Johann Nepomuk Nestroy Tradizione e trasgressione a cura di ...
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Die <strong>Nestroy</strong>-Polemik des deutschen Vormärz<br />
Roheiten und Mißbräuche im poetischen Spiegelbild abzuschaffen<br />
und dem Volke eine gereinigte und veredelte Freude wiederzugeben,<br />
da es sich einmal darum handelt, in der gemeinen Wirklichkeit eine<br />
schönere Welt wiederherzustellen durch <strong>di</strong>e Schrift. 40<br />
Der idealistische Zug innerhalb des poetischen Realismus wird hier, wie<br />
ich meine, nochmals deutlicher: Es geht um eine Restitution angeblich<br />
verloren gegangener Humanität, und um <strong>di</strong>e Kunst als deren Instrument.<br />
Erinnern wir uns noch einmal kurz, was Glaßbrenner an Raimund besonders<br />
rühmte. Seine Allegorien, so der Berliner Wienbesucher, vermöchten<br />
«den Sinn der Zuschauer für das Schöne» empfänglich zu machen, sie<br />
herauszureissen «aus dem Jammer der Alltäglichkeit». Dieses Lob ist verblüffend<br />
ähnlich wie das von Gustav Freytag 1874 seinem norddeutschen<br />
Kollegen Fritz Reuter gespendete. Freytag schreibt, Reuter habe den kleinen<br />
Leuten das eigene harte Dasein «verklärt»; sie hätten durch ihn «das<br />
Bewußtsein erhalten, wie tüchtig und brav ihre Existenz ist, wieviel<br />
Wärme, Liebe und Poesie auch in ihrem mühevollen Leben zutage<br />
kommt» 41 . Erheben, bilden, verbessern – freilich auch bei Reuter in einer<br />
durch Humor belustigenden Form: War es nicht das, was <strong>di</strong>e «Nordlichter»<br />
an Raimund so schätzten? 42<br />
Verblüffend sind aber auch <strong>di</strong>e Parallelen zwischen der <strong>Nestroy</strong>-<br />
Schelte und der Ablehnung des Naturalismus der Franzosen durch <strong>di</strong>e<br />
deutschen poetischen Realisten. Als «vollkommen wertlos» bezeichnet Julian<br />
Schmidt 1850 <strong>di</strong>e Sensationsromane Les Mystères de Paris von Eugène<br />
Sue. Ihre Schilderungen der «Zuckungen des Fleisches» seien ästhetisch<br />
und sittlich verwerflich43 . Und in den Grenzboten urteilt er über – ungenannte<br />
– deutsche Pessimisten:<br />
Wenn sie unsere Gegenwart so schildern, als wären wir im Lazareth<br />
40 Gottfried Keller: Jeremias Gotthelf I. In ders.: Sämtliche Werke. Hrsg. von Carl<br />
Helbling. Bern 1948, Band 22, S. 66. - Zu Kellers Rezensionstätigkeit vgl. Rätus Luck:<br />
Keller als Literaturkritiker. Bern, München 1970. – Zu Keller und <strong>Nestroy</strong> vgl. Klaus<br />
Jeziorkowski: Literarität und Historismus. Heidelberg 1979, S. 159ff.<br />
41 Gustav Freytag: Gesammelte Werke, Bd. 16, S. 248.<br />
42 Vgl. <strong>di</strong>e treffende Kurzformel bei Urbach: Raimund wolle <strong>di</strong>e Welt «harmonisieren<br />
durch mühsam vor dem Spiegel der Wirklichkeit balancierende Gegenbilder». In:<br />
Reinhard Urbach: «Zufriedenheit» bei Fer<strong>di</strong>nand Raimund. In: Austriaca 1975, Fs.<br />
Heinz Politzer, S. 112.<br />
43 Julian Schmidt: Stu<strong>di</strong>en zur Geschichte der französischen Romantik. Eugène Sue.<br />
In: Die Grenzboten 9 (1850), 1. Sem. Bd. 2; zit. nach: Theorie des bürgerlichen Realismus.<br />
Eine Textsammlung. Hrsg. von Gerhard Plumpe. Stuttgart 1985, S. 186f.<br />
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