Innere Sicherheit
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Seite 264<br />
gewalt vor allem als Mittel gesehen wird, um ungerechte Voraussetzungen und Resultate des Wirtschaftens<br />
abzusichern.<br />
Rechtsextreme Muster gehen dagegen zumeist davon aus, dass das Volk vor Überfremdung oder Zersetzung<br />
geschützt werden müsse. Obendrein wird hier in der Tradition des Sozialdarwinismus Kampf und<br />
Gewalt als natürliches und darum legitimes Mittel der Auslese betrachtet. Rechts- und linksextremistische<br />
Legitimationsmuster haben in der Geschichte und bis in die Gegenwart hinein immer wieder Massenvernichtungen<br />
"gerechtfertigt" (Holocaust, Archipel GULAG, Kambodscha, Ruanda, Jugoslawien).<br />
Demokratische und rechtsstaatliche Gesellschaften weisen in der Regel ein relativ niedriges Gewaltniveau<br />
auf. In manchen Perioden ist politische Gewalt allerdings häufiger zu verzeichnen als in anderen. Hierfür<br />
gibt es unterschiedliche und widersprüchliche Erklärungsmuster. Drei sind besonders wichtig: Makrosoziologische<br />
Ansätze suchen nach strukturellen Widersprüchen und Spannungen (starke ökonomische<br />
Ungleichheit, strukturelle Benachteiligung, Verweigerung von Rechten etc.) in der Gesellschaft als objektiv<br />
feststellbaren Determinanten kollektiver Bewegungen und (in deren Zusammenhang) auch von<br />
politischer Gewalt. 860 Diese Kausalrelation wird allerdings dadurch in Frage gestellt, dass Menschen häufig<br />
auch bei massiven Spannungen nicht zur Gewalt greifen und andererseits bei vergleichsweise geringen<br />
Spannungen zu kämpfen beginnen. 861 Es ist also zu fragen, wie sich Spannungen in Unzufriedenheit<br />
umsetzen. Hier bietet die Theorie relativer Deprivation 862 Hilfe an: Menschen rebellieren oder kämpfen,<br />
wenn sie über den Vergleich ihrer eigenen Lage (oder der Lage der Gruppe, mit der sie sich solidarisch<br />
fühlen) mit der Lage anderer zu dem Ergebnis kommen, dass sie nicht (oder nicht mehr) das bekommen,<br />
was ihnen zusteht. Für die Analyse ethnischer Konflikte und fremdenfeindlicher Aktionen bedeutet dies,<br />
dass nicht so sehr die ungleiche soziale Lage der Ethnien selbst als vielmehr der perzipierte Wandel ihrer<br />
Stellung im gesellschaftlichen Verteilungssystem mit gewalttätigen Kämpfen 863 verbunden sein kann. Ob<br />
es allerdings bei gegebenen Spannungen und bei perzipierter relativer Deprivation zu Gewalt kommt,<br />
hängt schließlich auch von Nutzen- und Risikokalkülen ab. Hier setzt der Beitrag der rational-choice-<br />
Theorien ein, die menschliches Handeln aus Kosten- und Nutzenerwägungen zu erklären versuchen. 864<br />
Sie können individuelle Handlungen und ihre Aggregation erklären, müssen dabei aber viele der makrosoziologischen<br />
und deprivationstheoretischen Erklärungselemente in die Randbedingungen verweisen.<br />
Sie stehen zudem vor dem Problem, dass sich die Präferenzen und die Perzeption von möglichen Erträgen<br />
im Konfliktverlauf rasch und kaum prognostizierbar verändern, wie insbesondere Theoretiker des symbolischen<br />
Interaktionismus 865 deutlich gemacht haben. Dennoch weisen sie zu Recht darauf hin, dass politisch<br />
motivierte Gewalt nicht notwendig Spannung oder Deprivation zur Voraussetzung hat, sondern sich<br />
über den erwarteten Erfolg begründen kann. Dies ist eine überaus wichtige Erkenntnis: Rechtsstaat und<br />
Demokratie können nur dauerhaft bestehen, wenn sie die Ertragserwartungen politischer Gewalt systematisch<br />
senken.<br />
2.10.2 Datengrundlage und Datenprobleme<br />
2.10.2.1 Datengrundlage<br />
Eine systematische und auf die zeitliche Veränderung hin orientierte Darstellung politisch motivierter<br />
Kriminalität ist auf jene Daten angewiesen, die von den Polizeien der Länder erfasst und schließlich vom<br />
Bundeskriminalamt zusammengefasst dargestellt werden. Hier sind vor allem die Staatsschutzabteilungen<br />
des Bundeskriminalamtes und der Landeskriminalämter tätig. Ihre Aufmerksamkeit richtet sich auf alle<br />
Straftaten, die nach ihrer Definition<br />
860<br />
Vgl. SMELSER, N. J., 1962.<br />
861<br />
Dadurch entsteht begrifflich die Gefahr, dass Spannung tautologisch durch die zu erklärende Gewalt definiert wird.<br />
862<br />
Vgl. hierzu GURR, T., 1970; RUNCIMAN, W. G., 1966.<br />
863<br />
Vgl. HANF, T., 1990, S. 41.<br />
864<br />
Vgl. MULLER, E. N., 1979; WEEDE, E., 1986.<br />
865<br />
Vgl. BLUMER, H., 1978; TURNER, R. H., 1974.<br />
PSB