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Deutscher Bundestag Entwurf des Gesamtberichts

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Enquete Gesamtbericht Stand 8.4.2013: Teil B: Projektgruppe 1<br />

Lebenszufriedenheit führt. 234 Gefördert wurde die Rückkehr der Wachstumsdebatte zudem von neuen,<br />

detaillierten Erkenntnissen über die Belastungsgrenzen der Erde. 235<br />

Aus Sorge um die Schädigung <strong>des</strong> begrenzten Planeten durch grenzenloses Wachstum, aber auch aus kulturellnormativen<br />

Erwägungen heraus stellen unterschiedliche Autorinnen und Autoren in jüngster Zeit die Frage, ob<br />

und wie Wohlstand ohne Wachstum möglich sei 236 . Andere hingegen suchen eine programmatische Lösung <strong>des</strong><br />

Konflikts von Wachstumsorientierung einerseits und der Begrenztheit der Ressourcen und Senken der Erde<br />

andererseits in einem grünen 237 oder sozialen Wachstum 238 . Oder sie grenzen sich grundsätzlich vom<br />

Optimismus einer ökologischen Modernisierung als allumfassen<strong>des</strong> Rezept ab und beschreiben den<br />

Wachstumszwang als konstitutives Element der kapitalistischen Lebens- und Produktionsweise. 239 Allerdings<br />

muss darauf hingewiesen werden, dass die früheren staatswirtschaftlichen Systeme und diversen dritten Wege<br />

nicht weniger wachstumsfixiert waren. Vonseiten feministischer Kritikerinnen werden die soziale und<br />

ökologische Blindheit der Wachstumsorientierung und ihre systemischen Ursachen kritisiert: Ökonomie<br />

funktioniere nur an und über Märkte. Nur was dort geschehe, gelte als produktiv und wertvoll. Als Arbeit zähle<br />

nur Erwerbsarbeit. Unbezahlte Care- oder Sorgearbeit würde Frauen zugeschrieben, vom Arbeitsmarkt<br />

abgetrennt und nicht als wertschöpfende Tätigkeit betrachtet.<br />

Aus der Rückschau steht außer Frage, dass die Wachstumsentwicklung der letzten beiden Jahrhunderte zu einer<br />

Verbreitung <strong>des</strong> gesellschaftlichen Wohlstands und Zunahme von Lebensqualität geführt hat. Der Anspruch auf<br />

eine gute Entwicklung ist ein legitimes Recht der Gesellschaften, denen eine menschenwürdige Lebensqualität<br />

bislang versagt geblieben ist. Andererseits gibt es Anzeichen dafür, dass sich der Zusammenhang zwischen<br />

Wachstum und Wohlstandssteigerung/Lebensqualität in den Industrieländern zunehmend auflöst und angesichts<br />

der Folgen dieser Entwicklung nicht zu rechtfertigen ist. 240<br />

Daher muss an die Stelle der Wachstumsabhängigkeit der Gesellschaften die politische Gestaltung einer<br />

nachhaltigen Entwicklung stehen, die auch zum Vorbild für Entwicklungsländer werden kann. Wachstum kann<br />

das Ergebnis einer gewünschten Entwicklung sein, aber nicht ein Ziel an sich. Zuerst geht es bei der<br />

Nachhaltigkeit darum, Antworten auf die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen sowie die sozialen und<br />

ökonomischen Ungleichheiten zu finden. Die Politik muss dafür die Rahmenbedingungen schaffen und damit die<br />

Anreizstrukturen, Gebote und Verbote, innerhalb derer sich Wirtschaft und Gesellschaft qualitativ entwickeln<br />

sollen. Wachsen soll das, was sozial und ökologisch verträglich ist; schrumpfen muss das, was die soziale und<br />

natürliche Mitwelt schädigt.<br />

Geringere BIP-Wachstumsraten sind keine grundsätzliche Bedrohung für gesellschaftlichen und individuellen<br />

Wohlstand. Bereits in den zurückliegenden Jahrzehnten waren die Wachstumsraten der Industriestaaten deutlich<br />

niedriger als die in Schwellenländern, allerdings auf einem sehr viel höheren Niveau, sodass absolut gesehen<br />

das mengenmäßige Wachstum immer noch sehr hoch war. Was das nachhaltige Wirtschaften betrifft, hat unsere<br />

Gesellschaft in Schlüsselbereichen wichtige Innovationen wie ressourceneffiziente Technologien,<br />

Produktionsverfahren oder Materialien oder das Elektroenzephalogramm (EEG) hervorgebracht, aber sie ist<br />

noch weit von einer nachhaltigen Entwicklung entfernt. Das Wohlstandsniveau eines großen Teils der<br />

Bevölkerung ist hoch, alarmierend sind aber die zunehmenden sozialen Unterschiede und die ökologischen<br />

Gefahren. Die Institutionen <strong>des</strong> Sozialstaates geraten in Stagnations- oder Rezessionsphasen schnell unter<br />

massiven Druck. Deshalb stellt sich die Frage, wie die Sozialstaatsmodelle ohne eine wachstumsabhängige<br />

Politik gestärkt und zukunftsfähig werden können.<br />

234 Vgl. Easterlin, Richard A. (2009). Happiness, Growth and the Life Cycle; oder Frey, Bruno S.; Frey Marti,<br />

Claudia (2010). Glück – Die Sicht der Ökonomie.<br />

235 Vgl. insbesondere die Sachstandsberichte <strong>des</strong> Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), zuletzt<br />

Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) (2007). Vierter Sachstandsbericht: Klimaänderung 2007.<br />

236 Vgl. beispielsweise: Jackson, Tim (2010). Wohlstand ohne Wachstum; Miegel, Meinhard (2010). Exit; Paech,<br />

Niko (2012). Befreiung vom Überfluss; Loske, Reinhard (2010). Abschied vom Wachstumszwang.<br />

237 Vgl. United Nations Environment Programme (UNEP) (2011). Towards a Green Economy; OECD (2011).<br />

Towards Green Growth.<br />

238 Vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung (2011). Soziales Wachstum.<br />

239 Vgl. Wissen, Markus (2011). Vom Neoliberalismus zum „grünen Kapitalismus“?; Brand, Ulrich (2012).<br />

Wachstum und Herrschaft.<br />

240 Als ein Beispiel für die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Wohlstandsentwicklung vgl. den<br />

differenzierten Überblick über die Verbreitung atypischer Beschäftigungsverhältnisse trotz stabiler<br />

Wachstumsentwicklung in Europa von Allmendinger, Jutta; Ludwig-Mayerhofer, Wolfgang; Spitznagel, Eugen<br />

(2012). Arbeitslosigkeit.<br />

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