Johann Nepomuk Nestroy Tradizione e trasgressione a cura di ...
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40<br />
Jürgen Hein<br />
Ein Beispiel zum Schluß: Die erste Fassung der Posse Heimliches Geld,<br />
heimliche Liebe mit dem Titel Briefe zeigt, wie eng Stückkonzeption und<br />
Theaterarbeit zusammenhängen. Ein Brief-Entwurf, aus der Probenarbeit<br />
heraus entstanden, betrifft ein Rollenbesetzungsproblem der Posse selbst<br />
und dokumentiert <strong>Nestroy</strong>s professionelle Einstellung 45 :<br />
Leider bin ich in <strong>di</strong>e unangenehme Lage versetzt Sie mit folgender Bemerkung<br />
und dem daraus erfolgenden dringenden Ansuchen zu belästigen.<br />
Ohne Zweifel werden der H. Dirctor es ebenso bemerkt haben wie<br />
ich, Frau Boy kann den böhmisch gebrochnen Dialect durchaus nicht.<br />
(Es {braucht auch nicht mein Irrthum}, daß sie in Eisenbahnheirathen <strong>di</strong>e<br />
Böhmin gespielt, sie hatte in <strong>di</strong>e benannte Posse <strong>di</strong>e Rolle der Neustädterbeckentochter<br />
Kipfl. Wenn man einen Dialect nicht alsogleich trifft,<br />
kann man ihn mit aller Mühe, dennoch nie erlernen. Sollte der H. Director<br />
nicht ganz in meine {Ansicht eingehn}, so bitte ich Hrn. Scholz<br />
zu fragen, welchen Eindruck Fr. Boy in der heutigen Probe auf ihn gemacht,<br />
er ist womöglich noch mehr als ich selbst davon überzeugt, daß<br />
<strong>di</strong>ese Rolle unumgänglich eine andere Besetzung verlangt oder eher ganz<br />
wegbleiben müßte, da sie in <strong>di</strong>eser Weise ohne [ein Wort nicht entziffert]<br />
gleich in vornhinein einen für das Stück nachtheiligsten Eindruck machen<br />
müßte. Ich glaube Frau Boy wird es selbst fühlen, daß ihr <strong>di</strong>eser<br />
Dialect ganz fremd ist, und Sie geehrtester Hr Drec um Abnehmen der<br />
Rolle ersuche. Das wegbleiben <strong>di</strong>eser ganzen [Rolle], wäre natürlich sowohl<br />
[mir] wie Hr Scholz, welcher gerade <strong>di</strong>ese Scene als seine komischeste<br />
im ersten Act erklärt sehr unlieb.<br />
Ich bitte demnach, da meines Wissens kein weibliches In<strong>di</strong>viduum, welches<br />
dazu geeignet wäre, frey ist <strong>di</strong>e Rolle der {Frln Steindl} zu geben,<br />
damit sie <strong>di</strong>eselbe unter der Anleitung des Hrn. Grois einstu<strong>di</strong>ere.<br />
Mit erg---- H.---- [jeweils Wellenlinien]<br />
Ein weiterer Brief ist mitten im Schreibprozeß von Heimliches Geld,<br />
heimliche Liebe entstanden. Beim Entwerfen der Szene II,21 notiert <strong>Nestroy</strong><br />
am Rand ein Briefkonzept46 :<br />
{Sehr geehrter Herr Director}<br />
Beyfolgend übersende ich Ihnen den von mir unterzeichneten Contract.<br />
{In} Betreff der Scene vollkommen einverstanden. In eine[m] ausführli-<br />
45 Deutsches Theatermuseum München. I.N. VIII 6000, T 212, 209 und 254; zur<br />
näheren Datierung vgl. Walter Obermaier: Unerwartete Entdeckungen. Bemerkungen zu<br />
<strong>Nestroy</strong>s Briefen. In: <strong>Nestroy</strong>ana 20 (2000) S. 145-156.<br />
46 HKA: Stücke 32, S. 56.