RDT - Numéro spécial concernant la révision - VBK-CAT

ZVW 5/2003
Biderbost, Eine Beistandschaft ist eine Beistandschaft?!?
entwurfs auch die Bedeutung der nicht mehr so genannten Entmündigung entgegen
dem geltenden ZGB als Ausnahme für besondere Schutzbedürftigkeit. Das ist gut so.
37. Die Lösung des Entwurfs deckt den vormundschaftlichen, pardon: erwachsenenschutzrechtlichen,
Alltag im heutigen Umfeld grundsätzlich gut und flexibel
ab. Der Ausbau der reinen Beschränkungsmöglichkeiten, der Abschied vom
faktischen Alles-oder-Nichts-Prinzip ist willkommen. Nichtsdestotrotz bleiben
aber Fälle, denen nur durch vollständige Handlungsfähigkeitsbeschränkung beizukommen
ist. Das vorgeschlagene Massnahmensystem schliesst diese Massnahme
denn eben auch nicht aus. Es bleibt immerhin die Frage, ob mit dem
zwangsläufigen Entfallen der Handlungsfähigkeit bei umfassendem Betreuungserfordernis
nicht hier und dort ohne Not übers Ziel hinausgeschossen wird resp.
ob – andersrum gedacht – nicht dadurch unnötigerweise auch die Anforderungen
hinaufgeschraubt werden?
38. Dass die Praxis – auch diejenige von zukünftig professionalisierten Behörden
– wohl dazu tendieren wird, der Offenheit und Flexibilität des vorgeschlagenen
Massnahmesystems hier und dort mit kategorisierenden Musterlösungen,
mit Fallgruppenbildungen und mit entsprechenden Paradetypen von Beistandschaften
zu begegnen, tut der Massschneiderung bei richtiger Anwendung keinen
Abbruch. 57 Ganz ungefährlich ist es dennoch nicht! Standardlösungen sind
auf Erfahrungswerten basierende Befunde für einen Normal- oder Mehrheitsfall
(oder eben für Kategorien von solchen). Für den konkreten Fall bleiben sie eher
Orientierungshilfen und entbinden die Behörden in keiner Weise von der Abwägung
und Individualisierung im Einzelfall; ob eine generalisierte Lösung in einem
anstehenden Fall passt oder nicht, muss untersucht und darf nicht einfach
angenommen werden.
39. Für den einleitend angeführten verstummten komischen Kauz ändert sich
mit der Revision allerdings nichts Wesentliches, solange er sich trotz drolligen
Benehmens zurechtfindet. Sowohl im geltenden als im vorgeschlagenen Massnahmesystem
wird niemand bloss wegen seiner Eigenartigkeit unter behördliche
Betreuung gestellt. 58 Erst wenn er zusätzlich einen der Schwächezustände aufweist
und entsprechend hilfsbedürftig ist, erfüllt er die Kriterien für eine behördliche
Massnahme. So er, da er ja niemanden mehr versteht und nicht mehr verstanden
wird, diese Schwelle erfüllt, ist mit dem neuen Instrumentarium das
Entsprechende vorzukehren. Solange er seinen Alltag aber trotz Merkwürdigkeiten
meistert, ist eine Massnahme fehl am Platz. Immerhin ist im neuen Recht
mit der Begleitbeistandschaft eine sehr niederschwellige Massnahme vorgesehen,
welche unter geringen Anforderungen aus menschlichen Besonderheiten
resultierende kleinere Defizite ausgleichen kann, solange der Betroffene mitmacht.
57
Mit der ausdrücklichen Erwähnung von Aufgabenkreisen (Art. 379 Abs. 1 VE ZGB 2003)
schliesst das Gesetz solcherlei ja auch nicht aus.
58
Wie schon Eugen Huber (Erläuterungen, Bern 1914, S. 294) schrieb: «Es muss auch solche Käuze geben».
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© Schulthess Juristische Medien AG, Zürich · Basel · Genf 2003