RDT - Numéro spécial concernant la révision - VBK-CAT
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ZVW 5/2003<br />
Geiser, Überblick Revision Erwachsenenschutzrecht<br />
so mehr, als es dabei um einen Teil des Sozialhilferechtes und damit um eine Materie<br />
geht, in der das Verhältnis der Gesellschaft gegenüber Randgruppen und<br />
abweichendem Verhalten besonders stark zum Ausdruck ge<strong>la</strong>ngt. Die gesellschaftlichen<br />
Auffassungen haben sich diesbezüglich in den letzten hundert Jahren<br />
zweifellos stark gewandelt. Das geschriebene Recht war offenbar genügend<br />
flexibel, um diese Änderungen bei gleichbleibendem Gesetzestext unbeschadet<br />
zu überstehen.<br />
1.2. Diese Anpassungsfähigkeit ist nun aber an Grenzen gestossen. Die Regelungen<br />
erweisen sich als zu starr, um veränderten Aufgaben gerecht werden zu<br />
können. Wohl liesse das Bundesrecht den Kantonen genügend Spielraum, um<br />
wenigstens die Behördenorganisation den Anforderungen an eine professionelle<br />
Betreuung anzupassen. Offensichtlich sind aber nur wenige Kantone politisch in<br />
der Lage, diesen Schritt aus eigener Kraft zu tun 2 . Hier muss der Bundesgesetzgeber<br />
eingreifen.<br />
II.<br />
Stufenfolge in neuem Kleide<br />
2.1. Aus dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit folgt schon für das geltende<br />
Recht, dass zum einen im Vormundschaftsrecht immer nur jene Massnahme ergriffen<br />
werden kann, welche so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig in die<br />
Rechtsstellung der betroffenen Person eingreift. Das Subsidiaritätsprinzip ver<strong>la</strong>ngt<br />
zum andern, dass die Behörde hoheitlich nur eingreift, wenn die Hilfe nicht<br />
durch das private Umfeld der betroffenen Person oder freiwillige Dienste sichergestellt<br />
werden kann. Daraus folgt die Stufenfolge der vormundschaftlichen<br />
Massnahmen. So weit eine leichtere Massnahme für den Schutz genügt, ist diese<br />
zu ergreifen und auf eine schwerere Massnahme zu verzichten. Das neue Recht<br />
verankert das Subsidiaritätsprinzip ausdrücklich 3 .<br />
2.2. Das Subsidiaritätsprinzip ver<strong>la</strong>ngt es aber, die behördlichen Massnahmen<br />
in einen weiteren Zusammenhang zu stellen, der insbesondere auch die eigene<br />
Vorsorge und die Betreuung durch die Angehörigen stärker gewichtet. Das geltende<br />
Gesetz regelt den freiwilligen Sozialschutz gar nicht und kennt für die Betreuung<br />
durch Angehörige nur zwei Institutionen, nämlich die verlängerte elterliche<br />
Sorge 4 und die Familienvormundschaft 5 . Letztere ist allerdings toter<br />
Buchstabe geblieben. Schon zur Zeit des Inkrafttretens der entsprechenden Bestimmungen,<br />
war dieses Institut selten 6 . Inzwischen wird es überhaupt nicht mehr<br />
2<br />
Eine der Ausnahmen stellt der Kanton Tessin dar, der in den letzten Jahren zu einer professionelleren<br />
Organisation übergegangen ist.<br />
3<br />
Art. 375 VE.<br />
4<br />
Art. 385 Abs. 3 ZGB.<br />
5<br />
Art. 362 ff. ZGB.<br />
6<br />
Ernst Langenegger, in: Honsell/Vogt/Geiser (Hrsg.), Basler Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht,<br />
Zivilgesetzbuch Bd. I, Basel 2002, N. 1 zu Art. 362–366 ZGB; Bernhard Schnyder/Erwin<br />
228<br />
© Schulthess Juristische Medien AG, Zürich · Basel · Genf 2003