Johann Nepomuk Nestroy Tradizione e trasgressione a cura di ...
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58<br />
Martin Stern<br />
schonungsloser Satiriker, beide seien nicht haltbar. Deswegen greift es zu<br />
kurz, nur von Fehlurteilen zu sprechen. Es war wohl eher so, dass man im<br />
noch idealistisch oder schon wieder klassisch orientierten deutschen Bildungsbürgertum<br />
auf ein so illusionsloses Welt-, Geschichts- und Gesellschaftsbild<br />
nicht vorbereitet und deshalb noch gar nicht in der Lage war,<br />
<strong>Nestroy</strong>s Genialität wahrzunehmen 54 . Seine Stunde – in der Literaturwissenschaft<br />
und im kulturellen Bewusstsein – kam wesentlich später.<br />
Es gibt aller<strong>di</strong>ngs auch gattungsspezifische Gründe für <strong>di</strong>e Enttäuschung<br />
von <strong>Nestroy</strong>s Kritikern. Nur scheinen sie mir etwas weniger wichtig.<br />
Seit Hegel und Solger befand sich das Drama in der deutschen Ästhetik<br />
an oberster Stelle 55 . Die Komö<strong>di</strong>e aber gehörte zum Drama, und <strong>di</strong>e<br />
Volkstheater spielten Komö<strong>di</strong>en. So waren auf Grund von Theorievorgaben<br />
<strong>di</strong>e Erwartungen der bildungsbürgerlichen Wienbesucher vermutlich<br />
falsch und ihr Ärger entsprechend, wenn sie <strong>Nestroy</strong>s satirischen Possen,<br />
Adaptationen aus dem Vaudeville, Potpourris und sarkastischen Paro<strong>di</strong>en<br />
begegneten 56 . Dennoch bleibt ihre Reaktion schwerverständlich. Hatte<br />
doch Hegel Aristophanes als Muster gesellschaftlich und politisch motivierter<br />
Komik in einer freien Polis gerühmt. Warum war es nur einem<br />
risierung der Wirklichkeit Pate standen, sondern <strong>di</strong>e eher angstvolle, schwankende und<br />
abwehrende Nomenklatur dessen, was als Realität zugelassen oder als «Gemeinheit»,<br />
«Karikatur» und «Frivolität» ausgeschieden werden soll». In: H. K.: Ordnung und Tabu.<br />
Stu<strong>di</strong>en zum poetischen Realismus. Bonn 1989, S. 14f. Und Horst Thomé stellte 1993<br />
fest: «Um 1850 erlischt in den außerme<strong>di</strong>zinischen Diskursen das Interesse am Pathologischen.<br />
Der romantische Dialog zwischen Me<strong>di</strong>zin und Philosophie bricht plötzlich ab».<br />
In: H. Th.: Autonomes Ich und «Inneres Ausland». Stu<strong>di</strong>en über Realismus, Tiefenpsychologie<br />
und Psychiatrie in deutschen Erzähltexten (1848-1914). Tübingen 1993, S. 21.<br />
54 Auch <strong>di</strong>e 2001 erschienene Arbeit von Michael Perrau<strong>di</strong>n spricht von N’s «fundamentalem<br />
Antiidealismus». In: M. P.: Das Klischee. <strong>Johann</strong> <strong>Nestroy</strong> und <strong>di</strong>e Wiener<br />
Revolution von 1848. In: Bewegung im Reich der Immobilität, a.a.O., (wie Anm. 4), S.<br />
400.<br />
55 Helmut Schanze: Die Anschauung vom hohen Rang des Dramas in der zweiten<br />
Hälfte des 19. Jahrhunderts und seine tatsächliche «Schwäche» (1971). In: Bürgerlicher<br />
Realismus. Grundlagen und Interpretationen. Hrsg. von Klaus-Detlef Müller. Königstein<br />
1981, S. 229-237.<br />
56 Wie es mit nördlichen Reaktionen stand, wenn <strong>Nestroy</strong> wie in Der Treulose, Das<br />
Haus der Temperamente, Gegen Torheit gibt’s kein Mittel oder Der Unbedeutende moralisierte<br />
und sich so dem «Lebensbild» annäherte, konnte ich noch nicht herausfinden. – Zum<br />
«Lebensbild» und seinem erfolgreichen Vertreter Friedrich Kaiser vgl. Jeanne Benay:<br />
Friedrich Kaiser. Gesamtprimärbibliographie seiner dramatischen Produktion zwischen<br />
1835-1874 (Nachlaß 1875). Bern u.a. 1991.