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Johann Nepomuk Nestroy Tradizione e trasgressione a cura di ...

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Martin Stern<br />

sich aufdrängte, dafür einen terminus technicus zu wählen. Als Bezeichnung<br />

bietet sich nach wie vor «poetischer Realismus» an 27 . Ich sehe nicht<br />

ein, warum man darauf verzichten sollte 28 . Denn Friedrich Sengle hat zu<br />

Recht festgestellt, mittelfristig habe im 19. Jahrhundert im deutschen<br />

Kulturbereich ein «idealistisch überformter Realismus» dominiert 29 .<br />

Bei der Frage, ob eine Verbindung von Realismus und ästhetischer<br />

Idealisierung (oder «Verklärung») überhaupt erlaubt sei, schieden sich aller<strong>di</strong>ngs<br />

seit langem <strong>di</strong>e Geister. Seit dem fundamentalen Satz von Jakob<br />

Michael Reinhold Lenz in der Selbstrezension seines Neuen Menoza von<br />

1774: «Komö<strong>di</strong>e ist Gemälde der menschlichen Gesellschaft, und wenn<br />

<strong>di</strong>e ernsthaft wird, kann das Gemälde nicht lachend werden» 30 berufen<br />

sich <strong>di</strong>e konsequenten Realisten auf ihre Pflicht unbeschönigter Wirklichkeitsabbildung.<br />

Sie aber war bis ins späte 19. Jahrhundert in der deutschen<br />

Kritik umstritten. Denn hinter Lenzens Satz lauerte jener ästhetische Fatalismus,<br />

den exemplarisch Georg Büchner in seinem berühmten Brief an<br />

<strong>di</strong>e Eltern vom Juli 1835 zum Ausdruck brachte, als er schrieb: «Der dramatische<br />

Dichter ist in meinen Augen nichts, als ein Geschichtsschreiber»<br />

31 . Die Mehrheit der massgeblichen deutschen Schriftsteller war jedenfalls<br />

im 19. Jahrhundert nicht bereit, <strong>di</strong>eser Sicht des Verhältnisses von<br />

Literatur und «Wirklichkeit» zuzustimmen. Sie hielt, wenn auch mit<br />

schwindendem Vertrauen, dem idealistischen Konzept <strong>di</strong>e Treue, wonach<br />

Literatur den Zustand der Gesellschaft nicht nur zu spiegeln, sondern zu<br />

verbessern habe, vor allem <strong>di</strong>e Literatur von «Volks<strong>di</strong>chtern». Das taten in<br />

den Augen der Wienbesucher <strong>di</strong>e Stücke Raimunds auf köstliche Weise,<br />

und das vermissten <strong>di</strong>e «Nordlichter» bei <strong>Nestroy</strong>, der den geforderten<br />

Idealismus verweigerte, ja als Illusionismus verhöhnte. Mochten <strong>di</strong>e Vormärzautoren<br />

theoretisch noch so sehr auf das Prinzip der «Zeitge-<br />

27 Vorgeschlagen und verwendet wurden auch «programmatischer», «künstlerischer»<br />

oder «Idealrealismus» und, meist mit abwertender Absicht, «Verklärungsrealismus» und<br />

«Illusionsrealismus».<br />

28 Die soziologische Bezeichnung des Epochenstils als «bürgerlich», <strong>di</strong>e sich seit<br />

Martinis monumentalem Werk durchgesetzt hat, wird davon nicht tangiert. Denn «poetischer<br />

Realismus» meint eine moralisch-ästhetische Tendenz innerhalb der deutschen<br />

Literatur jener Epoche.<br />

29 Friedrich Sengle: Biedermeierzeit, a.a.O. (wie Anm. 5), Bd. 3, S. 201.<br />

30 Jakob Michael Reinhold Lenz: Gesammelte Schriften. Hrsg. von Franz Blei. München<br />

und Leipzig 1909, Bd. 2, S. 334.<br />

31 Georg Büchner: Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Mit<br />

Kommentar hrsg. von Werner R. Lehmann. 2. Band: Vermischte Schriften und Briefe.<br />

München 1972, S. 443.

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