winter/zima 2006/2007 Es ist immer das Gleiche ... - Pavlova hiša
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Kulturelles Erbe?<br />
<strong>Es</strong> geht nicht nur um ein pietätvolles Bewahren<br />
und Reproduzieren, sondern um eine<br />
Neubestimmung des Ererbten, <strong>das</strong> in sich<br />
jahrhundertealtes Leben trägt, deshalb über<br />
eine rezessive Anziehungskraft verfügt und<br />
uns <strong>das</strong> genetische Band zwischen Wort, Welt,<br />
Gedächtnis und Zeit vermittelt. 12<br />
Alle Spracherneuerer im Bereich der Literatur<br />
schöpften aus dem Alten und erschufen<br />
Neues, wie z. B. Petrarca, Shakespeare, Goethe<br />
oder auch der slowenische Zeitgenosse Goethes,<br />
France Prešeren. Sie alle waren, um einen<br />
weiteren Begriff des Literaturwissenschaftlers<br />
Robert Harrison zu bemühen, genuin modern,<br />
denn seiner Meinung nach jagt der genuin moderne<br />
Mensch nicht nach Neuem, sondern er<br />
macht <strong>das</strong> Alte wieder neu.<br />
„<strong>Es</strong> <strong>ist</strong> schon erstaunlich, <strong>das</strong>s jährlich zig<br />
soziologische Bücher erscheinen, die uns erklären,<br />
<strong>das</strong>s der spätmoderne Mensch keine<br />
Wurzeln mehr hat und keine Herkunft und<br />
<strong>das</strong>s er aufhört, eine Grabstätte zu pflegen,<br />
an der er sich mit den Angehörigen versammeln<br />
könnte. Psychologen erklären uns, <strong>das</strong>s<br />
<strong>das</strong> moderne Selbst mittlerweile ein transitorisches<br />
sei und die Identität eine der schrumpfenden<br />
Gegenwart angepasste Improvisation,<br />
die mit dem beschleunigten Wandel Schritt<br />
halten muss.“ 13<br />
Andererseits <strong>ist</strong> zu fragen, ob gerade diese moderne<br />
Heimatlosigkeit Grund dafür <strong>ist</strong>, <strong>das</strong>s<br />
sich Volksgruppen und Ethnien wieder sichtbar<br />
ins Weltgeschehen einbringen. Nach dem<br />
Zerfall des Ostblocks verdoppelte sich die<br />
Zahl der europäischen Staaten: Slowenien,<br />
12 Vgl. ebd., S. 114–115.<br />
13 Gabriele Sorgo, Erde, Schleim und Blut, in: Die Presse (Spectrum),<br />
8.7.<strong>2006</strong>, S.9.<br />
Kroatien, Serbien, Montenegro, die Slowakei,<br />
Tschechien, die Ukraine, usw.; diese neuen<br />
Nationalstaaten suchen alle bei alten Volksepen<br />
und Mythen Halt und Zuflucht. 14 In den<br />
letzten Jahren wurde die slowenische Volksgruppe<br />
in Kärnten auf Grund der noch <strong>immer</strong><br />
nicht gelösten „Ortstafel-Frage“ zur beliebten<br />
Schlagzeile in ganz Europa. Nicht zu vergessen<br />
<strong>ist</strong> die heftig diskutierte Migranten/innenproblematik,<br />
<strong>das</strong> Konzept der multikulturellen<br />
Gesellschaft scheint zu scheitern, mittlerweile<br />
spricht man von Parallelgesellschaften, die natürlich<br />
auf Grund ihrer geschlossenen Sprach-<br />
und Kulturräume ein hohes Konfliktpotenzial<br />
in sich bergen.<br />
Trotz der fortschreitenden globalen Vernetzung<br />
berühren sich Sprach- und Kulturräume<br />
nicht konfliktlos, eine fast vergessene Kategorie,<br />
nämlich Ethnizität, kehrt wieder ins<br />
Rampenlicht des Geschehens zurück. Nicht<br />
Einheit, Uniformität sind zentrale europäische<br />
Themen, sondern Diversität und Heterogenität,<br />
und wie bereits eingangs erwähnt,<br />
liegt der Akzent auf der sprachlichen und kulturellen<br />
Vielfalt, die aber noch im praktischen<br />
Zusammenleben zu lösen <strong>ist</strong>. Das Projekt Gesellschaftliche<br />
Mehrsprachigkeit, propagiertes<br />
Ziel aller europäischen Staats- und Regierungschefs<br />
(Barcelona 2002), liegt noch in<br />
den Windeln, denn fast die Hälfte aller Europäer/innen<br />
spricht außer ihrer Muttersprache<br />
keine weitere Sprache. Zwar gibt es diesbezüglich<br />
schon zahlreiche Förderprogramme und<br />
Aktionspläne der Europäischen Kommission,<br />
dennoch müssen diese auch umgesetzt werden,<br />
und <strong>das</strong> Bedarf vor allem einer nationalstaatlichen<br />
Anstrengung.<br />
14 Vgl. Josef Schmid, Bevölkerungswachstum und internationales<br />
Konfliktpotential – vom ideologischen zum demographischen<br />
Jahrhundert .