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Deutscher Bundestag Entwurf des Gesamtberichts

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Enquete Gesamtbericht Stand 8.4.2013: Teil B: Projektgruppe 1<br />

diese zunächst sehr optimistisch gesehen. Es stellte sich aber schon nach wenigen Jahren heraus, dass es hier um<br />

eine enorme wirtschafts-, fiskal-, staats- und gesellschaftspolitische Aufgabe ging, die noch weit über das<br />

hinausreichte, was die Zeit zwischen 1973 und 1989 zu bieten hatte. Insofern beschritt Deutschland ab 1990<br />

zwangsläufig einen europäischen Sonderweg, der über fast zwei Jahrzehnte lang auch die deutsche<br />

Wachstumsbilanz maßgeblich belastete.<br />

In stilisierter Form lässt sich die deutsche Einheit in ihren (belastenden) Wirkungen auf das<br />

gesamtwirtschaftliche Wachstum in fünf Punkten zusammenfassen: 39<br />

1. Der Aufbau Ost war eine massive fiskalische Belastung für den Staat. Währungsunion, Privatisierung<br />

<strong>des</strong> Kapitalbestan<strong>des</strong>, Erneuerung der Infrastruktur sowie die sozialstaatliche Absicherung <strong>des</strong><br />

Prozesses kosteten eine Summe, die auf einen Betrag irgendwo zwischen 1,5 und 2 Billionen Euro zu<br />

beziffern ist. Sie wurde teils von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, teils von den Kapitalmärkten<br />

aufgebracht – zulasten anderer Verwendungen.<br />

2. Die Lenkung von staatlichen und privaten Investitionen in den Osten sorgte über Jahre für eine Art<br />

vorübergehende Rückkehr zu einem „quantitativen“ Wachstum. Denn es ging zunächst darum,<br />

16 Millionen Menschen in einem Territorium von einem Drittel der Fläche Deutschlands mit einem<br />

funktionierenden, modernen Kapitalstock auszustatten. „Qualitatives“ Wachstum trat zunächst zurück.<br />

3. Die neu geschaffenen Kapazitäten im Osten erwiesen sich, vor allem was den Neubau betrifft, als eher<br />

zu großzügig bemessen. Es kam <strong>des</strong>halb schon ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre zu einer<br />

nachhaltigen Belastung der Märkte für Immobilien, lokale Dienstleistungen und das Handwerk, was das<br />

Wachstum der Wertschöpfung in der Binnenwirtschaft beschränkte.<br />

4. Das ostdeutsche verarbeitende Gewerbe wuchs zwar ab 1992 kontinuierlich, aber doch viel langsamer<br />

als zu Beginn <strong>des</strong> “Aufbaus Ost“ erhofft. Eine kräftige Dynamik, gekoppelt mit einer<br />

Beschäftigungszunahme, setzte erst Mitte <strong>des</strong> zweiten Jahrzehnts nach der deutschen<br />

Wiedervereinigung ein. Es fehlte also lange Zeit ein hinreichend starkes industrielles Wachstum, das<br />

die Schwäche <strong>des</strong> Binnensektors hätte kompensieren können.<br />

5. Die hohe, zeitweise extrem hohe Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern sorgte im Osten für eine<br />

Aushöhlung <strong>des</strong> Flächentarifvertrags und in Deutschland insgesamt für überaus moderate<br />

Lohnabschlüsse. Tatsächlich blieben die Lohnstückkosten ab den späten 1990er Jahren fast eine Dekade<br />

lang annähernd konstant, was kurz- und mittelfristig die Binnennachfrage dämpfte, aber langfristig die<br />

Wettbewerbsfähigkeit verbesserte.<br />

Aus diesen Gründen erlebte der Westen <strong>des</strong> vereinigten Deutschlands nach 1989 einen kurzen Boom, der vor<br />

allem durch die Bauwirtschaft bedingt war. Schon ab Mitte der 1990er Jahre überwogen allerdings die genannten<br />

strukturell belastenden Faktoren. Die Wachstumsbilanz der deutschen Wirtschaft fällt <strong>des</strong>halb in der Phase 1991<br />

bis 2005 außerordentlich mäßig aus, mit einem jahresdurchschnittlichen Wachstum <strong>des</strong> BIP von gerade mal<br />

1,7 Prozent und einer Zunahme der Arbeitsproduktivität von 1,9 Prozent. 40 Es ist das schwächste Wachstum<br />

eines EU-Lan<strong>des</strong> in dieser historischen Phase. Es schien tatsächlich so, als würde Deutschland – was den<br />

Wachstumstrend Europas betrifft – ein Stück weit abgehängt.<br />

Auch was andere Wirtschaftsindikatoren betrifft, schien sich Deutschland in der ersten Hälfte der letzten Dekade<br />

auf einem negativen europäischen Spitzenplatz einzurichten: Die Arbeitslosenquote erreichte einen historischen<br />

Höchststand, die Anzahl der Langzeitarbeitslosen mit geringen Chancen der Reintegration ebenso. Gerade in<br />

dieser Phase setzte allerdings eine Welle von politischen Reformen ein, die heute in Europa als beispielhaft<br />

gelten. Dies gilt allen voran für den Komplex der Hartz-IV-Gesetzgebung zur Integration von Arbeitslosen- und<br />

Sozialhilfe, eine endgültige (und relative liberale) Regelung befristeter Beschäftigungsverhältnisse, ein neuer<br />

gesetzlicher Rahmen für die Zeitarbeit sowie schließlich die Einführung der Rente mit 67. Als Ganzes betrachtet,<br />

liefern diese Reformen die umfassendste Anpassung der sozialen Marktwirtschaft an neue Bedingungen, die es<br />

seit Bestehen der sozialen Marktwirtschaft gegeben hat. Zusammen mit der Flexibilisierung der<br />

Tarifvertragssysteme, die sich aus der deutschen Einheit ergab, schüttelte damit das spezifisch deutsche System<br />

<strong>des</strong> Kapitalismus zu einem großen Teil jene Nachteile ab, die ihm gerade von der Wirtschaftswissenschaft<br />

nachgesagt wurden.<br />

39<br />

Ausführlich dazu Paqué, Karl-Heinz (2009). Die Bilanz.<br />

40<br />

Eigene Berechnungen nach Statistisches Bun<strong>des</strong>amt (2013). Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen.<br />

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