PDF-Dokument - Burschenschaftsgeschichte
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I. Teil Konfliktfeld: Staat – Gesellschaft – Landsmannschaften in Landshut von 1800 bis 1826 72<br />
überzeugt sein, zu Recht, wie sich nach wenigen Tagen durch den Verzicht auf<br />
Rücksprache durch die Universitätsbehörden herausstellen sollte. Insofern wollte von<br />
Günther der soldatischen Selbstjustiz eine begründete Motivation nicht absprechen. 204<br />
Mit dem Exzeß vom 11.5.1820 endeten die gehässigen Auftritten von Studierenden mit<br />
den Militärs. In der Folgezeit kam es bei gelegentlichen Aufeinandertreffen von Militärs mit<br />
Studierenden zwar zu Reibereien, aber eskalierenden Charakter erreichten solche<br />
Begegnungen nicht mehr. Über die Motive, die zu diesem Gesinnungswandel führten,<br />
lassen sich allenfalls Spekulationen anstellen, die Quellen erhellen dazu nichts. Kein<br />
Beleg könnte diesen Umschwung der Verhältnisse besser verdeutlichen, als anläßlich<br />
einer Denunziation 205 der Studentenverbindungen durch Professor Wening die geballte<br />
Macht von 300 Akademikern am 28.6.1821 abends sich auf den Weg zu dessen Haus<br />
machte, um ihm die studentische Mißbilligung auszusprechen. Eine eigens zu Wenings<br />
Schutz abgeordnete Militärpatrouille war bereits am Ort des Geschehens versammelt, und<br />
alle Vorzeichen ließen gewalttätigen Tumult befürchten, als sich im Gegenteil die<br />
Studierenden mit den Soldaten solidarisierten und die Chefs der Studentenverbindungen<br />
die Soldaten für den folgenden Abend zu einem Umtrunk einluden, „wegen der Mühe, die<br />
sie ihnen bereitet hätten“. 206 Damit war das Buch der gegenseitigen Feindseligkeiten<br />
endgültig geschlossen. Eine analoge Entwicklung nahm das studentische Verhältnis zum<br />
Stadtbürgertum.<br />
Dieser knappe Abriß von Konfliktverlaufsmustern in Landshut läßt eine Reihe von<br />
Schlüssen gerade hinsichtlich des Verharrens der Landshuter Corps auf<br />
landsmannschaftlichem Niveau auch und in der Entstehungszeit von Burschenschaften<br />
zu:<br />
Die in Landshut etablierten Großgruppen (u. a. Landsmannschaften) begegnen sich auf<br />
der Ebene eines eng gezogenen korporativen Selbstverständnisses, deren „topoi“ noch<br />
überwiegend aus der Zeit „ungehobelter studentischer Selbstherrlichkeit“ resultieren und<br />
noch kaum mit der beginnenden Individualisierungsbewegung der Landsmannschaften,<br />
die mit den Befreiungskriegen in die Politisierungsbewegung der Burschenschaften<br />
einmündet, wie sie sich andernorts bereits herauskristallisierte, korreliert.<br />
Diese „topoi“ bestehen in eifersüchtigem Bewahren korporativer Eigenständigkeit,<br />
bewußter konfliktbeladener Abgrenzung von staatlicher Bevormundung, kampforientierter<br />
204<br />
205<br />
206<br />
MInn 23714/IV, Bericht von Günthers vom 22.8.1820<br />
MInn 23714/V, Bericht der Brigadekompanie an das Distriktskommando München vom 29.6.1821.<br />
Prof. Wening soll aufgrund seiner Denunziation der Urheber einer umfangreichen<br />
Durchsuchungsaktion in den Wohnungen der Studierenden zwecks Auffindung von Duellwaffen<br />
gewesen sein.<br />
MInn 23714/V, derselbe Bericht