PDF-Dokument - Burschenschaftsgeschichte
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II. Teil Konfliktfeld: Staat – Gesellschaft – Burschenschaft in München von 1826 bis 1833 165<br />
Damit einher ging eine Veränderung des Ehrbegriffs. Die herkömmliche, ständischkorporative<br />
Komponente transformierte sich in einen zunehmend individualistischen<br />
Ehrbegriff; in den Mittelpunkt der „Satisfaktionsideologie“ trat die Affektbeherrschung und<br />
bei erfolgter Satisfaktionsnotwendigkeit die Instanz des Ehrengerichts. Daß der<br />
Zweikampf nicht gänzlich verworfen wurde, zeigt ein Dilemma der organisierten<br />
Studentenschaft dahingehend auf, daß die feudal-aristokratischen Attitüden nicht gänzlich<br />
überwunden werden konnten und in der zweiten Phase des politischen Studententums ab<br />
1826 nicht wenig zur Zersplitterung der organisierten Studentenschaft in einen<br />
germanischen und arminischen Flügel beitragen werden. 487<br />
Aufklärung und französische Revolution fügten dem bürgerlichen Wertekanon der Orden<br />
und Landsmannschaften das „staatsbürgerlich-politische“ Selbstverständnis hinzu. Zur<br />
Gänze ab 1810 wurde die Frage nach Integration in den Staat mit Vehemenz gestellt und<br />
fand als Antwort zunächst nur Kritik und Frontstellung gegen den absolutistischen Staat<br />
und dessen ständisch-feudalen Relikten. 488<br />
Daß die Burschenschaft in den Jahren bis 1820 die Rolle einer politischen Avantgarde<br />
spielen konnte, verdankte sie auch dem Umstand, daß eine vor allem durch professorale<br />
Mentoren geförderte Neubewertung des jugendlichen politischen Engagements die von<br />
der Jugend formulierte Kritik nicht als Ausdruck Unmündiger, der Jugend eignende, also<br />
nicht auf Erfahrung basierende und daher nicht ernst zu nehmende Provokation abtat,<br />
sondern der Jugend stilbildende Kraft im Politischen zugestand. Die Trennung von<br />
Erwachsenen- und Jugendwelt begann sich zu verwischen. Der Jugend wurde eine<br />
treibende Kraft im Hinblick auf Zukunftsgestaltung zugesprochen, ohne daß dabei die<br />
bürgerlichen Mentoren bedachten, daß jugendliche Begeisterungsfähigkeit immer<br />
gefährdet ist, in eine Ideologie verabsolutierende, kritikresistente „Alles-oder-Nichts-<br />
Haltung“ umzuschlagen, gegenüber dessen Absolutheitsanspruch alle bürgerlichen<br />
Normen außer Kraft gesetzt sind. 489<br />
Zieht man die eigentliche burschenschaftliche Wirkgeschichte ab 1815 in Betracht, so<br />
zeigt sich, daß die Burschenschaft innerhalb des studentischen Spektrums jenen Teil<br />
repräsentierte, der politische Überzeugungen entwickelte und dafür eintrat. Zur Zeit der<br />
Urburschenschaft konnte sie mangels bürgerlicher Parteigruppierungen als solitäres<br />
Ereignis fungieren, wenn es um Aktivismus ging, bedurfte aber mentoraler Unterstützung<br />
bei der Entwicklung programmatischer politischer Grundsätze.Im Zuge der Herausbildung<br />
einer bürgerlichen Protesthaltung verlor die Burschenschaft als politische Gruppierung<br />
487<br />
488<br />
489<br />
vgl. Hardtwig, Wolfgang: München 1986, S. 588/S. 591f<br />
Hardtwig, Wolfgang: München 1986, S. 589/S. 590<br />
vgl. ebd., S. 602-609