkeit,<br />

Selbstbezüglichkeit und Selbsteinwirkungsmöglichkeit der Moderne, denen eine schwindende soziale und<br />

kulturelle Bindung an die Gesellschaft entgegensteht. 224<br />

2. Die Gesellschaft vermag immer weniger als Ganze auf sich einzuwirken. Auch die Politik tut sich schwer,<br />

die Ganzheit zu repräsentieren. Daraus ergibt sich eine Schwächung in der politischen Steuerung und<br />

Gestaltung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesse. 225<br />

3. Von zentraler Bedeutung ist das Verhältnis zwischen Wirtschaftssystem und natürlicher Mitwelt, weil sich<br />

die bisherige technisch-ökonomische Entwicklung überwiegend durch den Verzehr der natürlichen<br />

Ressourcen reproduziert, zu deren Erhalt sie wenig beiträgt. 226<br />

4. Zentrale Probleme müssen als Folgeprobleme der Errungenschaften der Moderne identifiziert werden,<br />

wobei die Folgekosten den Nutzen übersteigen können. 227 Denn die Möglichkeit, Probleme durch eine<br />

immer weitere Ausdifferenzierung zu bewältigen, gerät an Grenzen.<br />

5. Die „Weltrisikogesellschaft” potenziert in neuen und komplexen Formen die Herausforderung an<br />

politische Steuerung, soziale Kompatibilität und gesellschaftliche Koordination. 228<br />

Neben den angedeuteten Schwachstellen und Fehlern der europäischen Moderne, in der vor allem technischer<br />

Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum zum Selbstzweck wurden, obwohl sie ursprünglich als Wege zur<br />

Verwirklichung von Emanzipation und Freiheit verstanden wurden, sind der soziale Wandel, die ökologischen<br />

Herausforderungen und die ökonomischen Umbrüche entscheidende Gründe, um die Notwendigkeit der sozialökologischen<br />

Transformation zu beschreiben. Dabei knüpfen wir an die Theorie <strong>des</strong> Wiener<br />

Wirtschaftsanthropologen Karl Polanyi an, der 1944 die Entbettungsprozesse hin zu einer Marktgesellschaft in<br />

seiner Langfriststudie als „The Great Transformation“ beschrieben hat. 229<br />

Anders als bei Polanyi, der die Transformation – zeitgemäß verständlich – für den Nationalstaat und die soziale<br />

Frage beschrieben hat, müssen wir heute nicht nur die soziale, sondern auch die ökologische Entbettung sehen<br />

und von globalen und kosmopolitischen Zusammenhängen ausgehen. 230<br />

1.3. Die Wiederkehr der Wachstumsdebatte<br />

Die multiplen Krisen der Gegenwart haben ihre entscheidende Ursache in einer tiefgreifenden Erschöpfung <strong>des</strong><br />

derzeitigen Wirtschaftens. Die Stimmen derer, die die Wachstumsorientierung und Wachstumsabhängigkeit<br />

unserer Wirtschaftsweise und Gesellschaftsformation kritisch hinterfragen, werden lauter.<br />

Schon 1968 hatte der Richta-Report der Prager Akademie der Wissenschaften 231 und 1972 der Club of Rome 232<br />

die Grenzen <strong>des</strong> Wachstums und die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch sowie die<br />

Frage von Wohlstand und Lebensqualität thematisiert. Nicht nur die Umweltgrenzen, auch die sozialen<br />

Schranken <strong>des</strong> Wachstums durch Konsumsättigung und Statusgüter wurden später Gegenstand kritischer<br />

Debatten. 233 Zu den Zweifeln an der prinzipiellen sozialen, vor allem an der ökologischen Verträglichkeit <strong>des</strong><br />

wirtschaftlichen Wachstums gesellten sich die Erfahrungen mit den Folgeproblemen stark ungleicher<br />

Industriegesellschaften. Zudem haben die Erkenntnisse der Glücksforschung die Annahme relativiert, dass die<br />

stetige Zunahme von Einkommen und materiellen Besitztümern in gleichem Maße zu einer höheren individuellen<br />

224<br />

Vgl. Dahrendorf, Ralf (1979). Lebenschancen.<br />

225<br />

Vgl. Luhmann, Niklas (1984). Soziale Systeme.<br />

226<br />

Vgl. WWF (2012). Living Planet Report.<br />

227<br />

Vgl. Sen, Amartya (1990). Der Lebensstandard.<br />

228<br />

Vgl. Beck, Ulrich (2007). Weltrisikogesellschaft.<br />

229<br />

Vgl. Polanyi, Karl (1944). The Great Transformation.<br />

230<br />

Vgl. Beck (2007).<br />

231<br />

Vgl. Richta, Radovan et al. (1968). Zivilisation am Scheideweg.<br />

232<br />

Vgl. Meadows, Dennis; Meadows, Donella H.; Zahn, Erich (1972). Die Grenzen <strong>des</strong> Wachstums.<br />

233<br />

Vgl. Hirsch, Fred (1980). Die sozialen Grenzen <strong>des</strong> Wachstums.<br />

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