Johann Nepomuk Nestroy Tradizione e trasgressione a cura di ...
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Reinhard Urbach<br />
Bei <strong>di</strong>esen Mitmenschen, Mitfiguren verhält es sich anders. Wenzel<br />
Scholz darf Realismus zeigen, darf sich identifizieren, darf immer anders<br />
sein, soweit es seine Korpulenz erlaubt. Er tritt nicht reflektierend aus der<br />
Rolle. Ebenso wenig wie <strong>di</strong>e liebenswerten süßen Mädchen Thekla, Salome,<br />
Kathi: Männerprojektionen einer zweifelsfreien, gehorsamen, unbe<strong>di</strong>ngten<br />
Liebe, <strong>di</strong>e der Schauspieler <strong>Nestroy</strong> manchmal (selten) den von<br />
ihm gespielten Figuren und manchmal auch seinen Nebenfiguren gönnt.<br />
Ein Zeichen dafür, dass <strong>di</strong>e <strong>Nestroy</strong>-Figuren in <strong>Nestroy</strong>s Komö<strong>di</strong>en<br />
nicht realistisch gemeint sind, ist, dass sie Couplets singen. Aber er entläßt<br />
sie nicht – wie es in früheren Wiener Komö<strong>di</strong>en, etwa bei Raimund, oder<br />
in späteren Wiener Operetten, etwa bei <strong>Johann</strong> Strauß – üblich war, nach<br />
dem Applaus in <strong>di</strong>e nachgeahmte, rekonstruierte Wiener Wirklichkeit, <strong>di</strong>e<br />
es dem Publikum erlaubte, sich nach Bedarf mit den Figuren zu identifizieren,<br />
sondern bindet ihnen seine Sprachmaske vor, <strong>di</strong>e es unmöglich<br />
machen soll, sie mit Gestalten aus dem richtigen Leben zu verwechseln.<br />
Er hat das Couplet schon als Raisonneur (in der Maske der Figur) gesungen.<br />
Danach setzt er zu einem monologischen Kommentar an.<br />
Wichtig ist dabei, dass sich der Schauspieler nach dem Auftrittscouplet<br />
nicht ausruht, Applaus kassiert und nach einer kleinen Pause in Ruhe seinen<br />
Monolog beginnt.<br />
<strong>Nestroy</strong> setzt sofort mit dem Monolog nach. Die Zuschauer bekommen<br />
keine Chance, sich mit Beifall bei der Leistung des Schauspielers<br />
<strong>Nestroy</strong> zu bedanken. Er gibt ihnen (noch) keine Möglichkeit, in den Ablauf<br />
des Abends einzugreifen. Er muss sofort klarstellen, wer hier bestimmt,<br />
was zu geschehen hat. Es macht ihm nichts aus, dass er dem Publikum<br />
keine Gelegenheit gibt, eine – wie nach dem brillanten Vortrag mit<br />
ausgebildeter Singstimme und hochstilisiertem Text nicht anders zu erwartende<br />
als freu<strong>di</strong>ge – Reaktion zu zeigen. Es macht ihm nichts aus, ja, er<br />
legt es geradezu darauf an, dass sich im Publikum durch Applausverhaltung<br />
ein Spannungsstau bildet, der <strong>di</strong>e Aufmerksamkeit womöglich sogar<br />
beeinträchtigt. Und jetzt folgt eine metaphorisch-philosophische Kaskade.<br />
Es lässt sich somit feststellen: Indem er mehrere scheinbar unverzeihliche<br />
dramaturgische Sünden begeht, erschwert <strong>Nestroy</strong> zunächst <strong>di</strong>e Be<strong>di</strong>ngungen<br />
seines Erfolgs:<br />
1. Die Handlung war zum Stillstand gekommen. Die Neugier darauf, wie<br />
es weitergehen soll, ist nicht eigentlich gegeben.<br />
2. Die musikalische Darbietung hat zum Fortgang der Handlung nichts<br />
beigetragen, le<strong>di</strong>glich <strong>di</strong>e Hauptfigur in ihrer psychischen Befindlichkeit<br />
beschrieben.