Deutscher Bundestag Entwurf des Gesamtberichts
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Enquete Gesamtbericht Stand 8.4.2013: Teil B: Projektgruppe 1<br />
ausweitenden Kreditvergabe beruhte. Ursache für diese vermehrte Bautätigkeit war aber kein realer Bedarf,<br />
sondern vielfach die Spekulation auf hohe Wertsteigerungen der Immobilien und daraus zu erzielende Gewinne.<br />
Bricht diese Preisentwicklung aber plötzlich ab, platzt also die Preisblase, geraten Finanzierungen ins Wanken<br />
und Immobilien erweisen sich als unverkäuflich. Die Bauruinen in Spanien und den USA zeugen von diesen<br />
Fehlspekulationen. Dennoch haben sie zeitweise zu einem höheren BIP-Wachstum und in der Folge wiederum zu<br />
höheren Wachstumserwartungen beigetragen. Diese Fehleinschätzungen können wiederum sowohl im<br />
Privatsektor als auch im öffentlichen Sektor zu überhöhten Einnahmeerwartungen führen und nicht-tragfähige<br />
Schuldenstände zur Konsequenz haben. Beim Platzen einer Blase, wie derjenigen Anfang diesen Jahrtausends<br />
oder erneut im Jahr 2007/2008, die der Auslöser der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise war, erleidet eine<br />
Volkswirtschaft dann massive Einschnitte beim BIP. Die Gewinner <strong>des</strong> vorangegangenen Booms werden dann<br />
oft nur mittelbar an den Kosten der Rezession beteiligt – die Lasten trägt die Volkswirtschaft insgesamt.<br />
Es ist im Vorhinein allerdings schwer zu beurteilen, ob ein beobachtetes BIP-Wachstum eine angemessene<br />
„reale“ Wertsteigerung oder eine Blase abbildet. Tatsächlich bedarf es einer Vielzahl von<br />
gesamtwirtschaftlichen Indikatoren, die aussagekräftige Hinweise darauf geben, ob eine Situation „dauerhaft“<br />
oder „nicht dauerhaft“ ist.<br />
2.3. Das BIP als Wohlstandsindikator<br />
Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass das BIP ein sehr unvollständiger Indikator selbst für die vorhandene<br />
Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft ist. Da es bereits weite Arbeitsbereiche der Sorgearbeit, der Freizeit<br />
und der ehrenamtlichen Tätigkeiten nicht erfasst, kann es kaum oder allenfalls nur sehr behelfsmäßig ein<br />
Maßstab für den Wohlstand einer Gesellschaft sein. Trotz <strong>des</strong> Versuchs, Qualitätsveränderungen bei der<br />
Berechnung <strong>des</strong> realen BIP zu erfassen, erlauben die im BIP erfassten produzierten Güter und Dienstleistungen<br />
letztlich keine Aussage darüber, inwieweit gesellschaftliche Bedürfnisse befriedigt werden. Berücksichtigt<br />
werden nämlich nur Bedarfe, die als zahlungsfähige Nachfrage geäußert werden (können). Über die für die<br />
Höhe <strong>des</strong> Wohlstands zentrale Frage, wer über welche Einkommen verfügt, also die Frage nach der<br />
Einkommens- und Vermögensverteilung, wie auch über das Ausmaß an Zeitwohlstand gibt das BIP keine<br />
Auskunft. Für den Wohlstand entscheidend sind zudem der Grad der Vermachtung der Märkte, was die Preise<br />
von Gütern beeinflusst, und auch das Ausmaß der Konsumentensouveränität, die durch Werbung und Marketing<br />
eingeschränkt wird, 250 deren Aufwendungen aber sogar das nominale wie das reale BIP steigern. 251<br />
Weitere Kritikpunkte am BIP als Wohlstandsindikator sind, dass soziale und ökologische Kosten <strong>des</strong><br />
Produktionsprozesses wie Krankheiten, Unfälle oder die Beseitigung von Umweltkatastrophen sich steigernd auf<br />
das BIP auswirken: Wenn durch die Bearbeitung solcher Schädigungen etwa durch Medizin oder<br />
Umweltschutzmaßnahmen Einkommen entstehen, steigern diese das BIP. All dies macht deutlich, dass das BIP<br />
nur bedingt als Wohlstandsindikator für eine Gesellschaft geeignet ist. Dies gilt insbesondere für<br />
fortgeschrittene Gesellschaften: Solange die Wirtschaftsleistung und damit das BIP pro Kopf noch sehr niedrig<br />
ist, elementare Grundbedürfnisse nach Nahrung, Kleidung und Wohnung nicht befriedigt werden, ist von einem<br />
engen Zusammenhang zwischen der Steigerung <strong>des</strong> BIP und der Steigerung <strong>des</strong> Wohlstands auszugehen. Mit<br />
steigendem BIP pro Kopf löst sich dieser Zusammenhang jedoch immer weiter auf. Auf diesen Zusammenhang<br />
weist aktuell auch der Schweizer Ökonom und Pionier der ökonomischen Theorie der Politik und der<br />
ökonomischen Glücksforschung Bruno S. Frey hin: „Lange Zeit war das Wohlbefinden der Menschen<br />
maßgeblich durch die wirtschaftliche Aktivität bestimmt. […] Seit kurzem hat sich das menschliche<br />
Wohlbefinden allerdings von der nur materiellen Güterversorgung getrennt. Andere Aspekte <strong>des</strong> Lebens sind<br />
zunehmend wichtig geworden.“ 252 Hierbei kann sich Frey auf jüngere Ergebnisse der Glücksforschung stützen,<br />
wonach in reichen Volkswirtschaften mit steigendem BIP kein Anstieg der Lebenszufriedenheit mehr gemessen<br />
werden kann.<br />
250<br />
Ein Zweck von Werbung ist, das kritisch-rationale Urteilsvermögen der Verbraucherin oder <strong>des</strong> Verbrauchers<br />
mittels Aktivierung psychologischer Wirkungszusammenhänge zu umgehen und sie oder ihn zu möglichst<br />
hohem Konsum zu veranlassen. Vgl. hierzu Reuter, Norbert (2000). Ökonomik der „Langen Frist“: 371 f. Vgl.<br />
auch Galbraith, John Kenneth (1970). Gesellschaft im Überfluß: 147 und 163.<br />
251<br />
Nach Angaben <strong>des</strong> Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) betrugen allein die Ausgaben für<br />
Werbung – für Honorare/Gehälter, für Werbemittelproduktion sowie für mediale Verbreitung der Werbung – im<br />
Jahr 2011 knapp 30 Milliarden Euro.<br />
252<br />
Frey, Bruno S. (2012). Wachstum, Wohlbefinden und Wirtschaftspolitik: 34.<br />
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