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PDF-Dokument - Burschenschaftsgeschichte

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I. Teil Konfliktfeld: Staat – Gesellschaft – Landsmannschaften in Landshut von 1800 bis 1826 21<br />

sogar das Hausieren untersagte (für viele verarmte Juden die oft einzige Erwerbsquelle),<br />

brachte viele Juden an den Rand des Existenzminimums und schloß die Möglichkeit der<br />

Emigration eines Großteils der jüdischen Gemeinde als Negativkonsequenz mit ein, eine<br />

Entwicklung, an der dem bayerischen Staat schon aus fiskalischen Gründen nicht gelegen<br />

sein konnte. Die vom Gesetzgeber verfügten Maßnahmen (Edikt 1813) hatten von daher<br />

primär das Ziel, die den jüdischen Gewebefleiß hemmenden Fesseln zu beseitigen. Die<br />

die bürgerliche Freiheit begrenzende Einführung von Judenmatrikeln mit vom Staat<br />

kontrollierter Heiratserlaubnis zur Steuerung der jüdischen Bevölkerungszahl (möglichst<br />

langfristige Verringerung) bei garantierter Glaubensfreiheit zeigte die Zielrichtung der<br />

staatlichen Judenpolitik auf, die in der zahlenmäßigen Zurückdrängung der armen Juden<br />

sowie ihrer weitgehenden Assimilierung lag. Zu diesem Zweck wurde die gemeinsame<br />

schulische Erziehung der jüdischen und christlichen Kinder und die Abschaffung der<br />

Rechtsprechung durch die Rabbiner verfügt. Untersagt war es den Juden auch, eigene<br />

Gemeinden zu bilden. Das Edikt von 1813 stellte somit einen ersten, wichtigen Schritt der<br />

Judenemanzipation dar. Es brachte eine weitgehende bürgerliche Gleichstellung der<br />

Juden mit den Christen, für eine vollständige Gleichstellung war die Zeit aber noch nicht<br />

reif, zudem sollte in der fehlenden Gleichstellung der Juden ein Anreiz zu deren<br />

Konversion geboten werden. 45<br />

Höhepunkt und Kodifikation der bisher vollzogenen Reformen stellte die Verfassung von<br />

1808 dar, zudem verkörpert sie die Einheit der bayerischen Nation und den „Sieg“ des auf<br />

der Vertragstheorie ruhenden modernen souveränen Staates gegen die im Zuge der<br />

Reichsauflösung obsolet gewordenen, ständischen, eigenberechtigten Gewalten. Der<br />

inneren Notwendigkeit einer verfassungsmäßigen Ausgestaltung der Montgelasschen<br />

Staatsidee entsprach durchaus auch außenpolitische Notwendigkeit. Galt es doch,<br />

Bonapartes' Konzept einer förderalen Einbeziehung Bayerns in das Kontinentalsystem<br />

unter Souveränitätsverlust und Subsumption unter einer drohenden Rheinbundverfassung<br />

einen Riegel vorzuschieben. Den unter diesen Umständen drohenden Sonderrechten der<br />

45<br />

vgl. Demel, Walter: München 1980, S.77/78. Die bayerische „Judenpolitik“ bewegte sich damit im<br />

Kontext der Zeit, d. h. sie verkaufte sich als liberal, ist aber ein typisches Produkt des bayerischen<br />

„Scheinliberalismus“ jener Zeit. Im Klartext zeigte sich der überkommene gesamtdeutsche<br />

Antisemitismus kaum verhohlen und wird sich gerade in der „deutschtümelnden“ Nationalbewegung<br />

mit Deutlichkeit artikulieren. Die Ausgrenzung der Juden aus der ersten Burschenschaftsbewegung<br />

findet ihren nachhaltigen Widerhall auf dem Wartburgfest 1817.<br />

Neben der Verbannung jüdischer Schriften („Germanomania“ von Saul Ascher) fungieren Friedrich<br />

Ludwig Jahn, Ernst Moritz Arndt und vor allem Jakob Fries als die „drei Mentoren“ für die<br />

antisemitische und völkische „Blut- und Bodentradition der Burschenschaft“ (Lang, Hans-Joachim:<br />

Münchener Abendzeitung vom 5.7.2001, zitiert aus einem Interview mit dem Tübinger Historiker<br />

Lang auf die Frage: Wie tief sitzen bei den Burschenschaften antisemitische, antidemokratische und<br />

völkisch-nationale Traditionen?<br />

Die publizitätsträchtige und pointiert formulierte Analogie zum nationalsozialistischen „Blut- und<br />

Bodenmythos“ ist in Ansätzen sicher richtig, inwieweit aber dieser historische Bezugspunkt für die<br />

weitere historische Entwicklung der Burschenschaften eine stärkere Gewichtung aufweist als die<br />

liberal-demokratische Tradition der Urburschenschaft – eine Gewichtung, die Lang so vornimmt –<br />

bleibt doch zumindest hinterfragbar.

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