Deutscher Bundestag Entwurf des Gesamtberichts
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Enquete Gesamtbericht Stand 8.4.2013: Teil B: Projektgruppe 1<br />
geschützt werden muss (…)“. 42 Somit umfasst die Gesellschaftstheorie der sozialen Marktwirtschaft nicht nur<br />
rein ökonomische Bestandteile, sondern bedarf normativer gesellschaftlicher Vorgaben, die auf breiter Basis vor<br />
dem Hintergrund aktueller Herausforderungen öffentlich diskutiert werden müssen.<br />
So ist es beispielsweise nach Alexander Rüstow gesellschaftspolitische Aufgabe, die Lebensumstände <strong>des</strong><br />
einzelnen Menschen so zu gestalten, dass die autonome Wahl eines selbstbestimmten Lebenswegs gemäß<br />
eigener Neigungen und Fähigkeiten möglich wird. Eine Wirtschafts- und Sozialpolitik im Rüstow’schen Sinne<br />
der Vitalpolitik stellt daher darauf ab, dass das „Sichfühlen <strong>des</strong> Menschen in seiner Lebenslage (…) von<br />
ökonomischen (…), aber in weit höherem Maße von überökonomischen Dingen“ abhängt 43 und daher das<br />
Individuum mit seinen spezifischen Bedürfnissen im Mittelpunkt steht. Eine solche Politik ermöglicht über<br />
soziale Inklusion und Chancengleichheit ein selbstbestimmtes, lebenswertes Leben <strong>des</strong> einzelnen Menschen.<br />
Um die soziale Einbettung <strong>des</strong> einzelnen Menschen bei Wahrung von Eigenverantwortlichkeit zu erzielen, sieht<br />
sich Wirtschafts- und Sozialpolitik vor allem den Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt und im Gesundheitssowie<br />
Bildungsbereich gegenüber. Ökonomische Inklusion über Erwerbstätigkeit ist dabei Voraussetzung dafür,<br />
Teil <strong>des</strong> öffentlichen Lebens zu sein. 44 Dazu bedarf es etwa zwangsläufig auch eines gerechten Bildungssystems.<br />
In einer solchen Ermöglichung der Teilhabe an wirtschaftlichem Wachstum 45 und Ermöglichung <strong>des</strong> sozialen<br />
Lebens liegt die Herausforderung der heutigen Gesellschaftspolitik und damit der Schlüssel zur Verbindung von<br />
Wirtschaftswachstum und den in diesem Abschnitt nachfolgend dargestellten gesellschaftlichen Entwicklungen.<br />
3.2 Wachstum und öffentliche Haushalte<br />
Viele staatliche Leistungen sind wichtig für Wohlstand und Wachstum. 46 Dazu zählen insbesondere öffentliche<br />
Investitionen (zum Beispiel in Bildung und Infrastruktur), Transferleistungen (Arbeitslosenversicherung,<br />
Rentenversicherung, Krankenversicherung, Sozialversicherungssysteme) sowie ein funktionierender Rechtsstaat.<br />
Diese Leistungen werden durch ein Steuersystem finanziert, das den Anspruch erfüllen sollte, sowohl gerecht zu<br />
sein als auch die richtigen Anreize zu setzen. Wie private Haushalte und Unternehmen sehen sich die<br />
öffentlichen Haushalte (Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherung) allerdings einer Budgetrestriktion<br />
ausgesetzt: Unterschreiten ihre Einnahmen die Ausgaben innerhalb einer bestimmten Periode, kann die Differenz<br />
durch Erhöhung der Einnahmen, durch Verringerung der Ausgaben oder durch Aufnahme von Schulden<br />
finanziert werden. Die Staatsverschuldung als Bestandsgröße ergibt sich idealtypisch als Summe vergangener<br />
Defizite abzüglich Tilgungen. Nicht nur angesichts der europäischen Staatsschuldenkrise stellt sich die Frage<br />
nach den Wechselwirkungen zwischen dem Wirtschaftswachstum und einer dauerhaft hohen<br />
Staatsverschuldung, die nicht konjunkturbedingt zu rechtfertigen ist. Dieser Frage wird im Folgenden<br />
nachgegangen. Dagegen werden die Herausforderungen für die öffentlichen Haushalte, die sich insbesondere aus<br />
den absehbaren demografischen Veränderungen ergeben, in Kapitel 4.2 („Demografische Herausforderungen für<br />
die Finanzpolitik“) untersucht.<br />
3.2.1 Bestandsaufnahme der öffentlichen Verschuldung in Deutschland<br />
Innerhalb der vergangenen Jahrzehnte hat sich die Staatsverschuldung der öffentlichen Haushalte in Deutschland<br />
sowohl absolut als auch in Relation zum BIP deutlich erhöht (siehe Abbildung 2). Die ausstehenden<br />
Verbindlichkeiten sind nominal betrachtet von 64,2 Milliarden Euro im Jahr 1970 auf rund 2.160 Milliarden<br />
Euro im Jahr 2012 gestiegen. Innerhalb <strong>des</strong> gleichen Zeitraums hat sich die Schuldenquote, also die öffentliche<br />
Verschuldung im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt, mehr als vervierfacht und ist von<br />
17,8 Prozent auf 81,7 Prozent gestiegen.<br />
42<br />
Röpke, Wilhelm (1957). Marktwirtschaft ist nicht genug: 139 f.<br />
43<br />
Vgl. Rüstow, Alexander (1960). Wirtschaft als Dienerin der Menschlichkeit: 82.<br />
44<br />
Vgl. Phelps, Edmund S. (2003). Designing Inclusion: 3.<br />
45<br />
Vgl. Fuchs-Goldschmidt, Inga; Goldschmidt, Nils (2010). Inklusion als Zielpunkt einer modernen<br />
Sozialpolitik.<br />
46<br />
Vgl. Musgrave, Richard A. (1959). The Theory of Public Finance.<br />
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